Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

NaturschutzHolzeinschlag in der "Hohen Schrecke": Umweltamt leitet Verfahren ein

25. August 2022, 05:00 Uhr

Ein Holzeinschlag hatte im Winter 2021/22 viele Anwohner und Gäste der "Hohen Schrecke" beunruhigt: Im Naturschutzgebiet waren auf den Flächen des Unternehmers Lindhorst sehr viele alte Buchen gefällt worden. Das Thüringer Landesumweltamt sieht in dem Einschlag einen Verstoß gegen Naturschutzrecht. Gegen den Waldbesitzer wurde jetzt ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

von Loréne Gensel, MDR THÜRINGEN

Ein Wald nach dem Holzeinschlag - im Winter sieht er immer dramatisch aus: Verschlammte Forstwege, zerfahrene Rückegassen, Lücken im Kronendach und liegen gebliebenes Ast- und Kronenholz, soweit das Auge reicht.

Darf der Wald im Naturschutzgebiet "Hohe Schrecke" nach einem Einschlag so aussehen? Im Februar 2022 hatten Anwohner und Gäste der "Hohen Schrecke" erschrocken diese Frage gestellt, MDR THÜRINGEN hatte recherchiert und berichtet.

Jetzt ist das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) zu dem Ergebnis gekommen: Die Lindhorst-Gruppe als privater Flächeneigentümer ist in dem geschützten Wald zu weit gegangen.

Überprüfung hat Monate gedauert

Bis in den Sommer 2022 hinein hatte die mehrmonatige Prüfung gedauert. Ende April waren Vertreter der Behörde vor Ort gefahren, um den Wald in Augenschein zu nehmen und Luftaufnahmen zu machen. Die Fotos von den betroffenen Flächen zeigen ein Kronendach, das den Wald vor Sonne, Hitze und starkem Wind nur wenig schützt.

Jetzt, am Ende des Trockensommers 2022, ragen schlanke, hohe Buchen mit wenig Astwerk am Stamm und schmalen Kronen in den Himmel. Große Bereiche des Waldbodens liegen in der prallen Sonne, die Maschinenwege sind tief zerfurcht. Auf den abgeernteten Flächen liegen immer noch einzelne Stämme und viele Äste. Immer noch hantieren Waldarbeiter mit Motorsägen, wird zugeschnittenes Holz zu Poltern am Wegesrand transportiert.

Alter Wald steht seit 2004 unter Naturschutz

Nach der Begehung hatte das TLUBN Vertreter der "Naturerbe Hohe Schrecke GmbH" zu dem Einschlag angehört. Der Forstbetrieb gehört zur Unternehmensgruppe der Familie Lindhorst und besitzt seit 2014 gut 1.000 Hektar Wald in der "Hohen Schrecke". Die gehört deshalb zu den wertvollsten Wäldern Deutschlands, weil sich hier durch große Pausen in der Nutzung urwaldähnliche Areale entwickeln und seltene Arten überleben konnten.

Bereits 2004 bekam dieser Wald vom Freistaat Thüringen den Status "Naturschutzgebiet." Als sogenanntes Flora-Fauna-Habitat-Gebiet wurden der Artenreichtum und die Vielfalt der natürlichen Lebensräume bis nach Brüssel an die Europäische Union gemeldet. In einem Naturschutz-Großprojekt unter Federführung der "Naturstiftung David" werden mehrere Tausend Hektar dieses Waldes seit 2009 als Waldwildnis erhalten und geschützt.

Lindhorst hat Naturschutz-Vorgaben akzeptiert

Die Unternehmerfamilie Lindhorst wusste all das, als sie im November 2011 mit dem Land Thüringen einen Kaufvertrag über den Wald schloss. Und hat dort schriftlich bestätigt, dass man sich an waldbauliche Eckpunkte zum Schutz des alten Waldes halten will, die darüber noch hinausgehen. Aber die zum Teil weit über 100 Jahre alten Buchen und Eichen in der Hohen Schrecke - das ist attraktives Holz. Man darf einen Teil davon schlagen - wenn dabei die Vorgaben der Naturschutzgebiets-Verordnung eingehalten werden.

Zur Serie Thüringer Urwaldpfade

Das Thüringer Landesumweltamt sieht aber genau diese Vorgaben durch die Lindhorst-Gruppe verletzt. Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN schreibt die Behörde:

"Die Prüfung hat ergeben, dass es sich bei der Entnahme des Altholzes um einen Schirmschlag über 3 ha und damit um einen Verstoß gegen die Schutzgebietsverordnung handelt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 der VO). Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 der VO ist im Naturschutzgebiet … die forstwirtschaftliche Bodennutzung zulässig … Ausdrücklich ausgenommen von der o. g. Ausnahme sind jedoch Schirmschläge von mehr als drei Hektar zusammenhängender Fläche, weil dies dem Schutzzweck widerspricht."

