Oberlandesgericht DresdenLina E.-Prozess: Anklage sieht Vorwurf der kriminellen Vereinigung bestätigt
Seit anderthalb Jahren läuft der Prozess gegen Lina E. und drei weitere mutmaßliche Linksextremisten vor dem Oberlandesgericht in Dresden. Am vergangenen Donnerstag hat die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer begonnen. Sie sieht die Existenz einer kriminellen Vereinigung als erwiesen an. Allerdings ist ihre Argumentation nicht immer stringent.
- Oberstaatsanwältin sieht Zunahme von politischer Gewalt zwischen Rechten und Linken.
- Tätliche Angriffe gegen Rechtsextreme wurden in der Gruppe trainiert.
- Der Prozess zieht sich weiter hin, frühestens im Mai ist mit dem Urteil zu rechnen.
Es ist der Moment, auf den viele nach anderthalb Jahren Prozess gewartet haben. Im Verfahren gegen Lina E. und drei weitere mutmaßliche Linksextremisten hat die Bundesanwaltschaft vergangenen Donnerstag mit ihrem Plädoyer begonnen. Und so fing die Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn als Anklagevertreterin ihren Schlussvortrag auch mit der Feststellung an, dass politische Gewalt zwischen dem rechten und linken politischen Lager in den vergangenen Jahren wahrnehmbar zugenommen habe.
Kriminelle Vereinigung wollte rechte Gegner körperlich verletzen
Die Oberstaatsanwältin stellte im weiteren Verlauf fest, dass aus ihrer Sicht seit 2018 in und um Leipzig eine kriminelle Vereinigung besteht, die politische Gewalttaten mit dem Ziel begangen hat, "die politischen Gegner aus der rechten Szene körperlich anzugreifen und zu verletzten". Deren Angehörige sollen die in Dresden Angeklagten und weitere Personen sein. Außerdem soll diese Gruppe keinen streng hierarchischen Aufbau oder eine starre Rollenverteilung gehabt, sondern eher ein "flexibles Geflecht" dargestellt haben.
Es bestand das Ziel, die politischen Gegner aus der rechten Szene körperlich anzugreifen und zu verletzen.
Alexandra Geilhorn | Oberstaatsanwältin
Gewalt gegen Rechtsextreme wurde trainiert
Herausragend sei die Gruppe Geilhorn zufolge allerdings aufgrund ihrer Brutalität gewesen. Durch ihr Ausmaß an Gewalt und die Schwere der Taten, habe sie sich von anderen militanten Akteuren abgegrenzt. Den Beweis für die Existenz dieser kriminellen Vereinigung haben laut Bundesanwaltschaft nicht zuletzt die Aussagen des sogenannten "Kronzeugen" Johannes D. geliefert. Der hatte vor Gericht ausgesagt, dass der entsprechende Personenkreis sich in wechselnden Konstellationen immer wieder zu "Szenario"-Trainings getroffen habe, bei denen gewalttätige Angriffe auf Rechtsextreme geübt worden seien.
Staat muss körperliche Unversehrtheit aller Bürger garantieren
Wie die Oberstaatsanwältin zu Beginn ihres Plädoyers erklärte, haben die Angeklagten "für ihre Definition von Antifaschismus" das "Recht in eigene Hände genommen" und Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Der Staat könne aber nicht erlauben, dass politische Akteure ihren politischen Meinungskampf gewalttätig austragen und so das staatliche Gewaltmonopol untergraben würden, erklärte sie weiter. Er habe folglich die Pflicht, die körperliche Unversehrtheit all seiner Bürger zu gewährleisten.
