Kolumne: Das Altpapier am 5. Februar 2024 Wohin die Geldströme fließen
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05. Februar 2024, 10:49 Uhr
... die im 20. Jahrhundert Presseverlage einnahmen. Die "Süddeutsche", die viele Leaks publizistisch erfolgreich auswertet, leidet selber unter einem. Springers "Welt" hätte gern ein Provider-Privileg. Facebook wurde 20 und macht mit "Blut an den Händen" Milliardengewinne – auch weil Whatsapp brummt. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die "Süddeutsche" bläst ein Problem auf
Das gibt es nicht mehr oft: dass gleich zwei vor allem als Tageszeitung bekannte Medien interne bzw. inhaltliche, nicht aber wirtschaftliche Probleme haben, über die andere, konkurrierende Tageszeitungen gerne berichten.
Erstens hielten Chefredaktion, Redaktionsausschuss und Betriebsrat der "Süddeutschen Zeitung" eine gemeinsame Stellungnahme "in eigener Sache" für nötig, nachdem nicht nur die krawalllustige "Bild"-Zeitung über sie berichtet hatte ("Die Führungsetage will herausfinden, wer mit einem Medienjournalisten gesprochen hat"), sondern sogar die Reporter ohne Grenzen "Wir sehen den Quellenschutz in Gefahr!" getwitter-/x-t hatten.
Auslöser war das umtriebige Portal medieninsider.com, das namensgemäß gerne Interna deutscher Medienunternehmen ausbreitet. Zunächst hatte es "Ungereimtheiten in der Arbeitsweise von SZ-Vize Alexandra Föderl-Schmid" moniert (der es sozusagen "Plagiatsvorwürfe" machte, wie hier der "Standard" referiert, bei dem Föderl-Schmid zuvor Chefredakteurin gewesen war). Dann berichtete Chefredakteur Marvin Schade vorige Woche süffig ("Der Andrang ... war groß – und das lag wohl nicht am von der Chefredaktion spendierten Freibier") über eine Redaktionsvollversammlung der "Süddeutschen" und erweckt erneut den Eindruck, beinahe dabei gewesen zu sein ("Mehrfach fiel der Begriff eines 'Maulwurfs'"). "Dabei stellte sich heraus: Die Süddeutsche Zeitung hat auf der Suche nach Medieninsider-Quellen ihre eigenen Mitarbeiter durchleuchtet."
Daraufhin also wollte die "Süddeutsche" dann medienöffentlich herausstellen, dass dieses ihren Mitarbeitern offenbarte Durchleuchten auf relativ niedrigem Niveau stattgefunden habe. Weder seien "E-Mail-Postfächer von Journalisten durchsucht", noch "Telefonate abgehört worden". Es wurde bloß geprüft, ob es "Datenverkehr zwischen den IP-Adressen der Redaktion und des Branchendienstes" gegeben hat. Hat es offenbar nicht. Dass in einer Redaktion, die ja mit großem Hallo und oft auch publizistischem Erfolg zugespielte "Panama-" und andere Papers auswertet, viele wissen, welche Spuren Datenverkehr hinterlässt, muss nicht überraschen. Fürs Durchleuchten bittet die "SZ" um Verständnis:
"Die Detailgenauigkeit und Fülle von Zitaten begründeten den Verdacht, dass offenbar die gesamte Konferenz abgehört bzw. womöglich gar aufgenommen und im Wortlaut an Dritte weitergegeben worden war. Wäre das so passiert, so handelte es sich nicht nur um einen Vertrauensbruch gegenüber den eigenen Kolleginnen und Kollegen, sondern möglicherweise sogar um eine Straftat nach Paragraf 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes)."
Noch mal wieder gezeigt hat sich: Medienunternehmen sind echt keine Gatekeeper mehr, weder beim Veröffentlichen von Nachrichten und Kommentaren, noch beim Nicht-öffentlich-Halten von vertraulich Internem. Vielleicht haben sich die "SZ"-Leute, womöglich auch unter Freibier-Einfluss, der ja nicht schlecht sein muss, wieder etwas mehr zusammengerauft, und die Veranstaltung hat sich trotzdem gelohnt. Ansonsten bleibt der Eindruck, dass die "SZ" da einen Aufreger, den man nicht für ungeheuer groß halten muss – hier im Altpapier, das ja werktäglich die aktuelle Medienberichterstattung oft sehr ausführlich kommentiert, kam die Föderl-Schmid-Chose bisher gar nicht vor – ohne Not aufgeblasen hat.
