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BelästigungSexuelle Belästigung im Club: "Es kommt häufig vor, dass man angefasst wird, wo man es nicht möchte"

11. Oktober 2022, 15:42 Uhr

Sexuelle Belästigung oder Sexismus erfahren Frauen auf Partys immer wieder. Anzügliche Sprüche oder ungewollte Berührungen gehören für viele häufig zum Clubbesuch dazu – auch im Prinzzclub in Magdeburg. Der Inhaber, Guido Schwirzke, geht mit Kameraüberwachung, konsequenten Anzeigen und strenger Security gegen Übergriffe vor. In der Disco gibt es außerdem ein Codewort und Awareness Teams.

In einem Hinterhof im Magdeburger Stadtteil Sudenburg liegt der Prinzzclub. Von außen fast unscheinbar, gelangen die Partybesucher über eine gewundene Treppe in das ausgebaute Kellergewölbe des Hauses. Hier sind die steinernen Wände des Clubs in rotes Licht getaucht, während Inhaber Guido Schwirzke alles für den bevorstehenden Abend vorbereitet. Die mehr als 20 Kameras, die das komplette Objekt überwachen, sind auf den ersten Blick gar nicht zu erahnen. Dabei sind sie ein zentrales Element, um präventiv gegen sexuelle Belästigung auf den Partys im Prinzzclub vorzugehen.

Mit Videoüberwachung gegen Übergriffe im Club

"Wir können im Prinzip jede Person, die den Club betritt oder verlässt, tracken und dementsprechend schnell reagieren, falls es mal zu einem Vorfall kommen sollte", erzählt Schwirzke. In die Kameraüberwachung habe er einiges an Geld investiert, damit sexuelle Belästigung, Diskriminierung oder Gewalt gar nicht erst passieren. Das klappe zu 90 bis 99 Prozent, sagt er.

Wenn die Partys im vollen Gang sind, dann ist es oft Schwirzke selbst, der in einem kleinen Raum hinter der Bar vor den Bildschirmen steht. Seine jahrelange Erfahrung im Partygeschäft helfe ihm, Situationen schon früh abzuschätzen. Im Notfall greife er ein.

Offizielle Zahlen sind niedrig, die Dunkelziffer hoch

In Sachsen-Anhalt haben Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Jahr 2021 in Vergleich zu den beiden Vorjahren wieder zugenommen. Laut dem Landeskriminalamt (LKA) wurden 3.021 Fälle registriert. 2020 waren es fast 800 weniger. Für Bars, Clubs und Diskotheken sehen die offiziellen Zahlen jedoch anders aus. Während 2019 insgesamt 26 Fälle zur Anzeige gebracht wurden, waren es 2020 nur 15 und 2021 sogar nur drei.

Das hat verschiedene Gründe, wie Michael Klocke vom LKA erklärt. Bei sexueller Belästigung und Übergriffen gebe es eine hohe Dunkelziffer. Viele Frauen bringen die Vorfälle gar nicht erst zur Anzeige. Zudem seien die Zahlen aus den Corona-Jahren nicht aussagekräftig, da die Diskotheken lange Zeit geschlossen waren. Und: Straftaten würden zwar häufig in Nachtclubs beginnen, die tatsächliche Tat finde oft aber außerhalb statt und falle deshalb nicht mehr in die Statistik.

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2001 hat Guido Schwirzke den Prinzzclub gegründet. Seitdem ist in Sachen Sexismus und #MeToo einiges passiert. Wenn der Club auf Social Media heute Veranstaltungen postet, dann findet sich auch immer ein Hinweis zum Umgang mit sexuellen Übergriffen: "Alle Mitarbeiter*innen des Prinzzclub bitten Euch ganz herzlich: Wenn ihr belästigt oder diskriminiert werdet oder andere seht, die davon betroffen sind, sprecht unser Barpersonal oder die Security an. So haben wir die Möglichkeit, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Ihr gerne feiert und wir gerne arbeiten", kann man auf der Facebook-Seite lesen.

Die Security regelt, wer in den Club darf

Mit freundlichen Bitten allein ist es oftmals allerdings nicht getan. Ein weiterer wichtiger Baustein im Club-Alltag ist deshalb die Security. Für die Selektion an der Tür gebe es Vorschriften, die Guido Schwirzke allerdings nicht im Einzelnen öffentlich erwähnen will. Größere Männergruppen würden es beispielsweise nicht ohne Weiteres in den Club schaffen. Grundsätzlich schaue man immer, dass die Balance stimme.

Also, dass der Anteil an Frauen und Männern ausgeglichen sei beziehungsweise, dass mehr Frauen als Männer im Club sind. "Wir achten natürlich auch darauf, wie das Verhalten an der Tür ist", so Schwirzke. Die Security beobachte die Gäste in der Schlange und entscheide dann, wer rein darf und wer nicht.

Statistik: Fast jede Frau hat sexuelle Belästigung erlebt

Wenn die Partys im Prinzzclub losgehen, dann ist es Barchefin Yvonne Jantzen, die unter den dröhnenden Bässen der Musik ebenfalls ein Auge auf die Gäste hat. Sie sei geschult, darauf zu achten, dass sich niemand unwohl fühlt, erzählt die 33-Jährige. Bereits seit zehn Jahren steht sie neben ihrem Studium bei Guido Schwirzke hinter dem Tresen.

