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"Sorbische Filmlandschaften"Neues Buch zeigt, wie Filme Klischees über Sorben prägten

02. Mai 2024, 04:00 Uhr

Das neue Buch "Sorbische Filmlandschaften" macht deutlich, wie stereotyp Sorbinnen und Sorben in Filmen des 20. Jahrhunderts dargestellt und mit einem kolonialen Blick betrachtet wurden. Es zeigt auch, warum sorbische Defa-Filme in der DDR kritischer sein konnten als deutsche und wie vielfältig die sorbische Filmlandschaft ist. So drehte schon Stummfilmstar Asta Nielsen im Spreewald. Mitherausgeberin des Buchs ist Grit Lemke, Regisseurin des Films "Bei uns heißt sie Hanka".

Das neue Buch "Sorbische Filmlandschaften" setzt sich auf 419 Seiten mit der Geschichte des sorbischen Films auseinander. Herausgegeben haben es die Filmemacherin und Autorin Grit Lemke und der Medienwissenschaftler Andy Räder.

Die große Zeit des sorbischen Films bricht gerade an.

Grit Lemke, Filmemacherin und Mitherausgeberin des Buches

Der Buchtitel "Sorbische Filmlandschaften" ist passend gewählt, denn die Landschaft spielt in den Filmen, die in dem Buch versammelt und analysiert worden sind, immer wieder eine zentrale Rolle.

Der Spreewald ist natürlich dabei, aber auch die sich über Jahrzehnte vollziehende Zerstörung des Lebensraumes der Sorben durch den Braunkohleabbau spielt eine Rolle.

Zur sorbischen Lebensrealität gehören auch Landschaften, die durch den Braunkohletagebau zerstört wurden. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Asta Nielsen im Spreewald

Die Herausgeber haben in den vergangenen vier Jahren recherchiert, in Archiven gegraben und letztlich 150 Produktionen zusammengetragen. Diese sind zwischen 1907 und 1991 entstanden.

Darunter befinden sich klassische Kulturfilme und ethnografische Dokumentationen, die auf das Leben der Sorben blicken: Ostereierbemalen, Maibaumsetzen, Trachten – Sujets, die sich bis heute erhalten haben. Aber auch "Der fremde Vogel" von 1911 mit Stummfilmdiva Asta Nielsen ist darunter, der im Spreewald spielt.

Der Film "52 Wochen sind ein Jahr" von Richard Groschopp ist 1955 entstanden und erzählt vom sorbischen Landleben, basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Jurij Brězan. Bildrechte: DEFA-Stiftung

Stereotyp der rückständigen Sorben

Gemeinsam ist den meisten dieser frühen Filme, dass in ihnen Stereotype bedient werden. Lemke spricht hier von einem kolonialen Blick auf die Sorben und sagt, "dass zum Beispiel die Mitglieder der Minderheit als rückständig gezeigt werden, immer verwurzelt in der Vergangenheit. Sie werden immer rückwärtsgewandt dargestellt. Sie werden immer mit Traditionen in Beziehung gebracht."

Spreewald, Trachten, Traditionen – das sind die Stereotype zu den Sorben. Bildrechte: IMAGO / Arkivi

Vertreter der sorbischen Minderheit seien bei den Filmen zudem selten in leitenden Positionen zu finden. Sie träten als Statisten auf und ihre Sprache werde nicht verwendet. So gebe es, sagt Lemke, ein paar Merkmale letztendlich rassistischer Darstellung ethnischer Minderheiten. Indem dies im Buch thematisiert wird, wollen die Autoren ein Bewusstsein dafür schaffen, etwa mit Blick auf künftige Produktionen.

Keine Kameras von der Defa

Mit der Gründung der Defa-Produktionsgruppe Sorbischer Film/Serbska filmova skupina 1980 begannen dann aber auch Sorben, Filmgeschichte zu schreiben. Zumeist waren es Autodidakten, wie etwa der Regisseur und Leiter Toni Bruk, die im eigenen Studio in Bautzen zwei bis drei Filme pro Jahr produzierten.

"Die Schmerzen der Lausitz" ("Žałosći nam Łužyca") von Peter Rocha ist in der Wendezeit 1989/90 entstanden und zeigt schonungslos die landschaftlichen Verwüstungen durch eine verfehlte Energiepolitik der DDR. Bildrechte: DEFA-Stiftung

Allerdings unter erschwerten Bedingungen. Sie hätten zum Beispiel nicht die Mittel wie die anderen Defa-Studios gehabt, erläutert Lemke. Oft hätten sie keine Kamera bekommen und diese anfordern müssen, das aber nicht etwa bei der Defa, ihrem eigenen Betrieb, sondern in Bratislava, Prag oder Warschau. Daran sehe man auch, welchen Stellenwert sie in der Defa gehabt hätten: "Die waren komplett marginal", sagt Grit Lemke.

Sorbische Filmversionen waren in der DDR viel kritischer

Ein Vorteil sei allerdings gewesen, dass man dem Team in Bautzen nicht so genau auf die Finger geschaut habe. Die Filme wurden beispielsweise immer in zwei Sprachversionen erstellt, wobei ausschließlich die deutsche Fassung offiziell abgenommen wurde. Das bot den Filmemachern Spielräume. Und so sind die sorbischen Texte weitaus kritischer, thematisieren die Umweltzerstörung in der Lausitz und damit einhergehend das allmähliche Verschwinden des sorbischen Lebens dort.

Der Film "Sehnsucht" (1990) ist nach der Novelle "Der Kirschbaum" des sorbischen Schriftstellers Jurij Koch entstanden und betrachtet eine dramatische Liebesbeziehung. Bildrechte: DEFA-Stiftung

Neuer Aufwind für sorbischen Film

So waren die 80er-Jahre – bis zur Auflösung 1990 – das produktivste Jahrzehnt im sorbischen Filmschaffen. Bisher, muss man sagen, denn seit einigen Jahren gibt es neuen Aufwind für den sorbischen Film. Es ist ein Kapitel in der Filmgeschichte, auf das Lemke am Ende des Buches blickt und in das sie sich letztlich selbst mit ihrem aktuellen Film "Bei uns heißt sie Hanka" mit eingeschrieben hat.

Lemke bemerkt dazu: "Die große Zeit des sorbischen Films bricht gerade an. Wir haben so viele interessante, junge, hauptsächlich Akteurinnen, aber natürlich auch Akteure, die wirklich mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein da rangehen. Das sind hauptsächlich Kunstkollektive, die sind sehr feministisch geprägt – aber die machen das eben konsequent aus der sorbischen Perspektive."

Insofern findet die sorbische Filmgeschichte eine Fortsetzung – was durchaus auch für "Sorbische Filmlandschaften" möglich ist. Denn, so sind sich die Autoren sicher, es schlummern in den Archiven noch weitaus mehr davon.

Angaben zum Buch

"Sorbische Filmlandschaften"/"Serbske filmowe krajiny"
Herausgegeben von Grit Lemke und Andy Räder

416 Seiten, 43 Fotos, Paperback
inklusive 2 DVDs
ISBN 978-3-86505-424-1

Berz + Fischer Verlag

Bildrechte: Bertz + Fischer Verlag

Quelle: MDR KULTUR (Grit Krause); redaktionelle Bearbeitung: op

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 17. April 2024 | 07:40 Uhr