Die "Welt" geriert sich wunderlich
Hohe, hehre Ansprüche, an denen sie sich dann auch selber messen lassen muss, formuliert die "SZ" natürlich schon aus Tradition immerzu. Gerade sprach sie auf ihrer Medienseite (Abo) von einem "gewaltigen Problem" und "gravierenden Fehler" (und flankierte die Veröffentlichung in den sog. soz. Medien, wo der Algorithmus ja nur auf krasse Zuspitzung anspringt, mit einem "scheinen alle Sicherungen durchgebrannt"). Das gilt der "Welt", die inzwischen ja außerdem Fernsehsender und Onlinemedium ist, aber auch vor allem als Zeitung wahrgenommen wird.
Konkret geht's um das vorige Woche in einem Altpapierkorb unter der Überschrift "Klimek-Tagebücher" erwähnte, seltsame "Selbstinterview" ("Herr Klimek, wie geht es Ihnen?" – "Das wissen Sie doch, wir sind ja heute Morgen gemeinsam aufgestanden.") des 62-jährigen Fotojournalisten Manfred Klimek. Gegen diesen langen Text war der darin erwähnte 75-jährige "Stern"-Redakteur Claus Lutterbeck juristisch vorgegangen. Deshalb findet, wer nun auf welt.de nach Klimek sucht, dort bloß noch Beiträge aus dem "Essen & Trinken"-Ressort. Falls wer einen frei online verfügbaren Überblick braucht, hat schon wieder der "Standard" einen, denn auch Klimek ist Österreicher.
Tatsächlich mutet das juristische Gebaren der "Welt" noch seltsamer an, wenn zutrifft, was die "SZ" berichtet:
"Der Anwalt der Welt schickte eine Erklärung, dass man die Unterlassungserklärung nicht unterschreiben werde. Der Artikel sei nur online erschienen, nicht in der Printausgabe, und es handele sich ja um einen Meinungsbeitrag eines freien Autors, für dessen Inhalt die Redaktion nicht verantwortlich sei. Herr Lutterbeck möge sich doch direkt mit dem Autor auseinandersetzen."
Klingt, als hätte da eine mittelgute KI mitgewirkt und einfach angenommen, europäische Presseverlage genössen auch das Provider-Privileg, das aber doch nur milliardenschwere überwachungskapitalistische Plattformen daheim in den USA (und daher im Rest der freien Welt) genießen. Selbstverständlich sind Redaktionen für von ihnen veröffentlichte Beiträge freier Mitarbeiter verantwortlich.
So weit, so wunderlich. Allerdings findet ausgerechnet uebermedien.de (Abo), das eigentlich seit je keine Gelegenheit, über Springer-Medien zu schimpfen, verstreichen lässt: "Jetzt ist ausgerechnet einer der besten Texte über Journalismus in Deutschland offline". Ja, der "beste Text über Journalismus in Deutschland seit irgendwann zwischen Gutenberg und Guttenberg"! Da überkandidelt Michalis Pantelouris. Für meinen Geschmackhielt handelt es sich beim Klimek-Text um einen gewiss interessanten, aber im üblichen Nostalgie-Sarkasmus-Sound nicht mehr junger Männer gehaltenen Retro-Beitrag. Das, worüber der "Stern"-Veteran sich erregt, sei eine "eher egale Stelle des großartigen Textes", meint Pantelouris nun. Und das, was die "SZ" zur ironischen Überschrift "Zum Untergang des Journalismus" veranlasste, sei das Aufschlussreiche:
"Klimek behandelt den hausgemachten Vertrauensverlust der Medien, über Relotius, die Silvesternacht von Köln und den ganz großen Gleichmacher: die allgegenwärtige Angst. Wichtige Punkte, die ausführlich besprochen sind, ohne dass jemals jemand eine Lösung findet. Aber Klimek spricht auch den Elefanten im Raum an, der sonst gerne unerwähnt bleibt: das Geld, und die Macht, die es bringt ..."
Weil der "Stern" im vorigen Jahrhundert zwar viel Geld verpulverte, wie Klimek vielleicht zutreffend, vielleicht nicht so zutreffend schilderte, aber ja doch viel guten Journalismus hervorbrachte, gelangt Pantelouris zur bedenkenswerten These:
"Viel Geld ist sicher keine Garantie für guten Journalismus, aber wenig ist eine Garantie für nicht so guten – schon deshalb, weil man es sich nicht mehr leisten kann, im Zweifel eine Geschichte nicht zu drucken."
Übrigens schreibt und verlinkt er in den Fußnoten, die zu seinen nostalgischen Usancen zählen, wo Klimeks Selbstinterview weiterhin zu finden sei: auf seiner, Klimeks Facebook-Seite.
Facebook bleibt böse & "begeistert die Börse"
Facebook wurde am gestrigen Sonntag 20 Jahre alt, was natürlich Anlass für allerhand kritische Würdigungen ist, zum Beispiel auf der "FAZ"-Medienseite vom Samstag ("Gealtert wie Milch") und hier nebenan. Da geht es um die unbestreitbare Faszination, die Facebook ausübte oder noch etwas ausübt, und um die längst unübersehbaren üblen Konsequenzen, über die aber hinwegtröstet, dass "sich die Zeichen des Verfalls kaum übersehen" lassen bzw. Facebook "heute für viele Nutzerinnen und Nutzer messbar an Bedeutung verloren" hat. Deutlich schärfere Töne schlägt etwa Gastautorin Courtney Radsch im "Guardian" an:
"Als Facebook diese Woche vor 20 Jahren als soziales Netzwerk für Studenten an den Start ging, war nicht abzusehen, dass es zu dem werden würde, was es heute ist. Das Unternehmen, das heute unter dem Namen Meta firmiert, kontrolliert die kritische Infrastruktur unserer Informations- und Kommunikationssysteme sowie den Zugang zum öffentlichen Raum und ist ein zentraler Bestandteil der digitalen Wirtschaft. Wer hätte vorausgesagt, dass ein Unternehmen, das mit dem Ziel gegründet wurde, Studenten miteinander zu verbinden, für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit, völkermörderische Gewalt und den Anstieg des antidemokratischen Populismus auf der ganzen Welt verantwortlich gemacht werden würde?" (deepl.com-übersetzt)
Tatsächlich macht der abermilliardenschwere Facebook-Konzern, dem Mark Zuckerberg 2021 leider das schön gewesene Wort Meta zum neuen Namen gab (auch um zu verschleiern, wieviel weiteren Einfluss er immer noch dazukauft), laufend jede Menge Schlagzeilen. Facebook/Meta habe "Blut an den Händen", zitierte die "taz" vergangene Woche einen republikanische Senator aus einer Anhörung Zuckerbergs vor dem US-Senat. "Der Internetkonzern beschleunigt das Wachstum und zahlt erstmals eine Dividende", meldete das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) am Samstag.
Der Umsatz wuchs um 25 Prozent auf 40,1 Milliarden Dollar – im letzten Quartal 2022. Europäische Medienkonzerne wie Bertelsmann machen bestenfalls die Hälfte dieses Umsatzes in einem ganzen Jahr. Vereinfacht gesagt: Nicht zuletzt zu Facebook strömt das Geld, das in seinen großen Zeiten einst der "Stern" verpulverte (aber nicht nur, sondern auch in Journalismus investierte).
Während die Meta-Marke Facebook ihren Zenit vielleicht überschritten hat, tragen andere Plattformen, die der Facebook-Konzern wegen "wiederholten und absichtlichen Politikversagens" (Radsch) aufkaufen und verknüpfen konnte, zu weiterem Wachstum bei. Ganz besonders tut das der Messengerdienst Whatsapp, den Meta massiv zu einer "öffentlichen Plattform" umbaut. Davon berichtet der aktuelle "Spiegel" (Abo). "WhatsApp ist in Deutschland die wichtigste Kommunikations-App. Rund 50 Millionen Menschen nutzen sie hierzulande, 2,9 Milliarden sind es weltweit", schreiben vier Autoren, darunter Torsten Kleinz.
