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Colonia DignidadGräuel hinter den Mauern einer deutschen Mustersiedlung

11. Juli 2016, 14:12 Uhr

Die berüchtigte deutsche Siedlung "Colonia Dignidad" (Kolonie der Würde) wurde ab 1961 rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile aufgebaut. Geführt wurde das befestigte Lager mit seinen sektenähnlichen Strukturen jahrzehntelang von Paul Schäfer (4. Dezember 1921 - 24. April 2010). Nach dem Sturz der Pinochet-Diktatur wurde die Anlage 1991 in "Villa Baviera" (Bayerisches Dorf) umbenannt.  

Diktatur innerhalb einer Diktatur

Der Laienprediger Schäfer war 1961 mit Anhängern seiner totalitären urchristlichen Sekte "Private Sociale Mission" aus Siegburg bei Bonn nach Südamerika ausgewandert. Die früher rund 300 Mitglieder lebten auf dem 15.000 Hektar großen Areal hermetisch abgeschirmt. Eine Bäckerei, ein kleines Kraftwerk, eine Krankenstation, eine Schule sowie Land- und Fischereiwirtschaft ermöglichten ein autarkes Leben der Kolonie. Palisadenzäune mit Wachtürmen sowie bewaffnete Wachposten riegelten die Siedlung ab.

In der Colonia Dignidad kam es zu systematischem Kindesmissbrauch und Freiheitsberaubung. Schäfer lebte dort seine sadistischen und pädophilen Neigungen aus. Die Führungsriege quälte die Bewohner physisch und psychisch. Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973 bis 1990) wurde die Kolonie ein Folterzentrum der Geheimpolizei.

Einigen Insassen gelang die Flucht, doch ihren Berichten über Gräuel wurde von chilenischer und auch deutscher Seite lange kein Glauben geschenkt. In den 1980er und 1990er Jahren wurden in Deutschland drei Ermittlungsverfahren gegen Schäfer und seine Handlanger eingeleitet - sie führten dort aber weder zu einem Prozess noch zu einem Haftbefehl gegen Schäfer.

Prozess gegen Schäfers Helfer Hopp

Schäfer tauchte 1997 unter und wurde acht Jahre später in Argentinien gefasst und nach Chile ausgeliefert. Wegen Kindesmissbrauchs und anderer Delikte wurde er zu 33 Jahren Haft verurteilt. Schäfer starb 2010 in einem chilenischen Gefängnis.

Der ehemalige Arzt der Siedlung, Hartmut Hopp, soll nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft Krefeld in Deutschland eine gegen ihn in Chile verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren verbüßen. Hopp war dort 2011 wegen Beihilfe zu sexuellem Kindesmissbrauch in 16 Fällen verurteilt worden, hatte sich aber nach Deutschland abgesetzt. Das Auswärtige Amt gab Ende April seine Akten zu "Colonia Dignidad" vorzeitig frei. Die deutsche Diplomatie stand lange in der Kritik, zu wenig gegen die Verbrechen in der Colonia Dignidad unternommen zu haben.

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 07. Januar 2023 | 14:00 Uhr

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