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Podcast digital lebenWarum Sachsen-Anhalt seit vier Jahren keinen richtigen Landesdatenschutzbeauftragten hat

30. März 2021, 15:20 Uhr

Es ist einmalig in der bundesdeutschen Datenschutzgeschichte: Die Amtszeit von Sachsen-Anhalts Landesdatenschutzbeauftragten von Bose endete vor mehr als vier Jahren. Im März 2017. Bis Ende 2020 hat er selbst noch ausgeholfen, jetzt wird die Behörde kommissarisch geleitet. Wird der Datenschutz im Land ernst genug genommen?

von Marcel Roth, MDR SACHSEN-ANHALT

Sachsen-Anhalts Landesdatenschutz-Behörde beschäftigt dreißig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Seit 2021 ist es einer weniger: Der Behördenchef selbst. Mehr als 15 Jahre lang war Harald von Bose Landesdatenschutzbeauftragter. Jetzt ist er mit 65 Jahren im Ruhestand.

Während seiner beiden Amtszeiten hat man von Bose stets freundlich im Ton und doch hart im Sinne des Datenschutzes erlebt. Seine zweite Amtszeit endete im März 2017. Seinen Nachfolger sollte der Landtag im März 2018 wählen. In drei Wahlgängen hat die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen dafür nicht die notwendige Mehrheit zustande bringen können.

DSGVO statt Ruhestand

Im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast digital leben spricht von Bose zum ersten Mal darüber, was in den vergangenen Jahren in ihm vorging. Auch hier wieder: freundlich, aber doch bestimmt: "Es hat mich irritiert, aber natürlich auch persönlich betroffen gemacht, denn meine eigene Lebensplanung war 2017 schon auf ein Ende ausgerichtet." Statt Ruhestand gab es die Datenschutzgrundverordnung, die 2018 in Kraft trat – ein Mammutvorhaben.

"Ich hätte gerne unmittelbar an einen Nachfolger übergeben. Aber nun führt der langjährige Stellvertreter die Geschäfte der Behörde weiter. Die Neuwahl ist nicht zustande gekommen, und daher gibt es sozusagen eine Vakanz", sagt Harald von Bose. Eine offizielle Verabschiedung sowohl in der Behörde als auch im Landtag ist pandemiebedingt ausgefallen. Das bedauert von Bose.

Dass kein Nachfolger gewählt wurde, empfand er als kein gutes Zeichen für den Datenschutz in Sachsen Anhalt und in Deutschland. "Natürlich habe ich darauf gesetzt, dass der Landtag sich intensiv darum kümmert, eine Nachfolgelösung zustande zu bringen." So hat der Landtag nach der gescheiterten Wahl eines Nachfolgers eigens die Verfassung geändert: Statt einer Zweidrittelmehrheit kann der Landesdatenschutzbeauftragte nun mit einer Mehrheit der Mitglieder das Landtages gewählt werden. Nur: Ein weiterer Kandidat ist bis heute nicht präsentiert worden.

Harald von Bose war bis Ende 2020 Landesdatenschutzbeauftragter. Bildrechte: MDR/Patrick Eicke

Was macht ein Landesdatenschutzbeauftragter?

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz überwacht, ob zum Beispiel Behörden, Unternehmen und Vereine in Sachsen-Anhalt die Vorschriften des Datenschutzes einhalten. Die Behörde kümmert sich außerdem um Bürgereingaben, führt Kontrollen durch, berät Landesregierung, Landtag, Landesbehörden, Vereine und Unternehmen in Sachsen-Anhalt und führt außerdem das Register der meldepflichtigen automatisierten Verfahren. Er ist nicht zuständig für die Bundesbehörden im Land, zum Beispiel für das Bundesumweltamt oder die Arbeitsagentur. Für sie ist der Bundesdatenschutzbeauftragte zuständig.

"Eine krasse Erfahrung"

Und die neue Regel kam für Nils Leopold zu spät. Er war der einzige Kandidat, auf den sich die Regierungsparteien in der vergangenen Wahlperiode einigen konnten. Er wurde in drei Wahlgängen im Landtag nicht gewählt. Die Protokolle und Videoauszeichnungen der Wahlgänge aus dem März und Mai 2018 zeigen, dass es damals hoch herging im Landtag.

Zum ersten Mal spricht auch Leopold über die Vorgänge: "Es war eine krasse Erfahrung, vor Ort auf der Tribüne zu sitzen und zu sehen, dass im Plenum keine Mehrheit zustande kam." Das sei natürlich sehr enttäuschend gewesen. Nach den gescheiterten Wahlgängen hätten sich einige Menschen bei ihm entschuldigt. "Das tat mir teilweise schon leid, wie da auch die Beteiligten, einschließlich des Ministerpräsidenten, mit sich gerungen haben."

