Das Altpapier am 13. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Kolumne: Das Altpapier am 13. Februar 2024 von Christian Bartels Aus dem Ruder

Kolumne: Das Altpapier am 13. Februar 2024 – Aus dem Ruder

... aber nicht ins Bockshorn: Jede Menge Einschätzungen zu einem seltsam eskalierten, zwischenzeitlich tragischen, aber auch symptomatischen Aufreger. Circa sieben neue Debatten wollen geführt werden.

Di 13.02.2024 13:04Uhr 03:35 min

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Kolumne: Das Altpapier am 13. Februar 2024 Aus dem Ruder

13. Februar 2024, 09:54 Uhr

... aber nicht ins Bockshorn: Jede Menge Einschätzungen zu einem seltsam eskalierten, zwischenzeitlich tragischen, aber auch symptomatischen Aufreger. Circa sieben neue Debatten wollen geführt werden. Außerdem: Was neue "Kompetenzcenter" pro Jahr einsparen sollen, und Neues zu Ruhegeldern und Spitzengehältern in der ARD. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Innehalten, Doppelstandards, Tröstliches (Föderl-Schmid)

"Der Fall #FoederlSchmid offenbart, dass der Elitejournalismus regelmäßig in schwierigen Situationen versagt, wenn es um ihn selbst geht. Wenig Recherche, Überreaktionen, Schuldzuweisungen an alle möglichen Dritte. Da helfen auch keine Ex-Post-Kommissionen",

twitter-/x-te Lutz Hachmeister zum seltsam eskalierten, zwischenzeitlich erschütternden und dann nicht so schlimm wie befürchtet ausgegangenen Geschehen um die "Süddeutsche"-Vizechefredakteurin.

Einerseits setzt das "Innehalten" (zunächst Carolin Emcke bei Twitter/X, dann Stefan Niggemeier im gestern hier bereits erwähnten uebermedien.de-Newsletter) den Ton. Wobei innehalten, ohne dass es jemand mitbekommt, für Medienmenschen (und wer wäre heutzutage keiner?) natürlich nichts ist. Da könnte man ja gleich unbemerkt schweigen. Insofern hagelt es Beiträge aller Art und Güte.

Die "SZ" hat ihre Auskunft, dass sie "sich bis auf Weiteres nicht äußern" möchte, im Verlauf des Montags nur leicht aktualisiert. Äußern möchte sich dagegen medieninsider.com, das eine größere Rolle in der Sache spielte ("weil auch du als unser Leser und Mitglied möglicherweise über die Nennung von Medieninsider in dem Zusammenhang gestolpert bist ..."). Es betont, ausnahmsweise ohne Bezahlschranke, die eskalierenden Begriffe nicht verwendet zu haben ("Keine 'Plagiate', kein 'Skandal', keine 'Vorwürfe' – aber eben die Frage nach Standards im Qualitätsjournalismus") und listet dann sieben (!) "Debatten, die nun geführt werden" müssten und die prallvolle Agenda bereichern, auf. Okay, die eine oder andere dieser Debatten steht vielleicht auch schon länger drauf.

"Irgendetwas ist aus dem Ruder gelaufen in der Gesellschaft. Das macht dieser Fall einmal mehr deutlich",

steht am Ende einer umfassenden "Chronologie einer Hetzjagd auf Alexandra Föderl-Schmid" des "Standard", die auch unter besonderer Berücksichtigung Österreichs das Echo in den sogenannten sozialen Medien bilanziert: Darin

"kann eine Dynamik entstehen, die auch dann nicht abbricht, wenn ein Mensch strauchelt. Posting abgesetzt, Meinung kundgetan, Urteil rausgebrüllt – mit den Auswirkungen auf die Betroffenen muss man sich nicht auseinandersetzen, das Leid bleibt virtuell. Menschen, die für etwas stehen, das andere aus irgendeinem Grund triggert, soll in Shitstorms die Würde genommen werden. Davor ist selten Schluss."

