Frau hebt Hände schützend vor Gesicht
Die Ökonomische Gewalt ist ein Teil von psychischer Gewalt. Es gehe um Macht und Kontrolle über eine andere Person, sagt Professorin Petra Brzank. Bildrechte: IMAGO / Wirestock

Gewalt in Partnerschaften Expertin: Ökonomische Gewalt gehört zum Misshandlungssystem

08. März 2024, 05:00 Uhr

Die Folgen von körperlicher Gewalt in einer Partnerschaft sind oft klar zu sehen. Bei psychischer Gewalt wird es schwieriger. Eine besondere Form davon ist die ökonomische Gewalt, sagt Soziologie-Professorin Petra Brzank im Interview. Diese werde meist bewusst und systematisch ausgeübt. Nach einer europäischen Studie ist jede elfte Frau in Deutschland betroffen.

Frage: Das Phänomen ist bislang wenig bekannt. Deswegen erst einmal: Was versteht man unter ökonomischer Gewalt? 

Petra Brzank: Aus qualitativen Interviews wissen wir, dass Frauen ein großes, breites Repertoire verschiedener Verhaltensweisen berichten, die als ökonomische Gewalt definiert werden können. Mit diesem Verhalten werden ihre Möglichkeiten zur Selbständigkeit und auch ihre ökonomische Sicherheit eingeschränkt und bedroht.

Man kennt den Begriff häusliche Gewalt, fällt es mit darunter?

Ökonomische Gewalt ist ein Teil von psychischer, die zusammen mit körperlicher, sexueller oder sexualisierter Gewalt, aber auch sozialer Gewalt dazu dient, Macht und Kontrolle über eine andere Person zu erlangen und zu festigen. Es ist Teil eines Misshandlungssystems. Aber es gibt auch WissenschaftlerInnen, die fordern, dass ökonomische Gewalt als eigenständiges Konstrukt, als eigenständige Gewaltform anzusehen ist. Hier bräuchte es auf jeden Fall noch mehr Forschung.

Können Sie Beispiele nennen, wie sich das äußert?

Hauptsächlich geht es darum, den Zugang der Frau zu Ressourcen einzuschränken. Das geschieht vor allem darüber, dass verhindert wird, dass sie einen Job außerhalb des Hauses annimmt. Frauen berichten, dass sichtbare Verletzungen zugefügt werden, die Kinderbetreuung für ein Bewerbungsgespräch verweigert wird oder von Sabotage des Autos, Entwendung des Autoschlüssels, Bedrohen durch Festhalten, vom Schlaf abhalten, Haare abschneiden, Kleidung verstecken.

Frau mit Brille
Professorin Petra Brzank. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zur Person: Petra Brzank ist seit 2016 Professorin für Soziologie und Methoden der Sozialforschung an der Hochschule Nordhausen. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin und hat währenddessen an der Charité Berlin bei S.I.G.N.A.L. mitgeforscht, dem ersten Modellprojekt zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von gewaltbetroffenen Frauen. Das Thema ihrer Promotion war "Hilfesuchverhalten gewaltbetroffener Frauen".

Das geschieht nur, wenn eine Frau versucht eine Arbeit aufzunehmen… Was ist, wenn sie einen Job hat?

Dann geht es darum, die Arbeitsstelle zu behalten. Der Verlust des Arbeitsplatzes droht, weil etwa gestalkt wird. Nicht nur sie selbst, sondern auch Kolleginnen werden belästigt. Häufig zu beobachten ist, dass Weiterbildung verhindert wird, denn Weiterbildung bedeutet gleichzeitig eine Karriereentwicklung.

Es wird also mit allen Mitteln versucht, Einkommen und Zugang zu Geld zu verhindern?

Ja, ein anderes Phänomen ist beispielsweise den Zugang zum Haushaltseinkommen einzuschränken, und nur einen begrenzten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. Ihre Ressourcen auszubeuten, um ihre Handlungsoptionen einzuschränken, also Geld entwenden oder Wertsachen verkaufen, Kosten und Schulden erzeugen, Scheckkarte entwerten oder auch Glücksspiel durchzuführen, mit dem eigenen Geld. Oder dass Schulden in ihrem Namen erzeugt und dann Zahlungen von Darlehensraten verweigert werden. Genau das sind so in etwa die Verhaltensweisen, von denen Frauen berichten.

