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Nach ZwangsumzugSoziokulturelles Zentrum "CarlA" bei Jena will Utopia für alle sein

09. Oktober 2022, 13:54 Uhr

Vor zweieinhalb Jahren ließ das Land ein soziokulturelles Zentrum am Inselplatz in Jena für den Bau des neuen Uni-Campus abreißen. Die Bewohner zogen daraufhin in den ehemaligen Gasthof "Carl August" vor den Toren der Stadt. Das alternative Wohn- und Kulturprojekt "CarlA" will Freiräume für jede und jeden bieten, möglich macht das auch im Winter eine neue Heizung.

von Olaf Nenninger, MDR THÜRINGEN

Nach dem Zwangsumzug der "Insulaner" aus Jena vor zweieinhalb Jahren raus ins Mühltal hat sich im ehemaligen Gasthaus "Carl August" viel getan. Zweifellos größter Verdienst der zehn Bewohner ist, dass sie das alte Gebäude vor dem endgültigen Verfall gerettet haben. Denn das stand jahrelang größtenteils leer, lediglich einige ausländische Studierende waren unter erbärmlichen Bedingungen im Dachgeschoss einquartiert.

Altes Gasthaus fantasievoll umgestaltet

Jetzt pulsiert wieder Leben in den alten Mauern. Die Bewohner haben das Haus, das sie von der Landesentwicklungsgesellschaft LEG gepachtet haben, nach ihren Bedürfnissen umgebaut. Da, wo früher Braten und Klöße serviert wurden, ist jetzt ein Musikzimmer mit Hammond-Orgel und Percussions, dahinter ein Wohnzimmer mit riesigem Hochbett für Gäste. Die Balken dafür stammen aus dem Dach der alten "Insel" in Jena. Der ehemalige Tanzsaal des Gasthauses ist nun ein Veranstaltungsraum für Partys, Workshops und Vorträge - zugänglich über eine fantasievoll gestaltete kleine Holzbrücke.

Eigenes Utopia statt bürgerlicher Spießigkeit

Fantasievoll wie der Rest des Hauses und der weitläufige Garten. Ein Spielplatz für Erwachsene und damit eine mittlerweile bewährte Location für Feste und Konzerte. Allerdings müssen sich die Besucher den Garten mit ihren Hühnern teilen, denn bei Eiern setzt die "CarlA" auf Selbstversorgung. In der großen Küche wird viel und zumeist vegetarisch und vegan gekocht, die Lager sind voll mit Trockenprodukten wie Nudeln und Reis. Eingekauft wird bei einem Biogroßhändler. Wöchentlich holen sich die Bewohner Kisten mit frischem Gemüse.

Studierende, Auszubildende und Berufstätige leben und arbeiten in der "CarlA". Sie eint der Wunsch, in einer Gemeinschaft zu leben - jenseits etablierter und bürgerlicher Lebensentwürfe - mit dem nötigen Freiraum, sich auzuprobieren, wie sie sagen. Oder wie es Alex, einer der Bewohner, formuliert: "Es steht jedem frei, hier sein eigenes Utopia zu verwirklichen."

Kulturort für alle

Gemeint sind damit aber eben nicht nur die Bewohner, sondern alle, die wollen. Viele Räume sind öffentlich und laden zum Experimentieren und Mittun ein, wie das Soundlabor und oder das Atelier. Die Wände des kleinen Innenhofs sind mit Graffiti überzogen. Sie rühren aus einem Workshop mit Jugendlichen, der an Pfingsten vom "Jugendforum Weimarer Land" durchgeführt wurde.

Derartige kulturpraktische Angebote soll es künftig häufiger geben. Bewohnerin Milena ist davon überzeugt, dass sie damit "Perspektiven für Jugendliche aus dem umliegenden Dörfern schaffen" können. Nachdem die Insel mehr oder weniger aus Jena rausgeworfen wurde, orientiert sich die CarlA nun verstärkt in die sie umgebende Fläche. Dabei will sie so etwas wie ein Netzwerkknoten für soziokulturelle und niedrigschwellige Angebote sein.

Spendensammlung für Holzvergaserheizung

Diese Vernetzungsarbeit kann nun auch im kommenden Winter ohne klamme Finger weitergehen. Denn die Bewohner der "CarlA" wollen und können sich demnächst den Wunsch einer schadstoffarmen und effizienten Holzvergaserheizung erfüllen. Möglich gemacht hat das die Spendenbereitschaft der Carla-Sympathisanten auf der Online-Plattform Jena-Crowd. Mehr als 8.000 Euro sind dort binnen weniger Wochen zusammengekommen. Die uralte Ölheizung aus den 90er-Jahren kann nun endlich raus. Und damit auch eine der letzten Erbschaften des alten "Carl August".

MDR (one,ask)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Der Sonntagmittag | 09. Oktober 2022 | 13:15 Uhr

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