"Ob rechts, ob links, ob Mitte oder außerhalb: Eine zunehmende Anzahl von Menschen scheint sich so stark in dieses Gedankenkonstrukt verliebt zu haben, man könne mit dem Bekämpfen eines politischen Feindes alle möglichen grundsätzlichen Probleme lösen, dass sie die Realität nicht mehr wahrnehmen. Das ist gefährlich. Für uns alle",

heißt es am Ende eines umfassenden Überblicks über allerhand "Doppelstandards" und "Entgleisungen" in der "Berliner Zeitung". Außerdem meint Autorin Ruth Schneeberger, die selber lange für die "Süddeutsche" arbeitete:

"Die SZ tut sich und wohl auch ihrer Vizechefin keinen Gefallen, wenn sie bei ihrer Strategie bleibt, die Vorwürfe gegen Föderl-Schmid möglichst anderen in die Schuhe zu schieben. Sie muss sich der Sache stellen, die bei einer sachlichen Aufarbeitung ja auch zugunsten von Föderl-Schmid ausgehen kann, und zugleich ihrer offenbar stark angegriffenen Mitarbeiterin die Schulter stärken."

Dass "die SZ hier ein bisschen Harakiri der Gegenwart betrieben hat", würde Steffen Grimberg sagen (in der "taz"), und:

"Wer dort auch noch Ex-Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann, der eben erst mit dem Fall des von Russland teilfinanzierten Journalisten Hubert Seipel einen echten Skandal prüfte und bei dem immer ein Hauch Relotius mitschwingt, zum Leiter macht, gibt den Affen auch noch Zucker"

Dass es keine nachhaltige Idee ist, wenn Klusmann- bzw. "Ex-Post-Kommissionen" "anderen ihren Kram hinterher" räumen, stand sozusagen schon am Donnerstag im Altpapier. Etwas Tröstliches zu einem der Kerne der Aufregung gibt es immerhin auch: das, was der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV, der auf seinem Porträtfoto kraftstrotzend dreinblickende Mika Beuster, im "Tagesspiegel"-Interview in noch eine naturverbundene Metapher kleidet:

"Lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen: Plagiate sind kein flächendeckendes Phänomen in der deutschen Medienlandschaft. Dazu tragen Institutionen wie die funktionierende Selbstkontrolle des Presserats, knallhart recherchierende Medienjournalisten, ein ausgeprägtes Berufsethos sowie ein kritisches Publikum bei."

Die Beuster-Aussage, dass längst "fast jedes Werk ... eine Mischung aus Fremd- und Eigenleistung" ist, unterschreiben wir hier natürlich auch.

Konsens, Koordination, Kompetenzcenter (ARD)

Wo völliger Konsens herrscht, zumindest rhetorisch: rund um den ARD-Vorsitzenden.

"Wir liegen zu 100 Prozent auf der Linie des Zukunftsrats", aber auch "komplett auf einer Linie mit Rainer Robra", sagt Kai Gniffke heute auf der "FAZ"-Medienseite (Abo). Er hat seine ohnehin nie niedrige Interview-Frequenz gerade wieder erhöht (und gab etwa noch Tilmann Gangloff ein Doppelinterview mit ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch für den "Südkurier", das sich hier so oder so nachlesen lässt). In der "FAZ" strotzt Gniffke nur so vor Kraft ("Ich weiß, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Moment eine bedeutende gesellschaftliche Funktion hat, die so wichtig ist, wie vielleicht in den letzten siebzig Jahren nicht"), die sich auch in Sprachspielen gefällt ("Wenn ich aber richtig verstanden habe, sollen wir auch weiterhin unseren Auftrag in seiner ganzen Fülle erfüllen"), besonders in einem hübsch sophistischen Streit mit Interviewer Helmut Hartung, ob "Koordination" denn nun eigentlich gut ist, weil sie Aufwand verringert, oder schlecht, weil sie ihn erhöht.

