Polizei Sachsen Mantrailer-Hunde: Zertifikate für Prüfer werfen Fragen auf

27. März 2024, 18:33 Uhr

Mantrailer wurden in Sachsen seit Jahren als wichtige Helfer bei der Spurensuche in Ermittlungen genutzt. Diese Hunde galten als Wunderwaffe mit enormen Fähigkeiten. Hund und Herrchen müssen sich jährlich neu qualifizieren. Nach Recherchen von MDR Investigativ haben vier Hundeführer den Status "Prüfer" erhalten, obwohl sie wohl nicht entsprechenden Aus- oder Fortbildungen gemacht haben.

Das Stück Papier sieht wie eine ganz normale Urkunde aus: Rechts oben das Wappen der sächsischen Polizei. Ein zertifizierter „Fortbildungs- und Befähigungsnachweis“, der den Inhaber als "Aus-/Fortbilder und Prüfer Mantrailing" qualifiziert. Unterschrieben haben diese Urkunde gleich vier Fortbildungsleiter. Allerdings steht nirgendwo, welche Einrichtung der Polizei diese Fortbildungsveranstaltungen, die sich über zwei Jahre erstreckte, organisiert hat.


Qualifikation für Mantrailer-Hunde und und ihre Führer muss jedes Jahr erneuert werden

Mantrailer werden auch Personensuchhunde genannt. Sie galten als Hunde mit herausragenden Fähigkeiten und sollen die Spur eines Menschen an einem Ort feststellen können – selbst Wochen oder sogar Monate, nachdem er sich dort aufgehalten hat, behaupten Mantrailer-Hundeführer. Diese angeblichen Fähigkeiten machen sich auch Ermittler zunutze. Wenn zum Beispiel ein mutmaßlicher Täter ermittelt wurde, wird von ihm eine Geruchsprobe genommen. Finden dann die Hunde die Geruchsspur am Tatort, kann dies ein wichtiges Indiz im Gerichtsprozess sein. 2010 wurde das Projekt Mantrailing in Sachsen gestartet. In der Folge wurde immer wieder über spektakuläre Erfolge berichtet. Die Mantrailer sollen in Kriminalfällen mehrfach belegt haben, dass der Tatverdächtige am Tatort war, und damit scheinbar den Beweis für dessen Schuld geliefert haben. Die Qualifikation für diese Aufgabe müssen Hund und Herrchen jedes Jahr mit einer Prüfung erneuern.


Vier Mantrailerführer zu Prüfern ernannt

Im Jahr 2017 kam es bei der jährlichen Prüfung zu Unregelmäßigkeiten. Aus MDR Investigativ vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass sich zwei Hundeführer aus Zwickau gegenseitig geprüft haben sollen. Das ist laut Dienstanweisung Diensthundewesen der Polizei (DA-DHWPol) für solche Prüfungen nicht gestattet. Gegen diese jährliche Prüfung hatte ein leitender Beamte des Diensthundewesens Einspruch per E-Mail beim zuständigen Oberrichter der Diensthundeschule eingelegt. Der Einspruch wurde allerdings aus formalen Gründen abgelehnt, da er nicht in der nötigen schriftlichen Form einging.

Danach wurden insgesamt vier Mantrailerführer zu Prüfern befördert. Der MDR hat das sächsische Innenministerium dazu befragt: Mehrere der betroffenen Polizisten sind aktuell nicht oder nicht mehr im Dienst. Auf den entsprechenden Urkunden ist festgehalten, dass sie hierfür zwischen dem 8. April 2014 und dem 22. April 2016 Fortbildungen besucht haben. Nach Informationen von MDR Investigativ sollen zu dem Zeitpunkt aber keine solchen Fortbildungsveranstaltungen zum Prüfer stattgefunden haben. Das zuständige Präsidium der Bereitschaftspolizei schreibt auf MDR-Anfrage dazu: "Für diesen Zeitraum sind die Fortbildungsveranstaltungen bei der Diensthundeschule der Polizei Sachsen leider nicht mehr recherchefähig." Die Unterlagen, die MDR Investigativ vorliegen, deuten aber darauf hin, dass diese Fortbildungs- und Befähigungsnachweise zum Prüfer rückwirkend ausgestellt wurden.

Ein Polizist und ein Fährtenhund suchen nach dem Fund von drei Leichen auf dem Gelände des Schieߟstandes Hüttermühle in Genthin (Kreis Jerichower Land) Spuren.
Personensuchhunde sollen die Spur eines Menschen an einem Ort feststellen können Bildrechte: picture alliance / dpa | Jens Wolf

Ein Jahr vergeht zwischen Ausstellung und Aushändigung

Die vier Aus- und Fortbildungs-Nachweise sind alle auf den 22. April 2016 datiert, wurden aber erst 2017 ausgehändigt. Diese späte Aushändigung begründet das Präsidium der Bereitschaftspolizei Sachsen mit einem Personalwechsel in der Leitung der Diensthundeschule Anfang 2017: "Nach Rücksprache mit dem damaligen Leiter der Diensthundeschule ist der Zeitraum zwischen der Aus- und Fortbildung zum Ausbilder im Mantrailing und der Berufung durch den Personalwechsel und die damit verbundene Einarbeitungszeit des damals neuen Leiters in die Themen, Abläufe und Strukturen des Diensthundewesens entstanden."

Nachdem die beiden Zwickauer Hundeführer ihre Berufung zum Prüfer von Mantrailern mit Datum April 2017 erhalten hatten, bat der Leiter der Diensthundeschule (DHS) in einer E-Mail den damaligen Präsidenten der Bereitschaftspolizei, dass auch einer der Beamten aus der DHS genau so eine Berufung erhalten solle. Zwei Wochen später wurde dies vom Leiter des Führungsstabs des Präsidiums der Bereitschaftspolizei genehmigt. Auch der Fortbildungsnachweis für diesen Beamten trägt das Datum 22. April 2016. Die Bereitschaftspolizei kann das heute nicht mehr anhand ihrer Unterlagen nachvollziehen.

Mit Datum Ende Juni 2017 erhielt dann noch eine vierte Beamtin das Dokument und wurde damit auch formell zur Prüferin. Bei der Recherche fällt auf, dass die Dokumente möglicherweise nicht den Vorgaben der sächsischen Verwaltung entsprechen. Zwar trägt das Schriftstück ein Wappen der sächsischen Polizei. Im Vergleich aber fehlen die Einrichtung, die die Fortbildung der Hundeführer ausgerichtet hat. Weiterhin fehlen Siegel oder Stempel und Unterschriften des Leiters der ausführenden Einrichtung.

Mantrailer Suchhund
Mantrailer und ihre Hundeführer werden jährlich neu geprüft. Bildrechte: imago/Olaf Wagner

Stattdessen finden sich auf diesen Dokumenten Unterschriften von gleich vier Fortbildungsleitern, darunter die des Polizeidirektors Leif Woidtke von der Hochschule der sächsischen Polizei. Er leitete das Projekt Mantrailing in Sachsen. Angefragt dazu, hat Leif Woidtke sich nicht geäußert.

Leif Woidtke hat 2018 eine Dissertation zum Thema Mantrailer veröffentlicht, die massiv in die Kritik geriet. Der MDR hat darüber berichtet. Der ganze Vorgang ist noch offen, erwiesen ist aktuell nichts.

Nach Informationen von MDR Investigativ bildete die Gruppe der Mantrailer einen Teilbereich der Diensthundeschule, der sich weitgehend von anderen Teilen abgeschottet haben soll. Das sorgte intern offenbar für Unfrieden. Versuche, die Mantrailer enger an das Diensthundewesen des Freistaats zu binden und mehr Transparenz zu schaffen, blieben lange erfolglos. Stattdessen sollen Kritiker nach Informationen von MDR Investigativ offenbar sanktioniert worden sein.


Sächsisches Innenministerium prüft Vorgänge

Das sächsische Innenministerium nehme die vom MDR aufgeworfenen Fragestellungen sehr ernst, heißt es in einer Stellungnahme. Man habe eine Prüfung der Vorgänge rund um das Thema Mantrailing aufgenommen. "Das Diensthundewesen und insbesondere der Bereich des Mantrailings ist ein hochspezialisierter und wissenschaftlich durchaus diskursiver Tätigkeitsbereich. Diesem wird sich die sächsische Polizei mit allem Nachdruck widmen."

2020 sei in der Polizei Sachsen dann ein Evaluierungsprozess im Diensthundewesen gestartet worden, teilte das Präsidium der Bereitschaftspolizei MDR Investigativ in einer Antwort vom März 2024 mit. "Bei stichprobenartigen Leistungsüberprüfungen der Diensthunde wurden Leistungsunterschiede bei den Hunden festgestellt. Diese Leistungsunterschiede wurden zum Anlass genommen, noch einmal intensiver nachzuprüfen – auch um die Leistungsfähigkeit der Diensthunde immer wieder neu bewerten zu können." Derzeit gibt es nur noch zwei Hunde im Mantrailer-Dienst der sächsischen Polizei. Das Ausbildungskonzept der Mantrailer-Ausbildung steht auf dem Prüfstand.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - Die Story | Umstrittene Spürnasten - Was können Mantrailer-Hunde und was nicht? | 27. März 2024 | 21:00 Uhr

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