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Martina Wernet ist 67 Jahre alt und arbeitet noch immer als Altenpflegerin. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Jobs für ÄltereWarum immer mehr Rentner in Sachsen-Anhalt arbeitenvon Lucas Riemer, MDR SACHSEN-ANHALT

27. Oktober 2023, 15:56 Uhr

Branchen wie die Pflege oder das Handwerk klagen über Fachkräftemangel. Immer mehr Unternehmen in Sachsen-Anhalt setzen darum auf Mitarbeiter, die eigentlich schon im Rentenalter sind. Die Zahl der arbeitenden Menschen ab 65 Jahren hat einen Höchststand erreicht. Arbeitgeber und ältere Arbeitnehmer berichten von ihren Erfahrungen.

Wenn Martina Wernet um 10 Uhr beim Frühstück in der Küche des Bad Schmiedeberger Pflegedienstes sitzt, bei dem sie seit zwei Jahren arbeitet, hat sie bereits viel geschafft. Seit 6 Uhr ist sie mit ihrem kleinen Auto in der Region unterwegs, besucht ältere Herren und Frauen, verteilt Tabletten, hilft zu waschen und anzuziehen, hört zu. Nun ist endlich Zeit für einen Kaffee und einen Plausch mit den Kolleginnen, von denen die meisten ihre Töchter sein könnten.

Martina Wernet ist 67 Jahre alt. Sie könnte schon in Rente sein, aber sie arbeitet einfach weiter als Altenpflegerin, fast immer in der Frühschicht, insgesamt 20 Stunden pro Woche. "Mir macht die Arbeit Spaß. Ich bin sehr aktiv und nicht der Typ, der lange auf der Couch liegt", sagt sie.

Immer mehr arbeitende Rentner

Die Bad Schmiedebergerin liegt damit im Trend. In ganz Sachsen-Anhalt ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten ab 65 Jahre von knapp 15.000 im Jahr 2012 auf mehr als 23.000 im Jahr 2022 gestiegen. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in dieser Altersgruppe vervierfachte sich die Zahl beinahe: von rund 2.600 im Jahr 2012 auf fast 10.000 im Jahr 2022.

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"Ich will geistig und körperlich fit bleiben. Die Arbeit tut mir gut, ich habe hier eine erfüllte Zeit", sagt Wernet. Aber natürlich spiele das auch finanziell eine Rolle: "So hoch sind die Renten im Gesundheits-Bereich ja nicht."

Ich will geistig und körperlich fit bleiben. Die Arbeit tut mir gut, ich habe eine erfüllte Zeit.

Martina Wernet | Krankenpflegerin, 67 Jahre

Positive Erfahrungen

Kirsten Lehmann ist Chefin des Bad Schmiedeberger Pflegedienstes, bei dem Martina Wernet arbeitet. Insgesamt beschäftigt sie zehn Mitarbeitende, zwei davon sind schon im Rentenalter. Ginge es nach Kirsten Lehmann, könnten es gerne noch mehr ältere Mitarbeitende sein. Denn der Fachkräftemangel in der Pflege ist groß – und ihre Erfahrungen mit den Angestellten im Rentenalter sind positiv.

"Ältere Mitarbeiter halte ich für sehr wertvoll, weil sie einen großen Erfahrungsschatz und eine gewisse Herzlichkeit mitbringen", sagt Lehmann. "Dadurch, dass bei ihnen die Kinder schon aus dem Haus sind, sind sie sehr flexibel einsetzbar."

Auch bei den Klientinnen und Klienten ihres Unternehmens kämen die älteren Mitarbeiter sehr gut an, hat Lehmann beobachtet. "Ich glaube, ältere Pflegerinnen haben mehr Verständnis für die Bedürfnisse älterer Menschen", so die Pflegedienst-Chefin.

Ähnliches Phänomen in anderen Branchen

Andere Stadt, andere Branche – aber das gleiche Fachkräfte-Problem. Beim Spezial-Armaturen-Hersteller Armacon in Magdeburg hat sich die Belegschaft in den vergangenen Jahren halbiert. Denn viele Mitarbeitende sind in Rente gegangen, aber nicht genug junge Leute nachgekommen, die vor allem die Jobs in der Fertigung übernehmen wollen. Die Folge: "75 Prozent unserer Maschinen können wir nicht besetzen", sagt Armacon-Geschäftsführer Frank Wenig.