Konkret geht es um Einsparungen durch die weiteren "medienübergreifenden Kompetenzcenter", die die ARD vorige Woche bei einer Intendantensitzung beschloss.

"Nach heutigem Stand werden wir durch die Kompetenzcenter in den nächsten vier Jahren jährlich 50 Millionen Euro umschichten können",

sagt Gniffke. Das entspricht Zahlen, die Claudia Tieschky in einem ausführlichen "Kompetenzcenter"-Stück Ende voriger Woche in der "SZ" (Abo) nannte. "Durch das künftige Kompetenzcenter werden Dopplungen verhindert, Aufwände reduziert und mehr exzellente Inhalte ermöglicht", kündigte die ARD selbst an. Um was für Dopplungen es geht? Um Berichte etwa über Arthrose, die künftig fürs ganze Land zwischen Bautzen und Bitburg im inzwischen aufgebauten Gesundheits-Kompetenzcenter erstellt werden (Altpapier).

Und nicht nur nach Dopplungen in den zahlreichen Magazinsendungen der Dritten sucht die ARD mit Erfolg ...

Ruhegelder, Spitzengehälter, Showminuten (auch ARD)

Außerdem wird nach Dopplungen bei den hohen Gehältern und sonstigen Einkünften und Versorgungsleistungen gefahndet, die eine schon wegen der Zahl der Anstalten hohe Zahl von Spitzenmanagern seit Jahren (oder Jahrzehnten) und oft noch für Jahre (oder Jahrzehnte) bezieht. Der RBB erzielte da mal wieder einen Erfolg, berichtete Gabi Probst unter der Überschrift "Ex-rbb-Direktoren kassierten doppelt und dreifach". Zumindest erhalte eine ehemalige RBB-Programmdirektorin seit Ende vorigen Jahres keine "monatliche Ruhegeldzahlung" mehr.

So können nun monatlich 8.200 Euro mehr ins Programm oder die Mediathek fließen! (Und würden fast schon eine Minute der dreistündigen ARD-Samstagabendshow "Frag doch mal die Maus" finanzieren. Die kostet 8.500 Euro, wie Volker Nünning für "epd medien" recherchierte)

Hohe Summen, zumal, wenn sie nicht ins Programm fließen, interessieren die Öffentlichkeit natürlich besonders. Eine öffentlich-rechtliche Zukunftsfrage lautet, ob Tom Buhrow "als bestbezahlter Intendant in die Mediengeschichte eingehen" wird, schrieb ich neulich hier. Auch dazu zirkulieren frische Zahlen aus "vertraulichen Akten der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK)", die an die "Bild am Sonntag" "durchgestochen worden" oder durch "sickerten", wie der "Tagesspiegel" bzw. meedia.de schreiben, die die Zahlen frei online nennen.

Letzteres Portal und heute auch die "FAZ" (Abo) zitieren dann aber auch Stellungnahmen aus dem Gremium namens Gremienvorsitzendenkonferenz (bzw. aus deren Finanzausschuss): Die zirkulierenden Zahlen seien nicht so zu verstehen, dass den nächsten Intendantin oder die nächste Intendantin des WDR ein Jahresgehalt von über einen halben Million Euro erwarte, sondern sollten nur rein rechnerisch darlegen, dass das gern zum Spitzengehälter-Vergleich herangezogene Bundeskanzler-Gehalt, wenn es beim WDR ausbezahlt würde, wegen steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Unterschiede 525.000 Euro (statt 360.000 Euro) betrüge. Oder so.

Außerdem betont die GVK die bereits hier und da angedeutete, aber noch nicht bezifferte Gehalts-Reduzierung, die der SWR-Verwaltungsrat und der wiedergewählte Intendant, der schon erwähnte Kai Gniffke, für dessen zweite Amtszeit vereinbart hätten. Da gehe es um eine "Absenkung ... im sechsstelligen Bereich".