Als Konsequenz daraus wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Auf 60 Hektar wurden Bäume abgesägt

Schirmschlag ist ein Begriff aus der Forstwirtschaft und beschreibt eine Methode für die Verjüngung des Waldes. In einem älteren Bestand werden - mehr oder weniger - alte Bäume gefällt und so das Kronendach gelichtet. So fällt genügend Licht auf die jüngeren Bäume, die die nächste Generation des Waldes bilden. Deren Wachstum wird auf diese Art gefördert und das ältere Holz gleichzeitig nur schrittweise verwertet.

Der Schirmschlag gilt als gut geeignet für Buchen- und Eichenwälder. Und als Alternative zum Kahlschlag, der im Naturschutzgebiet "Hohe Schrecke" ohnehin verboten ist. Die Größe des Schirmschlages haben Experten des TLUBN Ende April bei ihrer Begehung dokumentiert. Die Flächen, auf denen das Lindhorst-Unternehmen in der "Hohen Schrecke" vor allem Buchen geschlagen hat, summieren sich nach Angaben des Landesumweltamtes auf 60 Hektar.

Chance für den Dauerwald der Zukunft vertan

Auf den Schaden, der dem geschützten Wald dabei entstanden sei, hatte die Naturstiftung David bereits im vergangenen Winter hingewiesen. Forstassessorin Gerlinde Straka beklagte damals "regelrechten Raubbau": Gezielt hätten die Waldarbeiter starke, bis zu 190 Jahre alte Bäume entnommen und überwiegend schwächere stehen gelassen.

Jetzt sagte sie auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, bisher seien auf den abgeholzten Flächen keine gravierenden Trockenschäden zu beobachten - trotz des Dürresommers 2022. Auf diesen Flächen habe man aber rund 150 Jahre Waldentwicklung verloren. In dieser Zeit hätten sich dort Bestände mit einer großen Bandbreite an Stamm-Durchmessern entwickelt.

Diese unterschiedlichen Stammstärken hätten auch für eine sehr reiche Struktur gesorgt. Gute Bedingungen seien das gewesen, diesen Wald zu einem Dauerwald mit einem geschlossenen Kronendach zu entwickeln - mit gesicherten Lebensräumen für viele seltene Arten. Diese Chance sei jetzt vertan auf den abgeernteten Flächen. Und wie der Wald Dürresommer wie 2022 wirklich verkrafte, das werde sich erst später zeigen.

Unternehmer Lindhorst sah sich im Recht

Die "Naturerbe Hohe Schrecke GmbH" hat eine Anfrage von MDR THÜRINGEN zur Entscheidung des Thüringer Landesumweltamtes bisher nicht beantwortet. Im Februar 2022 hatte das Unternehmen auf eine Anfrage zu Details des Holzeinschlages noch schriftlich versichert:

"Die Intensität unserer Nutzung hält sich strikt innerhalb der naturnahen Bewirtschaftung, auf die wir uns aus freien Stücken in den waldbaulichen Eckpunkten festgelegt haben. An diese hohen Standards, die über die gesetzlichen Vorgaben weit hinausgehen, halten wir uns ausnahmslos. Für Ihre gegenteilige Mutmaßung gibt es keine Grundlage. Wir betreiben in der Hohen Schrecke mit hohem Aufwand eine nachhaltige und generationenübergreifende Forstwirtschaft und müssen nun befürchten, durch vage Pauschalvorwürfe öffentlich in Verruf gebracht zu werden."

Verfahren gegen Waldbesitzer noch nicht abgeschlossen

Diese Selbsteinschätzung der Lindhorst-Gruppe teilt das TLUBN ganz offensichtlich nicht. Trotz mehrfacher Nachfragen sagt das Amt nichts zum Stand und zu Details des eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahrens - aus rechtlichen Gründen, wie es hieß. So bleibt vorerst offen, ob die Fachleute der Behörde das Vorgehen der "Naturerbe Hohe Schrecke GmbH" als fahrlässig oder vorsätzlich einstufen. Und ob bereits ein Bußgeldbescheid erlassen wurde oder nicht.

Die Thüringer Verordnung über das Naturschutzgebiet "Hohe Schrecke" sieht vor, dass eine dort begangene Ordnungswidrigkeit "mit einer Geldbuße bis zu 50.000 Euro geahndet werden" kann. Der Wert der im Winter 2021/22 geschlagenen alten Buchenstämme auf dem Holzmarkt dürfte weit über dieser Summe liegen.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. August 2022 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen