Kolumne: Das Altpapier am 12. Februar 2024 Bitte nicht nachmachen
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12. Februar 2024, 10:10 Uhr
Wie die "Passauer Neue Presse" über die kurzzeitig vermisste Journalistin Alexandra Föderl-Schmid berichtete, ist in Teilen verbesserungswürdig. Trotzdem übernahmen auch andere Medien Details, die bei der Suizidberichterstattung besser unerwähnt bleiben sollten. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wie richtig über Suizide berichten?
"Auf der Journalistenschule lernt man als Erstes, in einem Artikel immer die W-Fragen zu beantworten: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? […] Bei der Berichterstattung über einen Suizid können diese Details, die natürlich auch der Leser erwartet, jedoch gefährlich sein, weil sie Nachahmer finden könnten. Ein Widerspruch, der nur schwer aufzulösen ist."
Dieses Zitat aus einem über zehn Jahre alten Artikel des Magazins der "Süddeutschen Zeitung" ist heute genauso aktuell wie vor vierzehn Jahren und macht das Dilemma deutlich, mit dem sich Medien bei der Suizidberichterstattung konfrontiert sehen: Berichten wir? Und wenn ja, was genau?
Die Faustregel bei der Suizidberichterstattung heißt erstmal: Im Zweifel nicht berichten. Nur in besonderen Ausnahmen, etwa, wenn es sich um bekannte Personen handelt, kann eine Berichterstattung gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch große Vorsicht geboten. Wenn Medien über Suizide berichten, kann das zum sogenannten Werther-Effekt, einem Nachahmungseffekt, führen. Wurden Ort und Methode zu genau beschrieben, konnte in der Vergangenheit stets ein Anstieg in genau dieser Art und Weise des Suizids festgestellt werden.
Mit Blick auf die aktuelle Berichterstattung über den Suizidversuch der stellvertretenden "SZ"-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid (siehe Altpapier von Freitag) können und müssen Medien noch ein paar Dinge lernen.
Doch sie sind schon einen – sagen wir – mittelweiten Weg gekommen: Im Jahr 2009 beispielsweise war von einer sensiblen Berichterstattung über Suizide noch nicht wirklich die Rede gewesen: Nachdem sich der damalige Nationaltorwart Robert Enke selbst tötete, kam es die Monate danach zum sogenannten "Enke-Effekt". Wie die "Süddeutsche Zeitung" damals schrieb, brachten sich in der darauffolgenden Zeit deutlich mehr Menschen auf die gleiche Art und Weise um wie Enke. Und die ausführliche Berichterstattung der Medien hatte darauf einen gewissen Einfluss:
"Sämtliche Medien druckten ein Foto Enkes auf der Titelseite. Es wurde berichtet, wo Enke sein Auto geparkt hatte, wie weit es von dort zu den Gleisen war, welche Nummer der Zug hatte, der ihn schließlich überfuhr."
Teile davon finden wir auch in der aktuellen Berichterstattung um Alexandra Föderl-Schmid wieder. Dabei gibt es nicht erst seit kurzem spezifische Richtlinien diverser Organisationen, wie über Suizide (nicht) berichtet werden sollte.
Der deutsche Pressekodex hat dabei noch die ungenauesten Anweisungen: Unter der "Richtlinie 8.7 – Selbsttötung" steht:
"Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände."
Das "Nationale Suizidpräventionsprogramm" wird in seiner "Bitte an die Medien" dagegen schon expliziter: Vermieden werden sollten euphemistische Begriffe und Formulierungen (z.B. Freitod, spektakulär, im Tod mit den Liebsten vereint), eine detaillierte Beschreibung von Ort und Methode, Hervorheben durch Bildmaterial, Veröffentlichung von Abschiedsbriefen und einfache Erklärungen zum möglichen Grund des Suizids.
Betrachten wir dazu einmal den initialen Bericht der "Passauer Neuen Presse". Die Lokalzeitung hatte als erstes Medienoutlet über den Suizidversuch von Alexandra Föderl-Schmid berichtet, wodurch deren Inhalte und Formulierungen von anderen Medien teilweise übernommen wurden.
Zwar konzentriert sich die "PNP" mit ihrer Ortsbeschreibung auf den Sucheinsatz der Polizei, beschreibt aber die Begleitumstände und gefundene Gegenstände von Föderl-Schmid recht detailliert, sodass die Suizid-Methode eigentlich klar ist. Ebenfalls berichtet die Zeitung, dass ein Abschiedsschreiben im Auto der Journalistin gefunden wurde. Am Ende des Artikels folgt ein Hinweis der Redaktion, dass in der Regel nicht über Selbsttötungen und Suizidversuche berichtet werden würde, und ein Verweis auf Hilfsangebote bei Suizidgedanken.