Sie sprechen jetzt hauptsächlich von Frauen? Gibt es einen großen Unterschied zur Betroffenheit von ökonomischer Gewalt zu Männern?

Es gibt keine Aussagen dazu. Aber wir wissen, dass Frauen wesentlich häufiger von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wir sprechen von jeder dritten bis vierten Frau in Deutschland, und wir sehen das auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik, die überwiegende Mehrzahl der Opfer von Gewalt in einer Paarbeziehung sind Frauen – und Männer die Täter.

Die überwiegende Mehrzahl der Opfer von Gewalt in einer Paarbeziehung sind Frauen – und Männer die Täter.

Petra Brzank

Kann das auch auf ökonomische Gewalt bezogen werden?

Wenn wir uns Risikofaktoren für ökonomische Gewalt ansehen, dann stellen wir als strukturellen Risikofaktor fest, dass wir in unserer Gesellschaft nach wie vor keine Gleichberechtigung haben. Frauen verdienen etwa 18 Prozent weniger als Männer. Dazu kommt das Ehegattensplitting, was letztlich dazu führt, dass Männer bevorteilt werden innerhalb dieses Finanzsystems. Insbesondere dann, wenn Männer mehr Geld verdienen als Frauen. Aufgrund dieser strukturellen Faktoren und auch der empirischen Fakten, können wir schlussfolgern, dass Frauen häufiger und auch gravierender von ökonomischer Gewalt betroffen sind als Männer.

Wie hoch ist das Ausmaß?

Wie gesagt, es gibt keine Zahlen dazu. Aber es gab 2014 eine repräsentative Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. In allen europäischen Ländern wurden die Befragung durchgeführt und hier berichteten für Deutschland elf Prozent der Frauen, dass sie schon mal ökonomische Gewalt erfahren haben in ihrem Leben. Allerdings ist von einer Unterschätzung auszugehen.

Es sind also keine einzelnen Fälle?

Wenn wir uns die elf Prozent anschauen, dann können wir davon ausgehen, dass ökonomische Gewalt systematisch mit dazugehört zum Phänomen Gewalt durch den Partner.

Was hat das für Auswirkungen auf die Betroffenen?

Wir sehen bei den Frauen grundsätzlich, dass sie stärker betroffen sind von Depressionen und Angstzuständen, wir sehen auch chronische Gesundheitsprobleme und eine schlechtere allgemeine physische Gesundheit. Das gilt nicht nur für Frauen, die ihren Partner verlassen haben, sondern natürlich auch für Frauen, die in der Beziehung bleiben.

Bei ökonomischer Gewalt kann die Macht auch nach Beendigung einer Beziehung weiter ausgeübt werden. Was ist das Ziel dahinter?

Das Ziel ist natürlich, Macht und Kontrolle zu halten und die Abhängigkeit zu festigen. Was auch durch verwehrte Unterhaltszahlungen erreicht wird. So werden die Frauen weiter an den Partner gebunden.

Bei ausbleibendem Unterhalt können ja auch die Kinder betroffen sein?

Wenn es nicht genügend Unterhalt gibt für die Kinder, dann sind auch sie sehr stark von Armut betroffen, die ganze Familie. Wir sehen gesundheitliche Folgen und Folgen für die Lebensentwürfe der Kinder. Weil es im Haushalt beispielsweise nicht genügend Geld für eine Nachhilfe oder ähnliches gibt. Was sich auch im späteren Verfolgen von Lebensentwürfen oder Lebenschancen zeigt. Der Gesundheitszustand dieser Kinder ist genauso beeinträchtigt, wie wenn sie selbst Gewalt erfahren würden, zeigen Studien.

Ich weiß aus Gesprächen mit Beschäftigten aus Frauenhäusern, dass sie die Mütter vor zehn oder 20 Jahren in den Frauenhäusern hatten – und heute kommen die Töchter.

Bislang wird ökonomische Gewalt in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Was wäre wichtig, um das zu ändern?

Ich denke, hier muss auf verschiedenen Ebenen gehandelt werden. Die konkrete, ganz direkte Beratungs- und Unterstützungspraxis sollte angepasst werden. Als erstes ist Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ökonomische Gewalt ein massiver Teil von Partnergewalt, von diesem Misshandlungssystem, ist. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir können alle dazu beitragen, dass grundsätzlich Gewalt gegen Frauen vermindert oder verhindert wird. Denn Gewalt ist kein Schicksal, sondern kann verhindert werden.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. März 2024 | 20:15 Uhr

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