Und während zahlreiche deutsche Experten sich um die Ausbreitung und Aufwertung von Extremismus sorgen – in diesem Artikel sagt Miro Dittrich vom "Center für Monitoring, Analyse und Strategie"/ Cemas: "Grundsätzlich wird die Rolle, die WhatsApp bei der Verbreitung von extremistischen Beiträgen und Hetze spielt, derzeit deutlich unterschätzt" –, stünden wegen neuer Funktionen, die Zuckerberg einführt, Unternehmen "Schlange, um sich über WhatsApp vermarkten zu dürfen".
Welcher wichtige Medien-Akteur aus Deutschland sein Publikum verstärkt zu Facebooks Whatsapp lotst: der zwar strategisch unbedarfte, aber an Beitragseinnahmen reichste öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt. ARD und ZDF lenken in ihrer üppigen Eigenwerbung immer wieder Aufmerksamkeit ihres Publikums auf Whatsapp, tragen so zur weiteren Aufwertung der Plattform bei und spielen den Meta-Aktionären in die Taschen.
(Dass "dezentrale offene Plattformen" und "datenschutzfreundliche Netzwerke", die nicht auf das Geschäftsmodell personalisierter Werbung setzen, eine schöne Aufgabe für sinnvollen öffentlich-rechtlichen Rundfunk seien, sagte Markus Beckedahl gestern abend im "heute-journal".)
Altpapierkorb (Broder vs. BMI, Grimme tanzt, Degeto-Eier, "geschmackloser" ZDF-Krimi, Paramount-Rückzug & "Zeit Verbrechen")
+++ Nancy Faesers Bundesinnenministerium darf "den Bericht des von ihm ins Leben gerufenen Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM), der unter dem Titel 'Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023' erschien, auf seiner Homepage nicht mehr verbreiten", weil es vorm Berliner Oberverwaltungsgericht gegen Henryk M. Broder und dessen Anwalt Steinhöfel verloren hat. Das meldet die "FAZ" (Abo). +++
+++ "Am Mittwochabend tanzte das traditionelle Bergfest, bei dem in der Jurywoche des Grimme-Preises Abgesandte der nominierten Produktionen auf die Juror*innen losgelassen und die Bert-Donnepp-Preise vergeben werden", wobei René Martens die Laudatio hielt (Altpapier). Warum überhaupt im schwer geldsorgen-geplagten Grimme-Institut getanzt wurde, schildert Steffen Grimberg in der "taz". +++
+++ "Die Degeto hat mehr Eier gerade als alle Streamer zusammen", lobt Kida Khodr Ramadan, und der "Tagesspiegel" hat am Ende der Ramadan-Serie "Testo" immerhin den "Eindruck, dass man hier etwas erlebt hat". +++
+++ "Es ist geschmacklos. Der Einsatz dieses Bildes, das im Kontext des Films auf schlichte Weise die Problematiken 'Kriegsfotografie-Folgen' und 'Schweinereien deutscher Firmen im Kongo' verbinden helfen soll, macht 'Tod in Mombasa' unseriös", schreibt Heike Hupertz zum heutigen ZDF-Krimi "Tod in Mombasa", der übrigens in Griechenand gedreht wurde ("FAZ"/ Abo). +++
+++ "Einige Monate nach dem Rückzug von Sky aus der Produktion fiktionaler Serien der nächste Tiefschlag für die hiesige Produzentenlandschaft", meldet dwdl.de zum offenbar recht brachialen Rückzug des Paramount-Streamingdienstes als Auftraggeber in Deutschland. Betroffen sei auch die fertiggestellte, demnächst auf der Berlinale aufgeführte Serie "Zeit Verbrechen", bei der es sich um die Verfilmung des gleichnamigen "Kriminalpodcasts" der Wochenzeitung handelt. +++
Das nächste Altpapier folgt am Dienstag.