Unter anderem "Meedia", kress.de und die "Berliner Morgenpost" übernahmen Details aus dem "PNP"-Bericht, die für die Nachricht an sich nicht zwingend relevant gewesen wären. Was unter normalen Umständen ohne Zweifel Teil eines Berichts sein muss (siehe W-Fragen und Nachvollziehbarkeit), sollte bei der Berichterstattung über Suizidversuche aus Schutz vor Nachahmern schlicht unbeantwortet bleiben.
In einem Folgeartikel der "PNP" wird zudem ein Foto vom Auto der Journalistin als Aufmacherbild veröffentlicht; Unterzeile: "[…] ein paar Hundert Meter vom Inn entfernt entdeckt." Ebenfalls wird ein Foto der Suchaktion durch Einsatzkräfte abgebildet. Der Hinweis auf Hilfsangebote fehlt unter diesem Artikel.
Als einzige überregionale Zeitung hatte außerdem die "taz" berichtet, die laut Stefan Niggemeier im "Übermedien"-Newsletter in der ersten Fassung ihrer Meldung noch ein "Suizid befürchtet" in der Überschrift stehen hatten. Meldungen der anderen großen Medienhäuser sind im Nachhinein über Google nur schwer bis gar nicht auffindbar, die "SZ" möchte sich bis auf Weiteres nicht äußern. Wie der "Spiegel" berichtet, habe "SZ"-Chefredakteur Wolfgang Krach seinen Mitarbeitenden "unter Tränen verkündet", dass Föderl-Schmid lebend gefunden wurde. Dies sei der "schönste Tag in den letzten 20 Jahren der 'Süddeutschen Zeitung'" gewesen.
Transparenzhinweis: Bei der "Mediengruppe Bayern", zu der auch die "Passauer Neue Presse" gehört, absolviere ich ein studienbegleitendes Volontariat.
Altpapierkorb (Ermittlungen gegen Fotografen, Putin-Interview, Böhmermann, Fastnacht in Franken)
+++ Gegen einen Fotografen, der mehrfach über Rechtsrock-Konzerte berichtet und dessen Teilnehmer fotografiert hat, ermittelt die Eisenacher Polizei (mdr.de). Diese hatte den Fotografen angezeigt, weil er mit seinen Fotos, die auf dem Portal "Recherche Nord" publiziert wurden, Symbole von verfassungswidrigen Organisationen verwenden würde. Was das genau bedeutet? Die von ihm fotografierten Teilnehmer trugen Kleidung bzw. Tattoos mit bestimmten Symbolen, die etwa mit der Waffen-SS in Verbindung gebracht wurden. Dafür, dass er auf Treffen unter Rechten hinwies, bekommt der Fotograf jetzt die Konsequenzen in Form von Ermittlungen zu spüren. Der Vorsitzende des DJV sagte dem "Spiegel": "Unfassbar, dass sich die Justiz ausgerechnet gegen die engagiertesten Aufklärer in Stellung bringt." Dem "Spiegel" erklärte der Fotograf, die Beamten seien schon vor Ort nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen, da sie die Arbeit von "Recherche Nord", bei der sie selbst oft nicht so gut wegkommen, kritisch sehen würden. Außerdem habe der Fotograf gegen das Kunsturhebergesetz verstoßen, indem er die Fotos ohne zuvor eingeholtes Einverständnis der Teilnehmenden gemacht hätte. Dass es sich bei den fotografierten Konzerten um Ereignisse der relativen Zeitgeschichte handelt, sieht die Polizei offenbar nicht so, die ohne vorhergegangene Strafanzeige gegen den Journalisten ermittelt.
+++ Heftige Kritik gab es von westlichen Staaten an einem Interview, das der rechtskonservative Moderator Tucker Carlson mit Wladimir Putin geführt hatte - zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Damit war es das erste Interview, bei dem Putin seine Sicht der Dinge einem großen internationalen Publikum präsentieren konnte. "US-Talkmaster Carlson habe sich als 'nützlicher Idiot' für russische Propaganda erwiesen, so die Reaktion aus Polen" schreibt die Tagesschau.
+++ Wenn der Satiriker gegen Satire verliert: Wie schon im Altpapierkorb vom vergangenen Donnerstag erwähnt, hat Jan Böhmermann einen Imker aus Meißen angeklagt, weil dieser Böhmermanns Gesicht zu Werbezwecken für seinen Honig verwendete, nachdem Böhmermann ihn in einer Sendung thematisiert hatte. Der Imker sagt, die Böhmermann-Honig-Werbung sei Satire. Und hat damit jetzt vor dem Landgericht Dresden recht bekommen. Böhmermanns Anwalt will nun in Berufung gehen, wie der MDR berichtete.
+++ Bei der Fastnacht in Franken, die seit jeher als "Quoten-Highlight" des Bayerischen Rundfunks gilt, waren auch in diesem Jahr zwei AfD-Mitglieder anwesend – verkleidet im Stile der Golden Twenties. Der BR schreibt in seiner Bildergalerie zu den beiden AfD-Frauen: "Sie lassen die Goldenen Zwanziger wieder aufleben". Naja, was danach kam, wissen wir ja alle. +++
Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.