Rezension "Achille in Sciro"Wiederentdeckung: Theater in Altenburg beeindruckt mit über 250 Jahre alter Barockoper
Über 250 Jahre war "Achille in Sciro" auf keiner Bühne zu erleben. Nun hat das Theater Altenburg-Gera die Oper von Johann Friedrich Agricola, einem Komponisten aus dem Altenburger Land, wiederentdeckt. Unsere Opernkritikerin ist beeindruckt.
- Aktuell ist in Altenburg eine Oper zu sehen, die zuletzt vor 250 Jahren aufgeführt wurde.
- Mit viel Action und Humor beeindruckt die wiederentdeckte Barockoper.
- Auch die Interpretation der Musik gelingt dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera und den Sängerinnen und Sängern.
Wer in Altenburg ins Theater gehen will, muss um den Großen Teich herum und das ist ein gutes Stück Weg vom Zentrum. Immerhin fährt eine Buslinie mit Halt am Theaterzelt, allerdings nur bis 19 Uhr. Mit dem ÖPNV zum Theater? Klimaschutz? Klappt leider nur partiell.
Aber auf dem Festplatz angekommen, ruft das riesige Zelt mit seinen vier Kuppeln sofort Zirkuserinnerungen in mir wach: von Löwen und Clowns, Akrobaten und Zuckerwatte und dem Geruch von Pferdemist. Im Altenburger Zelt gibt es ein großes Foyer mit Garderobe, Butterbrezen und eine erkleckliche Auswahl an Getränken.
Der barrierefreie Zuschauerraum bietet etwa 400 Plätze, eine Bühne samt Drehscheibe (!), Platz fürs Orchester und auch Backstage-Garderoben, eine Maske, Toiletten sowie eine Heizung für den Winter und eine Lüftung, um auch bei hochsommerlichen Temperaturen spielen zu können.
Geglückte Fusionierung von Altenburg und Gera
Im 19. Jahrhundert waren Altenburg und Gera wirtschaftlich potente Städte. Dementsprechend leistete man sich "sein Theater": Altenburg 1871, Gera zog um die Jahrhundertwende mit einem imposanten Jugendstilgebäude nach, das 2005 generalsaniert wurde und bis heute das architektonische Juwel der Stadt ist. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden beide Theater 1995 vergleichsweise geräuscharm fusioniert.
Heute bieten die Ensembles des Fünf-Sparten-Theaters in beiden Städten Musiktheater, Schauspiel, Ballett, Puppentheater und Konzerte an. Die Auslastung des Großen Hauses in Gera lag 2023 bei 79 Prozent, im Theaterzelt bei 73 Prozent.
Apropos: Seit September 2019 ist das Theater in Altenburg wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Durch (historischen) Pfusch am Bau, ungeahnte Schäden sowie Corona verzögerte sich die ursprünglich für 2021 geplante Wiedereröffnung, sodass nun auch das Koloraturen-Feuerwerk der barocken Oper von Johann Friedrich Agricola im Theaterzelt gezündet wird.
Die Entstehung von "Achille in Sciro"
"Ich habe Felix Eckerle [ehemaliger Chefdramaturg des Theaters Altenburg-Gera, Anm. der Redaktion] in gewisser Weise genötigt!", erzählt Bärbel Bergholz lachend. Seit über 60 Jahren interessiert sich die einstige Lehrerin für Johann Friedrich Agricola, den Jungen aus der ost-thüringischen Gemeinde Dobitschen, der am Berliner Hof als Kammermusiker und Hofkomponist Karriere machte.
Wie das kam, vor allem aber wie seine Musik klingt, wollte Bärbel Bergholz unbedingt wissen. Eine unbändige Neugier und Sammelleidenschaft treibt die 84-Jährige bis heute an: Zeitungsausschnitte, Noten, Fotos, sogar die ungedruckte Dissertation von Hermann Wucherpfennig über Agricola besorgte sich die umtriebige Rentnerin. Derzeit versäumt sie keine einzige Vorstellung des "Achille in Sciro" im Theaterzelt.
Uraufgeführt wurde die Oper 1765 auf Schloss Sanssouci anlässlich der Hochzeit von Friedrich Wilhelm II. mit Elisabeth Christine Ulrike von Braunschweig-Wolfenbüttel. Aber die Liebe war von kurzer Dauer – das Paar ließ sich nach nur vier Jahren scheiden und "Achille" wanderte ins Archiv.
Erste Aufführung seit 1765
Nun also die sogenannte neuzeitliche Erstaufführung: Regisseur Laurence Dale inszeniert kurzweilig, mit viel Action und mitunter etwas derbem Humor. Duncan Hayler hat dafür ein beeindruckend unkompliziertes Bühnenbild sowie fantastische Kostüme kreiert: Das Martialische der kämpferischen Griechen wird durch Schaumstoff-gepolsterte Heldenbrüste karikiert, der Chor in Toga-ähnliche Gewänder gekleidet, während der Tänzer Giuseppe Claudio Insalaco als Schicksal halbnackt in und außerhalb einer fahrbaren Riesenmuschel sprichwörtlich "bella figura" macht.
Musikalisch ist Agricolas Komposition ein Werk des Übergangs vom Barock zur Klassik. Zur Erinnerung: 1765 war Bach bereits 15 Jahre tot und Mozart gerade einmal neun Jahre alt!
Beeindruckend, wie detailfreudig die Damen und Herren des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera in kleiner Besetzung die fein gearbeitete Struktur der melodisch-facettenreichen Arien und Ensembles zum Leuchten bringen. Wobei Agricola, der damals auch eine "Anleitung zur Singkunst" herausbrachte, den Sängern und Sängerinnen grenzwertige Koloraturen abverlangt! Wie bravourös die (mit minimalen Abstrichen) von Solisten und Chor unter der Leitung von Gerd Amelung bewältigt wurden, nötigt schlicht Respekt ab.
Informationen zur Aufführung
"Achille in Sciro"
Barockoper
Libretto von Pietro Metastasio
Musik von Johann Friedrich Agricola
Neuzeitliche Erstaufführung (erstmals seit 1765)
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Gerd Amelung
Inszenierung: Laurence Dale
Bühne, Kostüme: Duncan Hayler
Philharmonisches Orchester Altenburg Gera
Opernchor des Theaters Altenburg Gera
Besetzung:
Licomede – Jasper Sung
Achille – Angelo Giordano
Deidamia – Julia Gromball
Ulisse – Joel Vuik
Teagene – Maximiliano Danta
Nearco – Leila Grace Hills
Arcade – Miriam Zubieta
Il destino – Giuseppe Claudio Insalaco
Termine:
Sonntag, 5. Mai 2024, 18 Uhr, Theaterzelt Altenburg
Sonntag, 19. Mai 2024, 11 Uhr, Matinee zur Oper "Achille In Sciro": Konzertsaal Gera, Eintritt frei
Freitag, 24. Mai 2024, 19:30 Uhr, Großes Haus Gera
Sonntag, 26. Mai 2024, 14:30 Uhr, Großes Haus Gera
Freitag, 31. Mai 2024, 19:30 Uhr, Großes Haus Gera
Sonntag, 9. Jun 2024, 14:30 Uhr, Großes Haus Gera
Quellen: MDR KULTUR (Bettina Volksdorf), redaktionelle Bearbeitung: hro, sg
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Vormittag | 13. April 2024 | 10:10 Uhr