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Im Zentrum der Ausstellung steht diese Kombination aus roten Fahnen und der Laokoon-Gruppe. Bildrechte: Alexandra Ivanciu, Galerie für Zeitgenössische Kunst

Galerie für Zeitgenössische KunstFestival "Zeitgeist Irland 24" startet in Leipzig mit Künstlerin Sarah Pierce

27. Januar 2024, 10:53 Uhr

Irische Kultur ist mehr als Guinness und Saint Patrick’s Day. Darauf macht jetzt das Festival "Zeitgeist Irland 24" mit bundesweit mehr als 200 Veranstaltungen aufmerksam. In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst ist in diesem Rahmen die Ausstellung "Scene of the Myth" zu sehen. Gezeigt werden darin seit 27. Januar Installationen, Videoarbeiten und Performances der Künstlerin Sarah Pierce, die sich auch mit dem Thema Emigration beschäftigen.

Ein Pub, ein Glas Guinness und die Farbe Grün, nicht nur am Saint Patrick’s Day – das ist für viele der Inbegriff von Irland. Dabei ist irische Kultur natürlich sehr viel mehr, wie besonders wir Deutschen wissen. Weil die Regierung in Dublin die Beziehungen zu Deutschland intensivieren möchte, hat sie bereits 2018 drei Millionen Euro für ein irisches Kulturjahr in Deutschland bereitgestellt. Corona kam dazwischen. Doch 2024 ist es soweit, 200 Veranstaltungen bietet das Festival "Zeitgeist Irland 24". Auftakt war gerade in Berlin.

"Scene of the Myth": Bilder von irischen Auswanderern

Auch in Leipzig ist irische Kultur zu erleben. Unter dem Titel "Scene of the Myth" präsentiert die Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) eine Ausstellung mit Installationen der in Dublin lebenden Künstlerin Sarah Pierce.

Die Iren sind ein Volk der Auswanderer. Die Unterwerfung durch die englische Krone und Hungernöte bewirkten, dass heute rund 80 Millionen Menschen irischer Abstammung auf der Welt verteilt sind. Dies nahm die über 20 Jahre in Dublin lebende US-amerikanische Künstlerin Pierce zum Anlass für ihre Arbeit "Pathos of Distance – Pathos der Distanz" aus dem Jahr 2015. Sie fertigte Reproduktionen von 42 Gemälden und Grafiken an, die sich auf die Emigration der Iren aus ihrem Land beziehen.

Die ausgestellten Bilder verweisen auf die Emigration von Irinnen und Iren. Bildrechte: Alexandra Ivanciu, Galerie für Zeitgenössische Kunst

Es sind Bilder, die zwischen 1813 und 1912 entstanden und denen ein gewisses Pathos, eine Verklärung, inne wohnt, wovon man sich bei Betreten der GfZK in Leipzig überzeugen kann.

Sarah Pierce erzählt vom schwierigen Aufbruch in die neue Welt

Natürlich beließ es Pierce nicht dabei, sie kombinierte die Bilder mit verwohnten Möbeln, wie man sie beim Gebrauchtwarenhändler findet. Es stellt sich unter anderem ein Gefühl von Schäbigkeit ein und lässt nachvollziehen, wie schwierig und wenig heroisch der Aufbruch der Iren in die Welt einst war.

"Meine Idee war es, diese sehr einfachen Möbel in einen musealen Kontext zu bringen und sie ganz besonders darzustellen", betont Pierce. "Da habe ich Reproduktionen von Gemälden gemacht, in denen man mindestens ein Objekt oder eine Person irischer Herkunft identifizieren kann. Viele der Dargestellten auf den Bildern haben Irland verlassen." Über Flucht und Emigration der Iren und Irinnen vor über 100 Jahren nachzudenken, dazu regt Pierce mit ihrer Arbeit an.