Es kommt häufig vor, dass man angefasst wird, wo man es nicht möchte

Yvonne Jantzen | Barkeeperin im Prinzzclub

Seit der Club mehr auf das Thema achte, hätten die Belästigungen abgenommen, hat Jantzen beobachtet. Ganz vermeiden ließen sich Sexismus und sexuelle Übergriffe aber nicht. Auch als Barkeeperin habe sie damit regelmäßig Erfahrung machen müssen. "Es kommt häufig vor, dass man angefasst wird, wo man es nicht möchte oder jemand besonders nah kommt, weil sie dich vielleicht nicht ganz verstanden haben. Mit Absicht natürlich. Das passiert halt immer noch." Oft sei das dem Alkohol geschuldet.

"Wahrscheinlich kann fast jede Frau sagen, dass sie schon einmal Opfer von sexueller Belästigung war", meint Jantzen. Eine Studie der Hochschule Merseburg aus dem Jahr 2020 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Demnach gaben 97 Prozent von rund 2.000 befragten Frauen an, schon einmal eine Form sexueller Belästigung erlebt zu haben – sei es im Club oder im Alltag.

Dass Diskotheken häufig Orte für Übergriffe sind, hat Gründe. Neben dem Alkohol ist es vor allem die Dunkelheit der Club-Räume, die die Hemmschwelle sinken lässt. Wenn Yvonne Jantzen selbst feiern geht, fühle sie sich deshalb wohler, wenn der Club heller und besser beleuchtet ist. Auch Security-Präsenz und die Anwesenheit mehrerer Freundinnen gebe ihr Sicherheit, sagt sie.

Wahrscheinlich kann fast jede Frau sagen, dass sie schon einmal Opfer von sexueller Belästigung war.

Yvonne Jantzen | Barchefin im Prinzzclub in Magdeburg

Hilfe mit Awareness-Teams und Codewort

In den vergangenen Jahren wurden in der Clubszene weitere Ansätze erarbeitet, um Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Sogenannte "Awareness-Teams", also kleine Gruppen, die unauffällig im Club unterwegs sind und als Ansprechpartner fungieren, ist einer davon. Frauen können zudem mit einem Code beim Barpersonal unauffällig um Hilfe bitten. "Ist Luisa da?", nennt er sich und ist inzwischen in vielen Clubs deutschlandweit etabliert.

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Im Prinzzclub in Magdeburg ist das bisher noch nicht vorgekommen. "Wir kennen auf jeden Fall das 'Safe Word' und die Aktion und sind vorbereitet, falls das passieren sollte", so Jantzen. Bisher würden Betroffene aber direkt offen sprechen: "Meistens ist es so, dass mir Personen dann sagen 'Ich fühle mich unwohl', 'Ich wurde angefasst' oder dass irgendjemand kommt und sagt: 'Ich glaube, der Person geht es nicht gut. Könntet ihr mal gucken?" Die "Safe Wörter" seien bei den Frauen auch noch nicht bekannt genug, meint Schwirzke. Wenn etwas passiert, dann komme es zudem auf Schnelligkeit an. Da sei es manchmal sinnvoller, einfach Klartext zu reden.

Sexuelle Belästigung wird zur Anzeige gebracht

Ein Awareness-Team habe man im Magdeburger Club nicht, allerdings übernehme die Security bereits eine ähnliche Aufgabe und sei mitunter auch verdeckt unter den Partygästen unterwegs. Sollte es wirklich zu einem Übergriff im Club kommen, würden diverse Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. "Wir haben Notknöpfe, die wir entsprechend betätigen können, um Security in den Club zu holen."

Jede Art von sexueller Belästigung werde zur Anzeige gebracht, betont Schwirzke. Nach der Sichtung des Überwachungsmaterials werde die Polizei verständigt und der Gast gebeten, den Club zu verlassen. Das komme zum Glück jedoch nur selten vor.

Für den Heimweg ist jeder selbst verantwortlich

Das Team vom Prinzzclub versucht seine Gäste zudem für die eigene Sicherheit zu sensibilisieren. "Grundsätzlich ist es so, dass wir unseren weiblichen Gästen mitteilen, dass sie nicht alleine oder stark betrunken nach Hause gehen sollen. Sehen wir das, geben wir immer den Hinweis: 'Passt auf euch auf, nehmt euch ein Taxi", so Schwirzke.

Er müsse aber auch einsehen, dass er nicht überall sein kann. "Wir wissen nicht, was an der Haltestelle hundert Meter weiter passiert. Wir hoffen, dass die Leute in der heutigen Zeit selbst bedenken, dass es Situationen gibt, die gefährlich sein könnten."

Hier bekommen Sie Hilfe

Wenn Sie von sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt betroffen sind und Unterstützung benötigen, können Sie sich unter anderem an folgende Stellen wenden:

  • Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (08000 116 016) ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar, auch für Angehörige.
  • Die Vereine Wildwasser Magdeburg und Wildwasser Halle bieten persönliche Beratung bei sexualisierte Gewalt an – vor Ort als auch per Telefon oder Chat.
  • Der Verein "Miß-Mut" aus Stendal ist Anlaufstelle für Menschen im nördlichen Sachsen-Anhalt, die direkt oder indirekt von sexueller Gewalt betroffen sind.
  • Auch Männer können sexuelle Belästigung oder Gewalt erfahren. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Männer" (0800 1239900) bieten deutschlandweit Unterstützung.

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MDR (Sarah-Maria Köpf, Engin Haupt) | Erstmals veröffentlicht am 09.10.2022

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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