"Es gibt keine gute politische Gewalt", unterstrich die Staatsanwältin. Politische Gewalt werde nicht besser oder schlechter abhängig davon, gegen welche Person sie sich richte, führte sie weiter aus. "Der Zweck heiligt nicht die Mittel, denn Aktion führt zu Gegenreaktion." Den Angeklagten warf sie daher vor, mit ihren Aktionen nur "die Radikalisierung der politischen Lager vorangetrieben" zu haben. Daher sei es auch Zweck des Verfahrens, ein starkes Signal gegen die "Gefahren einer politischen Eskalationsspirale" zu senden. Diese würde schließlich auch die Gesamtgesellschaft belasten.
Es gibt keine gute politische Gewalt.
Alexandra Geilhorn | Oberstaatsanwältin
Welche Rolle spielt die "215er Liste"?
Aus Sicht des Staates ist diese Argumentation nachvollziehbar. Ein Staat kann kein Interesse daran haben, dass Recht und Gesetz durch Selbstjustiz durchgesetzt werden. Aus Sicht des Staates gerät diese Argumentation allerdings in eine Sackgasse, sobald Oberstaatsanwältin Geilhorn in ihrem Plädoyer auf die sogenannte "215er Liste" verweist.
Dabei geht es um ein Tatgeschehen vom 11. Januar 2016. Damals hatten rund 250 bis zu 300 Neonazis und rechtsextreme Hooligans den linksalternativen Stadtteil Connewitz überfallen, Autos und Geschäfte zerstört und mehrere Personen verletzt. Auf der "215er Liste" stehen die Namen der Beteiligten, die später von der Polizei festgesetzt wurden. Geilhorn nutzte diese Liste mehrfach in ihrem Plädoyer, um mutmaßliche Motive für die Überfälle sowie die Auswahl der Opfer zu geben. Für Lina E., von deren herausragender Stellung innerhalb der Gruppe die Oberstaatsanwältin überzeugt ist, und für ihren untergetauchten Verlobten Johann G., habe diese Liste folglich eine besondere Bedeutung gehabt.
Der Überfall auf Connewitz und die laut Beobachtern schleppende juristische Aufarbeitung sind nach den Recherchen des Autors ein Beispiel dafür, wie der Staat im Kampf gegen Rechtsextremismus versage. Nach Recherchen der MDR-Redaktion "Exakt" aus dem Jahr 2016 war es schon damals klar, dass es sich bei dem Vorfall um eine gezielte und lange geplante Aktion gehandelt hat. Bis heute konnten nach Informationen des MDR die Ermittlungsbehörden nicht die Hintergründe der Geschehnisse aufklären und die juristischen Verfahren gegen alle Tatverdächtigen beenden.
Beweisführung im Einzelfall umstritten
Zugleich musste Oberstaatsanwältin Geilhorn in ihrem Plädoyer für die verhandelten Einzelfälle einräumen, dass es oft nicht "den einen Beweis" gäbe. Vielmehr komme es ihrer Aussage nach "auf die Gesamtschau" zahlreicher Indizien an, die für sich genommen als unbedenklich gelten würden. In der Folge musste die Bundesanwaltschaft das Alibi des Jonathan M. für eine Tat bereits einräumen und erklärte zudem, ihn nur aufgrund eines falsch interpretierten, abgehörten Gesprächs verdächtigt zu haben. Sie bleibt jedoch weiterhin davon überzeugt, Lina E. auf derselben Basis für den Überfall auf einen Kanalarbeiter in Leipzig Connewitz im Januar 2019 verurteilen zu können.
Die Verteidigung von Lina E. verfolgte das Plädoyer der Bundesanwaltschaft laut Prozessbeobachtern mitunter mit Kopfschütteln. Bevor sie Ende April ihre Interpretation der Geschehnisse geben kann, wird die Bundesanwaltschaft am Mittwoch verkünden, welches Strafmaß sie für die Angeklagten fordert. Auch die Nebenklage, die Anwälte der überfallenen Rechtsextremen, wird noch plädieren. Frühestens für den 10. Mai ist nach MDR-Informationen mit einem Urteil des Staatsschutzsenats zu rechnen.
MDR (wim)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 04. April 2023 | 06:00 Uhr