Schüler schreiben an eine Tafel
Die Hochschule Anhalt will angehende Lehrer gleich ab Beginn ihrer Ausbildung vor die Klassen bringen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/Waltraud Grubitzsch

Duales Studium Lehrer werden ohne Abitur: Politik gespalten bei Konzept der Hochschule Anhalt

20. April 2023, 17:57 Uhr

Über ein duales Pädagogik-Studium will die Hochschule Anhalt selbst Lehrer ausbilden und das Konzept auch an andere Hochschulen im Land tragen. Das Modell setzt auf frühe Praxis-Einsätze an Partner-Schulen. Eine Allgemeine Hochschulreife müssten Studien-Interessierte nicht zwingend vorweisen. Im Wissenschaftsministerium regt sich Widerstand gegen den Vorschlag. Die Lehrerausbildung soll den Universitäten in Halle und Magdeburg vorbehalten bleiben.

Die Landtagsabgeordnete Anja Schneider (CDU) will den Lehrermangel in Sachsen-Anhalt maßgeblich aus ihrem Wahlkreis Dessau-Roßlau heraus verringern. Sie wirbt derzeit auf Landesebene für ein innovatives Studien-Modell, das am Dessauer Campus der Hochschule Anhalt entwickelt wurde. Damit könnten auch an Fachhochschulen künftig Lehrer ausgebildet werden. Für das vorgeschlagene Studium bräuchten Bewerberinnen und Bewerber laut Konzept nicht einmal zwingend ein Abitur.

Die Idee polarisiert und könnte eine Kontroverse innerhalb der Regierungskoalition auslösen. Bislang ist die Lehrerausbildung den Universitäten in Halle und Magdeburg vorbehalten – und geht es nach Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) soll das mit wenigen Ausnahmen auch so bleiben.

Duales Studium: Von Beginn an Praxis an Partner-Schulen

Über das "Dessau-Roßlauer Modell" hatte zuerst die Mitteldeutsche Zeitung (€) berichtet. Im Kern geht es um ein duales Pädagogik-Studium auf Fachhochschul-Ebene, bei dem die Studentinnen und Studenten gleich von Beginn an Praxis-Einsätze an Partner-Schulen absolvieren. Dort sollen die angehenden Lehrer nach und nach immer mehr Verantwortung übernehmen und so zugleich die Personal-Situation vor Ort verbessern. Die Partner-Schulen werden zuvor bereits in die Auswahl der Bewerber einbezogen.

Es geht darum, Menschen für den Beruf zuzulassen, die dafür brennen.

Anja Schneider CDU-Landtagsabgeordnete

Der Abi-Schnitt (Numerus clausus) soll bei der Auswahl der Bewerber keine Rolle spielen. Und auch Menschen mit Realschulabschluss werden laut Konzept zugelassen, wenn sie beispielsweise zuvor schon eine Erzieher-Ausbildung abgeschlossen haben und sich in einem Auswahlverfahren bewähren. Genau wie in anderen dualen Studiengängen sollen die Studenten während des Bachelorstudiums eine Vergütung erhalten. Nach dem Abschluss dürften sie dann an Grund- und Sekundarschulen unterrichten, nicht aber an Gymnasien.

"Es geht darum, Menschen für den Beruf zuzulassen, die dafür brennen. Und dazu gehören auch Menschen mit Realschulabschluss", erklärt Anja Schneider die Pläne. Sie hat das Modell gemeinsam mit der Hochschule Anhalt initiiert. "Es ist eine Möglichkeit, dem Lehrermangel konzeptionell entgegenzuwirken", sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT. Entscheidend sei der Pädagogik- und Praxis-Fokus, so Schneider weiter. "Damit wollen wir Studien-Abbrüche verhindern."

Bildungs-Experte: "Vorschlag ist es wert, ihn auszuprobieren"

Die Abbrecherquoten unter Lehramtsstudenten an den Universitäten gelten gemeinhin als sehr hoch. Genaue Zahlen sind für Sachsen-Anhalt jedoch nicht bekannt. Eine Abbrecherquote könne bisher statistisch nicht erhoben werden, heißt es dazu auf Nachfrage aus dem Wissenschaftsministerium.

Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) beklagte hingegen jüngst im Bildungsausschuss, dass Lehramtsstudenten besonders beim Übergang in die Praxis, also im Vorbereitungsdienst vor Ort an den Schulen hinschmeißen würden. Für sie ein Argument für duale Studien-Modelle: "Bisher bringen die Studenten erst acht Semester hinter sich, um dann im zweiten Staatsexamen festzustellen, dass es nichts für sie ist. Das ist dann für alle Seiten enttäuschend", sagte Feußner im Februar. 

Der Bildungs-Experte Dirk Zorn spricht in diesem Zusammenhang vom Praxisschock und bestätigt, dass das "Dessau-Roßlauer Modell" die Schwund-Quoten tatsächlich verringern könnte. Zorn gehört Sachsen-Anhalts Expertenkommission zur Weiterentwicklung des Schulwesens an und ist bei der Bertelsmann-Stiftung Direktor für den Bereich "Bildung und Next Generation". Er nennt das Modell der Hochschule Anhalt eine echte Chance für eine gute pädagogische Ausbildung. "Der Vorschlag ist es wert, ihn auszuprobieren", so sein Urteil.

Auch Medizin kann man heutzutage ohne Abitur studieren.

Dirk Zorn Bildungsexperte

Besonders überzeugend findet Zorn, dass mit dem Modell die Partner-Schulen so eng einbezogen werden sollen. "So kann man die Studenten nicht nur ans Land binden, sondern auch gezielt die Bedarfe in den Regionen steuern." Vergütung und geringere Hürden lockten zusätzlich Talente an.

CDU-Fraktion stellt sich nicht offen hinter "Dessau-Roßlauer Modell"

Die Vorstellung vom Lehrer ohne Abitur schreckt den Experten dabei nicht. "Auch Medizin kann man heutzutage ohne Abitur studieren. Wichtig ist eine solide Auswahl nach robusten Qualitätskriterien. Soweit ich sehe, ist das hier vorgesehen."

Wie es um den politischen Rückhalt für das Modell bestellt ist, lässt sich momentan allerdings nur schwer sagen. Selbst Anja Schneiders CDU-Fraktion stellt sich derzeit nicht offen dahinter. Angesprochen auf den Vorschlag der Hochschule Anhalt äußerte sich Fraktionschef Guido Heuer sehr vorsichtig. Mit den Koalitionspartnern sei vereinbart, ein Modell ins Leben zu rufen, welches 30 Studierenden die Möglichkeit eröffnen werde, ein duales Lehramtsstudium für die Sekundarstufe 1 zu absolvieren, sagte Heuer MDR SACHSEN-ANHALT. "Genauere Details werden aktuell abgestimmt. Wir werden hierzu zu gegebener Zeit einen in der Koalition geeinten Vorschlag veröffentlichen."

Nach MDR-Informationen waren am vergangenen Freitag bereits das Bildungsministerium, Vertreter von Hochschulen und Universitäten sowie CDU-Abgeordnete im Magdeburger Landtag zusammengekommen, um über das Modell zu beraten. Der Tenor dort soll positiv gewesen sein.

Wissenschaftsministerium von Vorschlag wenig begeistert

Das SPD-geführte Wissenschaftsministerium, ohne dessen Unterstützung das Modell nicht umgesetzt werden kann, saß bei dem Treffen allerdings nicht mit am Tisch. Dort ist man von dem Vorstoß wenig begeistert.

Die Hochschule kann für das Modell kaum auf eigene Kompetenzen zurückgreifen.

Matthias Stoffregen Sprecher Wissenschaftsministerium

Der Vorschlag der Hochschule Anhalt sei weder ausgereift noch praktikabel, teilte das Ministerium MDR SACHSEN-ANHALT auf Nachfrage mit. Vor allem könne die Hochschule für das Modell kaum auf eigene Kompetenzen zurückgreifen, sagte Sprecher Matthias Stoffregen. Es gebe weder Professuren für Bildungs-Wissenschaften noch Lehr-Personal für die Hochschul-Begleitung in den Praxis-Phasen. "Daher müsste ein vollständig neuer Fachbereich aufgebaut werden."

Noch dazu sei die Umsetzung des Modells teuer. Das Ministerium rechnet mit jährlichen Kosten von 7,5 Millionen Euro. Es sei ausgeschlossen, dass ein solches Modell zulasten der gesamten Wissenschaftsfinanzierung finanziert werde.