Frank Wenig setzt in seinem Unternehmen in Magdeburg auf Rentner, um das Fachkräfteproblem zu lösen. Bildrechte: Frank Wenig

"Für Berufe wie Dreher oder Fräser fehlt die Anerkennung. Wir haben in unserer Gesellschaft alle dazu bewegt, zu studieren", so Wenig. Deshalb fehle der Nachwuchs. Auch er setzt nun verstärkt auf Fachkräfte, die eigentlich nicht mehr arbeiten müssten. Acht seiner 53 Mitarbeitenden sind Rentner, der älteste Angestellte ist 84.

"Wenn man die Generation der Babyboomer aktivieren kann, im Arbeitsmarkt zu bleiben, kann ein entscheidender Beitrag geleistet werden, um die Fachkräfte-Lücke für fünf bis acht Jahre zu überbrücken", ist der Unternehmer überzeugt. In der Zwischenzeit müsse die Regierung dafür sorgen, dass genügend junge Menschen wieder im Handwerk arbeiten möchten.

Jeder, der momentan in Rente ist, kann sofort bei mir anfangen.

Frank Wenig | Unternehmer aus Magdeburg

In seinem Unternehmen seien ältere Menschen jederzeit willkommen, sagt Wenig, der selbst 65 Jahre alt ist. "Jeder, der momentan in Rente ist, kann sofort bei mir anfangen und ist willkommen, mit uns zu arbeiten."

Forderung nach steuerlicher Entlastung

Damit tatsächlich mehr ältere Menschen ihren Ruhestand an der Werkbank statt im Garten verbringen, wünscht sich Wenig eine Steuerreform für Rentner.

Bislang ist es so, dass Rentnerinnen und Rentner nur 520 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen dürfen. Wer mehr verdient, muss sein komplettes Einkommen versteuern und Sozialabgaben zahlen wie normale Arbeitnehmer. "Die 520-Euro-Grenze muss für Rentner schleunigst abgeschafft werden", sagt Wenig. Und damit nicht genug: "Wenn ein bisschen ökonomisches Denken dahinter wäre, würde man Rentnern, die arbeiten, sogar 1.000 Euro extra steuerfrei zahlen, weil der Mehrwert größer wäre, als die Steuern, die man bislang einnimmt."

Mehr Wertschätzung für Senioren

Auch Pflegedienst-Leiterin Kirsten Lehmann aus Bad Schmiedeberg ist überzeugt, dass ältere Menschen künftig eine noch wichtigere Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen werden. "Rentnerinnen und Rentner können Teil der Lösung des Fachkräfte-Problems sein", sagt sie. Bislang fehle es aber gerade bei größeren Unternehmen in der Pflegebranche oft am Willen, älteren Menschen eine Chance zu geben. "Bei den großen Trägern ist das Umdenken noch nicht so sehr da, bei den kleinen schon eher", so Lehmann.

Rentnerinnen und Rentner können Teil der Lösung des Fachkräfte-Problems sein.

Kirsten Lehmann | Pflegedienst-Leiterin

Martina Wernet arbeitet 20 Stunden in der Woche als Altenpflegerin. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

In der Gesellschaft habe der Kultur-Wandel hin zu mehr Wertschätzung für ältere Menschen dagegen längst stattgefunden, so Altenpflegerin Martina Wernet. "Wir Älteren, die arbeiten, werden nicht mehr so negativ betrachtet nach dem Motto 'Du kriegst wohl den Hals nicht voll', wie es früher der Fall war", sagt die 67-Jährige.

So lange wie sie gebraucht werde und wie es ihr Spaß mache, wolle sie deshalb weiterarbeiten und ihre Erfahrung mit den jüngeren Kollegen teilen. Denn: "Wenn die Jungen und die Alten Verständnis füreinander haben, ist das eine ganz tolle Sache."

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MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Oktober 2023 | 17:00 Uhr

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