Kaufkraft und Konsum"Paprika ist heutzutage schon eine Investition": Wie Verbraucher auf die Inflation reagieren
Eine hohe Inflationsrate, Krieg in der Ukraine und konjunkturelle Unsicherheiten beschäftigen auch die Thüringer. Das hat Folgen für ihr Konsumverhalten.
"Man gönnt sich weniger von diesen Kleinigkeiten, die man sich zuvor im Laufe eines Monats mal gegönnt hat", berichtet eine Frau auf dem Erfurter Fischmarkt auf die Teuerungen angesprochen. Höhere Rechnungen beim Tierarzt und steigende Preise für Nahrungsmittel und Energie, das mache ihr Sorgen und müsse dennoch bezahlt werden.
Der Ukrainekrieg, Unsicherheiten auf dem Finanzmarkt und Material- und Lieferengpässe: Diese Ereignisse prägen auch die Thüringer. Die Inflationsrate ist so hoch wie nie seit der Wiedervereinigung. Dabei hatte nach der Pandemie gerade eine konjunkturelle Erholung eingesetzt.
Die privaten Konsumausgaben waren im Jahr 2022 laut dem Statistischen Bundesamt die wichtigste Wachstumsstütze der deutschen Wirtschaft. So waren diese um 4,6 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021 gestiegen. Damit war fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Die Deutschen hatten nach dem Ende der Corona-Beschränkungen wieder Lust zum Shoppen und Konsumieren.
Suhl hat größte Kaufkraft in Thüringen
Wie viel Geld den Thüringerinnen und Thüringern dafür zur Verfügung steht, ist abhängig von ihrem Einkommen. Das unterscheidet sich je nach Region auch innerhalb des Freistaates. Hierzu kann die Kaufkraft betrachtet werden. Diese gibt Auskunft darüber, wie viel verfügbares Einkommen für Konsum Menschen einer Region haben. Die Kaufkraft wird unter anderem als Index dargestellt. Für Gesamtdeutschland ist der Normwert 100. Liegt der Kaufkraftindex einer Region über 100, besitzt diese eine überdurchschnittliche Kaufkraft - und umgekehrt.
Durchaus überraschend: 2022 hatte in Thüringen Suhl die größte Kaufkraft mit einem Index von 94,9, gefolgt von Erfurt mit 92,5. Die Kaufkraftdaten hat MDR THÜRINGEN bei den Industrie-und Handelskammern Erfurt, Süd- und Ostthüringen erfragt, für die sie vom Forschungsinstitut MB-Research GmbH erstellt wurden. Am niedrigsten war die Kaufkraft demnach 2022 im Landkreis Nordhausen.
Doch warum ist gerade in Suhl die Kaufkraft so hoch? Die IHK Südthüringen vermutet, dass es am hohen Anteil von Menschen liegt, die Rente beziehen. Ältere Menschen sparten im zunehmenden Alter weniger und hätten demnach mehr Geld, das sie zum Konsumieren ausgeben können. Weiterhin kann es daran liegen, dass die Stadt einen hohen Akademikeranteil hat und viele Menschen im öffentlichen Dienst angestellt sind. Beide Gruppen beziehen tendenziell höhere Einkommen und können daher mehr kaufen.
Bayern im Bundesvergleich vorn
Durchschnittlich hat jeder Deutsche eine Kaufkraft von etwa 26.300 Euro pro Kopf, wie das Marktforschungsinstitut GfK für 2023 prognostiziert. Damit steigt das verfügbare Nettoeinkommen nominal um 3,3 Prozent an.
Am höchsten wird auch in diesem Jahr die Kaufkraft im bayerischen Landkreis Starnberg sein. Dort haben die Menschen etwa 37.000 Euro pro Kopf zur Verfügung, also fast 11.000 Euro mehr als der durchschnittliche Bundesbürger. Auch die Landkreise München und Ebersberg sowie die Stadt München haben mit die höchste Kaufkraft in Deutschland.
Im direkten Vergleich der Bundesländer liegt deshalb Bayern 2023 auf Platz eins im Kaufkraftranking. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft in Bayern ist mit 28.453 Euro am höchsten. Auf den Plätzen dahinter folgen Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen. Thüringen belegt Platz 14. Das GfK prognostiziert für den Freistaat eine Kaufkraft von 23.432 Euro pro Einwohner im Jahr 2023.
Auf Wärme wolle sie nicht verzichten, lieber esse sie eine Stulle weniger, erklärt eine ältere Dame mit Fahrrad. Ein junges Pärchen denkt über die erneut steigenden Preise für Benzin und Diesel nach. Sie wohnen auf dem Land. Sind auf das Auto angewiesen und hoffen, dass der Spritpreis sich zumindest stabilisiert. Bei der kleinen Umfrage in Erfurt wird deutlich, dass die Menschen besonders die Preise für Nahrungsmittel und Energie im Auge behalten.
Fast alle Befragten an diesem Freitag geben an, seit den Teuerungen verstärkt Preise zu vergleichen. Außerdem kaufen die meisten weniger Markenprodukte bei Lebensmitteln.
Gemüsepreise stiegen besonders
Häufig sind es die hohen Preise für Obst und Gemüse, die Kunden inzwischen vor dem Kauf zurückschrecken lassen. "So eine Paprika ist heutzutage schon fast eine Investition", sagt eine ältere Dame. Eine andere Frau berichtet, sie würde von ihrer Rente nun weniger Lebensmittel kaufen. Gemüse komme nun weniger auf dem Tisch oder in die Suppe. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhöhten sich die Preise für Nahrungsmittel im März 2023 um 22,3 Prozent im Vergleich zum März 2022. Zwar betrifft die Preiserhöhung alle Lebensmittel, doch besonders Gemüse ist um 27,3 Prozent teurer.
Die Konsumbereitschaft lässt langsam nach. Nachdem in den vergangenen Monaten dieses Jahres eine Erholung der Verbraucherstimmung eingetreten war, verharrt der Konsum nun im April. Die steigenden Preise dämpfen das Konsumverhalten. Der Handelsverband Thüringen e.V. gibt an, dass auch eine pessimistische Sicht der Konsumenten auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum die Kaufbereitschaft einschränkt.
Verbandsgeschäftsführer Knut Bernsen sagt aber, ob und wie viel konsumiert wird, hänge auch weiterhin vom individuellen Stand ab. So werden Menschen mit einem höheren Einkommen nur wenig an ihrem Konsumverhalten ändern, da sie die Preissteigerungen noch nicht in einem große Maße tangieren. Menschen mit geringerem Einkommen werden sich hingegen mehr anpassen.
Auf die Frage, was sich die Befragten in Erfurt weiterhin gönnen würden, auch wenn der Preis dafür steigen würde, ist die Mehrheit der Antworten dann doch eindeutig: Süßes. Nuss-Nougat-Creme, Eis, Kuchen, Schokolade: Trotz steigender Preise will sich eine Mehrheit der Befragten das Leben auch weiterhin versüßen.
Quellen zur Recherche:
Mehr zur Inflation:
MDR (mch)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag mit Haase und Waage | 19. April 2023 | 11:00 Uhr
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