Gebrauchte Möbel wie diese bildeten einst den Hintergrund menschlicher Lebenswelten. Bildrechte: Alexandra Ivanciu, Galerie für Zeitgenössische Kunst

Rote Fahnen und Laokoon: "radical chic" auf dem "Campus"

Auf Selbstverständigung all jener mit Hochschulabschluss setzt indessen im "radical chic" die Arbeit "Campus" von Pierce aus dem Jahr 2011. In einem White Cube wehen gefühlt dramatisch große rote Fahnen, aber auch eine Laokoon-Gruppe steht nicht weniger spektakulär im Raum. Sie ist eine Leihgabe der Uni Leipzig, die, wie fast jede europäische Universität eine Kopie besitzt.

Die Thematik Laokoons und seiner Söhne gehörte einst zum Selbstverständnis im Geistesleben europäischer Universitäten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte in den USA die Bürgerrechtsbewegung die Gesellschaft und die Laokoon-Gruppen wurden auf den europäischen Uni-Campi durch rote Fahnen ersetzt, beiderseits des Eisernen Vorhangs – auf der einen Seite durch die 68er-Studentenrevolution, auf der anderen durch stalinistischen Terror.

Die Studentenproteste von 1968 an der Universität Dublin führten auch zu zerstörten Reliefs. Bildrechte: Alexandra Ivanciu, Galerie für Zeitgenössische Kunst

Momente der Entscheidung

"Was wird auf die roten Fahnen folgen?", scheint die Installation zu fragen. "Das Einüben von Narrativen, von Erzählungen ebenso wie von Handlungen und Gesten, darauf kommt Pierce in ihren Arbeiten immer wieder zu sprechen," betont Kuratorin Rike Frank. Es gehe um immer um Momente der Entscheidung: "Was nehmen wir mit und wo führen wir Veränderungen ein? Wie radikal können wir werden, ohne vielleicht zu weit zu gehen? In wieweit müssen wir wissen, was wir überhaupt wollen oder reicht es erst einmal, dagegen zu sein?"

Eine Kopie der Laokoon-Gruppe als Leihgabe der Uni Leipzig steht jetzt in der GfZK. Bildrechte: Alexandra Ivanciu, Galerie für Zeitgenössische Kunst

Festival "Zeitgeist Irland 24": Pierce als Botschafterin für irische Kultur

Die Schau von Pierce ist eine Übernahme vom Irish Museum of Modern Art in Dublin aus dem Jahr 2023. Rike Frank hat die Schau von Pierce in der GfZK betreut und kuratiert.

Insgesamt acht Installationen, Performances und Videoarbeiten geben in Leipzig herausfordernd aber auch unterhaltsam einen Einblick in rund 20 Jahre von Pierce' künstlerischem Schaffen. Die 1968 in Connecticut geborene Künstlerin vertrat 2005 Irland auf der Biennale in Venedig. Nun ist sie in der GfZK Botschafterin für die irische Kultur innerhalb des Festivals "Zeitgeist Irland 24".

Im großen Schaufenster der GfZK sind von außen indessen zwei Stühle und ein berühmtes Foto von Bruce Naumann zu sehen, auf dem der Konzeptkünstler 1966 dokumentierte, wie er im Studio zwischen zwei Stühlen lag, nach dem misslungenen Versuch, zwischen den Sitzgelegenheiten zu schweben. Pierce mit ihrer Installation sowie die GfZK verstehen die Stühle denn auch als Einladung an das Publikum.

Quelle: MDR KULTUR (Ulrike Thielmann), Redaktionelle Bearbeitung: op, ks

Angaben zur Ausstellung: "Scene of the Myth"Sarah Pierce: Scene of the Myth

27. Januar bis 26. Mai 2024

"Galerie für Zeitgenössische Kunst" | Neubau
Karl-Tauchnitz-Straße 9 bis 11, 04107 Leipzig

Zu folgenden Terminen aktivieren Performer:innen Werke in der Ausstellung:
Mittwochs, 16 bis 18 Uhr: 31.1., 21.2., 28.2., 20.3., 27.3., 17.4., 24.4., 22.5.
Samstags, 14 bis 16 Uhr: 3.2., 10.2., 2.3., 9.3., 6.4., 13.4., 4.5., 11.5.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 27. Januar 2024 | 08:45 Uhr