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UngarnOrbáns Etikettenschwindel

01. August 2019, 05:00 Uhr

Während der jährlichen Fidesz-Sommerakademie im rumänischen Siebenbürgen hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Vision einer "christlichen Demokratie" dargelegt. Die ist aber weder demokratisch noch christlich.

von Thyra Veyder-Malberg

Wird aus einem Trabi ein Ferrari, wenn man ihn rot anmalt? Viktor Orban würde diese Frage wohl mit ja beantworten. Zumindest entsteht dieser Eindruck, führt man sich seine Rede zu Gemüte, die der ungarische Ministerpräsident jüngst während der jährlichen Fidesz-Sommerakademie in Băile Tușnad in der rumänischen Region Siebenbürgen gehalten hat. Wieder legte er vor begeistertem Publikum in einer langen Rede seine Weltsicht dar. Unter anderem seine Vorstellung einer "illiberalen Demokratie" – eines Konzepts, dass er 2014 an gleicher Stelle erstmals vorstellte. Nur hat dieses Konzept, das so häßlich nach Unfreiheit klingt, heuer ein neues Label bekommen: nämlich das einer "christlichen Demokratie".

Verkehrte Welt

Ungarische Politikwissenschaftlerin Ellen Bos. Bildrechte: Ellen Bos/MDR

Damit bezeichnete Orbán seine Vorstellung eines nicht-liberalen Staates, zu dem er Ungarn inzwischen umgebaut hat. Geht es hier also um eine neue Staatsphilosophie? Eher nicht. "Mit der Einführung dieses Begriffes der christlichen Demokratie versucht  Orbán den negativ konnotierten Begriff der illiberalen Demokratie zu ersetzen", sagt die Politikwissenschaftlerin Ellen Bos von der Andrássy-Universität Budapest. Es gehe dabei also weniger um den Verweis auf ein christliches Menschenbild als Leitmotiv des ungarischen Staates als um schlichtes Marketing.

Diese "illiberale" oder eben auch vermeintlich "christliche" Demokratie ist für Orbán die Antithese der liberalen Demokratie, die auf dem Gedanken eines freien Individuums fußt, das unveräußerliche Rechte hat. Orbáns Illiberalismus verkehrt diese Vorstellung ins Gegenteil: "Diese Art zu denken stellt fest, dass die Freiheit des Einzelnen niemals den Interessen der Gemeinschaft übergeordnet sein darf", sagte Orbán in seiner jüngsten Rede in Siebenbürgen. Das Christentum hingegen betrachtet den Menschen zuvorderst als freies Individuum – schließlich ist er Geschöpf und Abbild Gottes - und nicht etwa Teil eines Kollektivs. Besonders christlich ist Orbáns Staatsverständnis also nicht.

Gemeinwohl per Diktat

Nach Orbans Vorstellung ist es also nicht der demokratisch erzielte Konsens der Bevölkerung, der ein gemeinsachftliches Interesse festsetzt, sondern das Diktat von Oben. "In Ungarn haben wir die Situation, dass Viktor Orbán, seine Regierung und seine Partei den Anspruch erheben, zu wissen, was das Beste für die Gemeinschaft ist. Da wird dann eben gerne Bezug genommen auf die traditionellen Werte wie Christentum, Familie, Geschichte, Tradition. Das sind die wesentlichen Bezugssysteme, die das dann legitimieren sollen."

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bei einer Rede vor seiner Fidesz-Partei im April 2019. Bildrechte: imago images / PuzzlePix

Der Liberalismus und seine Vertreter werden als Feind aufgebaut. Dabei scheut Orbán nicht davor zurück, für seine Anhänger ein Zerrbild der freiheitlichen Demokratie zu zeichnen. So behauptet er etwa, im Liberalismus würde im Endeffekt das Recht des Stärkeren gelten. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Gerade weil jedes Individuum Rechte hat, können diese eben nicht einfach durch den Stärkeren verletzt werden.

Feinde überall

Dieses Feindbild nutzt Orbán gleich dafür, sich und seine Partei als Opfer zu inszenieren. Die Vertreter des Liberalismus innerhalb der EU würden nach seinen Worten nicht auf demokratische Weise mit Ungarn um den richtigen Weg ringen, sondern Ungarn mit einer Hasskampagne überziehen und bekämpfen. "Er konstruiert sich einen Gegner, den es so gar nicht gibt", sagt Ellen Bos.  "Er braucht das ja auch. In genau diesem Passus der Rede sind auch die Vertragsverletzungsverfahren enthalten, die die europäische Kommission gegen Ungarn eingeleitet hat. Das wird interpretiert als Teil dieses hasserfüllten Kampfes gegen Fidesz und nicht als Teil eines vertraglich geregelten Prozesses", sagt Bos.

Seit der Wahl Viktor Orbáns zum Ministerpräsidenten Ungarns 2010 ist das Verhältnis des Landes zur EU zunehmend schwieriger geworden. Bildrechte: imago/Belga

Erst am Donnerstag hat die EU-Kommission beschlossen, Ungarn wegen seiner Asylpolitik vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Und die finnische Ratspräsidentschaft hat angekündigt sich verstärkt um die Einhaltung Rechtsstaatlicher Normen kümmern zu wollen.

Und so bleibt von Orbáns vermeintlichen Philosophie einer "christlichen Demokratie" wieder einmal nur: Die Ausweitung des eigenen Machtanspruches und die Konstruktion eines Feindbildes um die wiederholte Kritik an der Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien zu delegitimieren. Das ist nun weder besonders christlich, noch wirklich demokratisch.  

Fidesz SommerakademieOrbáns Auftritt im Kurort Băile Tușnad gilt als eines der wichtigstens Ereignisse seiner Fidesz-Partei. Seit 1989 treffen sich jährlich junge Intellektuelle und Parteigrößen an einem für sie symbolischen Ort - in Siebenbürgen, dem Teil, den Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien verloren hatte. Der Kurort Băile Tușnad gehört zum Kreis Harghita, in dem rund 85 Prozent der dortigen Einwohner zur ungarischen Minderheit gehören. Zuhörer für die ungarischen Fidesz-Politiker gibt es damit ausreichend. Doch inzwischen geht es bei den Reden im Sommerlager nicht mehr nur um Autonomieforderungen für Siebenbürgen. 2014 sorgte der ungarische Regierungschef mit seinem Konzept einer "illiberalen Demokratie" im Sommerlager europaweit für Schlagzeilen.

Über das Thema berichtete der MDR auch im TV:Heute im Osten - Reportage: "Wir Ungarn" | 11.03.2017 | 18:00 Uhr

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