Harald von Bose bescheinigt dem ehemaligen Kandidaten gute Referenzen und fachlich versiert zu sein. "Ich kannte ihn auch schon aus anderen Kontakten. Wir hatten Vorgespräche geführt, aber dass es dann nicht zur Wahl kam, das war wirklich schlecht." Wenn solch ein Vorschlag komme, sollte sich das Parlament hinter seinen Datenschützer stellen und ihn mit einer großen Mehrheit in dieses völlig unabhängiger Amt zur Kontrolle insbesondere der Exekutive und im Wirtschaftsbereich entsenden und ihn immer unterstützen. "Das war kein gutes Zeichen."

Und das ist es immer noch nicht, meint Henriette Quade, Datenschutz-Sprecherin der Linksfraktion im Landtag. "Es ist eine Schwächung des Amtes des Datenschutzbeauftragten, eine Schwächung der Behörde und eine Schwächung des Themas Datenschutz, wenn über Jahre hinweg die Nachfolge nicht geklärt wird und jetzt mit einem Interim-Chef gearbeitet werden muss." Die Geschichte verschiedener Gesetze in Sachsen-Anhalt zeige, dass es einen hartnäckigen offiziellen Landesdatenschutzbeauftragten brauche, der den Parlamentarierinnen und Parlamentariern und der Landesregierung gegenübertritt.

Datenschutz in Sachsen-Anhalt: eher Kätzchen als Löwe

"Wir haben leider viel zu oft gesehen, wie bitter nötig das ist, wie oft Datenschutzbedenken in den Wind geschlagen werden und die Landesregierung zur  Einhaltung von Recht und Gesetz erinnert und gezwungen werden muss." Die Stelle müsse schleunigst besetzt werden. "Es ist ein Zeichen politischer Ohnmacht und politischer Entscheidungsunfähigkeit, dass sie bis heute nicht besetzt ist", sagt Quade im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast digital leben. Trotz allem hält Quade die Behörde des Datenschutzbeauftragten für arbeitsfähig und vertraut den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Der ehemalige Kandidat Nils Leopold arbeitet heute im Grundsatzreferat beim Bundesdatenschutzbeauftragten und befürchtet, dass das Land derzeit zum einen gegen den Willen des EU-Gesetzgebers verstößt und zum anderen, dass ein gewählter Datenschützer mit einem starken Mandat des Landtags auch stärker auftreten könnte. "Es ist derzeit auf jeden Fall ein Handicap, um die unabhängige Ausübung des Amtes zu befördern."

Was ist Datenschutz eigentlich?

Auch wenn oft verkürzt von Datenschutz die Rede ist: Das dahinter stehende Grundrecht wird als informationelle Selbstbestimmung bezeichnet. Es bestimmt den Umgang mit so genannten personenbezogenen Daten. In Deutschland haben die Menschen das Recht, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, wer ihre Daten bekommt und wer sie wie verarbeiten darf.

Darunter fällt zum Beispiel auch die Frage, inwieweit Daten aus verschiedenen Bereichen verknüpft werden dürfen. Darf beispielsweise eine Behörde oder zum Beispiel eine Versicherung automatisch einen Namen mit dem Punkte-Register in Flensburg abgleichen? Darf Google wissen, ob jemand zum Onkologen geht? Darf die Polizei die Corona-Gästelisten eines Restaurants auswerten? Auch wenn diese Fragen in der Theorie vielleicht einfach zu beantworten sein mögen – die Praxis ist oft kompliziert. Denn mit jeder unbedachten Cookie-Einwilligung auf Internetseiten erlauben wir Webseitenbetreibern, aber auch Google und Facebook, unsere Daten zu sammeln und zu verknüpfen.

Datenschutz und die Landespolitik

Dass die Wahl Leopolds seinerzeit gescheitert ist, erklärt die Pressesprecherin der CDU-Landtagsfraktion mit der hohen Hürde der Zweidrittelmehrheit bei der Wahl. Grünen-Chef Sebastian Striegel sagt, die Wahl ist an der Unzuverlässigkeit der CDU gescheitert. "Sie hat einem der profiliertesten Datenschützer der Bundesrepublik in einer geheimen Abstimmung in Teilen die Unterstützung verweigert."

Dabei spricht der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU, SPD und Bündnis90/Grüne eine klare Sprache. Die zwei zentralen Punkte zum Datenschutz:

  • "Wir werden die Datenschutzbehörde des Landes für transnationale und internationale Bezüge ertüchtigen und die Stellung des Landesbeauftragten für Datenschutz an EU-Recht anpassen. Dazu werden wir den Datenschutzbeauftragten als Anstalt öffentlichen Rechts unter Beachtung einer angemessenen personellen Ausstattung gestalten."
  • "Um die Chancen des Internet nutzen zu können, wollen und müssen wir umfassenden Datenschutz gewährleisten. Persönliche Daten sollen auch weiterhin nur auf der Grundlage der ausdrücklichen Einwilligung genutzt werden dürfen. Das Recht auf Löschen eigener Daten bleibt unser Ziel."