Demzufolge dürfte davon gut eine Viertelstunde "Frag doch mal die Maus" produziert werden können. Das klingt doch mal nach einer guten Nachricht.


Altpapierkorb (Bauern gegen Springer-Presse, Programmbeirat über Krimis, digitale "Durchfallerhitzer", Friedhofs-Internet)

+++ Springer blockieren! Diesen alten Achtundsechziger-Traum erfüllten die immer noch demonstrierenden Landwirte "mit mehr als 40 Fahrzeugen" vor einer Druckerei in Ahrensburg bei Hamburg ("Berliner Zeitung"). Bei Willi Winkler in der "SZ" (Abo) setzte das allerhand Erinnerungen frei, aber nur begrenztes Verständnis ("Die Druckerpresse gab ihnen eine Ahnung von Freiheit", also zur Zeit der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts, "und gegen genau diese Freiheit gehen die Bauern von heute vor"). +++ Ganz aktuell unklar: Eigentlich sollte diese – große – Prinovis-Druckerei in "mit Wirkung zum 31. Januar 2024 ... die Produktion am letzten noch verbliebenen Tiefdruckstandort ... beenden und damit den Geschäftsbetrieb einstellen". Das steht derzeit auf ihrer Webseite prinovis.com. +++

+++ Wer ins Biotop der Aufsichtsgremien eintauchen möchte, um das es oben schon ging, könnte noch das Interview lesen, dass der ebenfalls schon erwähnte Helmut Hartung für seine Webseite medienpolitik.net mit der Vorsitzenden des ARD-Programmbeirats, führte. "Die Arbeit dieses Gremiums vollzieht sich allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit", schreibt Hartung einleitend (leider ohne dann zu fragen, warum eigentlich). Aber er bittet um ein Beispiel für einen Erfolg des Beirats. Gabriele Hammelrath dazu: "Wir haben uns sehr intensiv mit dem Feiertagsprogramm, vor allem den Krimis, die an solchen Tagen gesendet werden, befasst. Uns ist aufgefallen, dass einige dieser Sendungen nicht dazu passen, weil dort zu viele Leichen das Bild bestimmen. Wir haben empfohlen, dass auch Krimis vor allem auf die christlichen Feiertage abgestimmt sein sollten." Offenbar suchen ARD und ZDF inzwischen aus ihrer Krimiflut für hohe christliche Feiertage weniger leichenreiche Krimis heraus. +++

+++ "... Im Fernsehen selbst würde es genügen, ungefähr alle politischen Gäste so distanziert anzufassen wie die Schlammcatcher, die auch um der erhofften Sauereien willen eingeladen werden. In den digitalen Medien haben Durchfallerhitzer die Oberhand. Solange dort keine 'Verantwortung im Sinne des Pressegesetzes' einkehrt, sind Debatten über das Seniorenmedium TV ziemlich retro". Das sagt Friedrich Küppersbusch zur Frage, ob Talkshows AfD-Vertreter einladen sollten, in seinem wöchentlichen "taz"-Selbstinterview unter der guten, freilich nicht sehr, äh, empowernden Überschrift "Demokratie heißt halbleeres Glas". +++

+++ Noch un-empowernder geht auch: "Wissenschaftliche Messungen können beweisen, dass die wahrgenommene Vielzahl von Angeboten und Domains im Netz eine Fata Morgana ist. In Wirklichkeit ziehen die digitalen Monopole der großen Netzkerne (GAFAM, also Google, Amazon Facebook/Meta, Apple und Microsoft sowie Tiktok) den Großteil des digitalen Verkehrs an sich. Der Rest des Internets gleicht einem riesigen Friedhof", schrieben die Medienwissenschaftler Martin Andree und Karl-Nikolaus Peifer im "SZ"-Feuilletons-Gastbeitrag (Abo) mit der (irgendwie doch wieder mobilisierenden) Überschrift "Befreit das Netz" . +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Klaus Raab.

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