Zweifel an überregionaler Anerkennung des Studiengangs

Ein weiterer Kritikpunkt dreht sich um die überregionale Anerkennung des Studiengangs. Es handle sich um eine Ausbildung, die lediglich zu einer Unterrichts-Erlaubnis in Sachsen-Anhalt führen würde. Das Modell liefert dafür zwar bereits einen Lösungsansatz, denn die Studenten sollen nach dem Abschluss berufsbegleitend auch das Staatsexamen ablegen können. Dafür wird eine Kooperation mit der Uni Magdeburg angestrebt. Aus Sicht des Wissenschaftsministeriums reicht das aber nicht aus, da die bundesweiten Standards der Kultusministerkonferenz dennoch nicht erfüllt seien.

Ein Start des Modells bereits im Jahr 2024, wie von den Initiatoren angestrebt, rückt damit wohl zunächst in weite Ferne. Dabei wäre Sachsen-Anhalt mit diesem zusätzlichen Ausbildungs-Weg laut Bildungs-Experte Dirk Zorn in guter Gesellschaft. "Es zeichnet sich ab, dass in verschiedenen Bundesländern jetzt solche dualen Modelle kommen sollen."

Sachsen-Anhalt scheint auch hier eher auf seine Universitäten setzen zu wollen. Laut Wissenschaftsministerium ist ein duales Studien-Modell für das Sekundarschul-Lehramt als Pilotprojekt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg geplant, das gerade ausgearbeitet werde.

MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. April 2023 | 19:00 Uhr

32 Kommentare

Anita L. am 22.04.2023

"Heute wird viel "unnütze" Wissen vermittelt bzw sehr spezifisches..."

Hm, so etwas "Unnützes" wie Geschichte, Fremdsprachen (solche, mit denen man sich heute international verständlich machen kann), Naturwissenschaften, Informatik,...
Übrigens wurde gerade in den 30-er Jahren einem ganz großen Teil der Bevölkerung überhaupt die Bildung verboten/erschwert und den anderen Teil der Bevölkerung zog man noch vor oder gerade mit dem Erreichen eines Schulabschlusses (der zu jener Zeit zu zwei Dritteln in dem Pendant der Hauptschule bestand) in die Armee bzw. in die "kriegswichtige" Produktion... Wie war das a.a.S. in dieser Diskussion? Ungebildete Menschen hinterfragten weniger und seien leichter zu lenken? Wie sehr das doch gerade für die 30er Jahre in Deutschland zutrifft...

Anita L. am 22.04.2023

Deshalb steht das "Abqualifizierende" auch in Anführungszeichen. Wobei ich allein aus der Erfahrung durch den Unterricht von Realschülern in der Sekundarstufe II (berufliches Gymnasium, Fachoberschule) weiß, dass vor allem auf Seiten der Schüler*innen bei allem Willen ganz einfach das wissenschaftlich arbeiten Können nicht immer gegeben ist. Chancengleichheit bedeutet nicht, dass jeder den Abschluss schafft. Und da frage ich mich immer, warum der Weg über eine Ausbildung mit anschließender Weiterbildung (Fachschule, Meisterausbildung, ...) und von dort in den Ausbildungssektor nicht auch wenigstens mal bedacht wird.

Anita L. am 22.04.2023

Die gibt es unter Schüler*innen aller "interkultureller" und "nicht interkultureller" Herkunft. Und ich habe sowohl "interkulturelle" Schüler, die den Kolleg*innen die Tür öffnen (was so manche "nicht interkulturelle" Schüler*innen gar nicht mehr zu kennen scheinen) und "nicht interkulturelle" Schülerinnen, denen traut kein Kollege auf zwanzig Meter über den Weg aus Angst, wegen Belästigung zum Dienstgespräch gebeten zu werden.

Wir dürfen also sehr gern von Ihrem kleinen "interkulturellen", sprich diskriminierenden Exkurs erneut verallgemeinern: Fehlender Respekt Leher*innen gegenüber findet gender- und herkunftsübergreifend statt, ebenso wie sich angemessenenes zwischenmenschliches Verhalten in allen Schichten des Schulalltags findet. Auch auf der Seite der Lehrer*innen.

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