Der letzte Punkt lässt sich allein in Sachsen-Anhalt kaum lösen – schon gar nicht mit einem Datenschützer, der nur kommissarisch im Amt ist. Und auch der erste Punkt wurde nicht erreicht: Die Behörde ist seit Jahren unterbesetzt. Das bemängelte auch Harald von Bose jahrelang. Zuletzt hatte er ausführlich begründet, weshalb er 15 zusätzliche Stellen benötige – ohne Begründung wurde keine einzige bewilligt.

Dabei stehen Sachsen-Anhalts Datenschützer vor neuen Aufgaben: in ein paar Jahren übernimmt die Behörde den Vorsitz der deutschen Datenschutz-Konferenz, dem Gremium aller Landes- und dem Bundesdatenschutzbeauftragten. Außerdem wird sie für die neue Glücksspielbehörde in Halle mit ihren 100 Mitarbeitern zuständig sein und muss sich Expertise bei Themen wie Künstlicher Intelligenz und dem so genannten Internet of Things verschaffen.

Und weil Datenschützer – das betont Harald von Bose noch heute – vor allem beraten, könnten Sachsen-Anhalts Unternehmen mit ihren Datenschutzfragen bei diesen Themen ins Leere laufen.

Wie weiter?

Niemand geht davon aus, dass im April auf der letzten Landtagssitzung vor der Wahl im Juni ein neuer Landesdatenschützer gewählt wird. Alle glauben, dass es erst im Herbst soweit sein wird. Dabei gibt es bereits Bewerber und Bewerberinnen und die die Landtagsfraktionen haben schon im vergangenen Oktober die Bewerbungsunterlagen gesichtet.

Derzeit laufe das Auswahlverfahren, sagt Ursula Lüdtkemeier, Pressesprecherin des Landtags: "Die erforderlichen aufwendigen Sicherheitsüberprüfungen sind der Grund dafür, dass noch keine Wahl eines neuen Datenschutzbeauftragten erfolgen konnte."

Ein Bundesland, jahrelang ohne Datenschützer – das ist einmalig in Deutschland. Kandidat Nils Leopold sagt heute rückblickend, jeder, der sich auf ein öffentliches Amt bewerbe, müsse auch mit dem Risiko rechnen, nicht gewählt zu werden. Sein Verhältnis zu Sachsen-Anhalt sei nicht erschüttert, seine gescheiterte Wahl hätte nichts mit seiner Person zu tun gehabt: "Ich bin beruhigt, dass es nicht auf fachliche Bedenken zurückging, sondern offenbar auf politische Streitigkeiten innerhalb des Parlamentes und innerhalb der Regierungsparteien. Aber es ist misslich und natürlich keine große Einladung für weitere Bewerber."

Ein Datenschützer wird Domherr

Harald von Bose hat mit dem Datenschutz abgeschlossen. "Ich habe festgestellt, dass auch ein Leben jenseits des Datenschutzes ganz gut tut." Er will aufmerksam verfolgen, wie ernst es einem neu gewählten Landtag ist, seinen Nachfolger zu wählen. Wer das Thema nicht täglich verfolge, sei schnell aus dem aktuellen Geschehen raus, sagt von Bose. "Fast 16 Jahre im Datenschutz sind eine lange Zeit und das soll es dann auch gewesen sein. Jetzt dürfen sich andere darum kümmern." Es hätte ihm gut getan, loszulassen. "Das muss auch so sein: Loslassen, um auch neue Freiheiten zu gewinnen."

Eine seiner Freiheiten ist zum Beispiel, seine Zeit den Vereinigten Domstiftern Merseburg, Naumburg und Zeitz zu widmen. Dort ist Harald von Bose 2014 ins Domkapitel gewählt worden – quasi dem Aufsichtsgremium der Stiftung. Seitdem darf er sich Domherr nennen.

Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Über den AutorMarcel Roth arbeitet seit 2008 als Redakteur und Reporter bei MDR SACHSEN-ANHALT. Nach seinem Abitur hat der gebürtige Magdeburger Zivildienst im Behindertenwohnheim gemacht, in Bochum studiert, in England unterrichtet und in München die Deutsche Journalistenschule absolviert. Anschließend arbeitete er für den Westdeutschen Rundfunk in Köln. Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er über Sprachassistenten und Virtual Reality, über Künstliche Intelligenz, Breitbandausbau, Fake News und IT-Angriffe. Außerdem ist er Gastgeber des MDR SACHSEN-ANHALT-Podcasts "Digital leben".

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