Ein Mitglied der Wagner Gruppe zeigt mit dem Finger in eine Richtung.
Angehörige der "Gruppe Wagner" töten im Krieg gegen die Ukraine und an anderen Orten außerhalb von Russland ohne rechtliche Grundlage. Hier ein Wagner-Kämpfer im ukrainischen Bachmut (Archiv). Bildrechte: IMAGO / SNA

Hybride Kriegsführung Söldner in Russland: Boom privater Militärfirmen Modell "Wagner"

26. Juli 2023, 04:08 Uhr

In Russland gibt es Unternehmen, bei denen Männer überdurchschnittlich verdienen können. Diese Firmen tragen Namen wie "Redut", "Zarenwölfe", "Patriot" oder eben "Wagner" und stehen seit Jahren außerhalb des Gesetzes: sogenannte private Sicherheits- und Militärunternehmen, also Söldner-Truppen. Sie werden im Ausland eingesetzt oder stocken die russischen Streitkräfte auf. Aber sie spielen auch bei Machtkämpfen in Russland selbst eine Rolle.

Daria Boll-Palievskaya
Daria Boll-Palievskaya Bildrechte: Mischa Blank

Bei Kämpfen in der Ukraine sind russische Söldner der Wagner-Truppe für ihre Brutalität bekannt. Ihnen werden nicht nur in diesem Konflikt schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Auf der Internetseite einer anderen privaten Söldner-Firma namens Jastreb (dt. Habicht) klingt die Tätigkeit vergleichsweise harmlos: "Wir führen Verhandlungen auf allen Ebenen, begleiten und schützen wertvolle Fracht, betreiben Lobbyarbeit auf staatlicher Ebene." Ungeachtet dessen, was die Mitarbeiter in ihren Einsätzen genau tun, dürfte es private Militärunternehmen in Russland laut Verfassung aber überhaupt nicht geben.

"Das bedeutet, dass sie juristisch nicht existieren. Aber der Staat lässt sie nicht nur zu, er fördert sie regelrecht", sagt der russische Historiker Juri Piwowarow über dieses Paradox. Schon 2012 formulierte der derzeitige russische Präsident Wladimir Putin selbst in einer Rede vor der Duma die Funktion der Söldner-Trupps: Sie verfolgten "im Ausland nationale Interessen ohne dass der Staat direkt beteiligt ist". Darüber hinaus waren sie für den Schutz von Anlagen russischer Unternehmen wie Rosneft, Rosatom oder Gazprom, beispielsweise in Afrika, verantwortlich. Wann genau die ersten paramilitärischen Gruppen nach diesem Muster entstanden sind, lässt sich kaum genau datieren.

Wagner-Vorläufer im Syrien-Krieg

Von der breiten Öffentlichkeit wurden die privaten Militärunternehmen zuerst wahrgenommen, als 2013 das sogenannte Slawjansky Corps auftauchte. "Es handelte sich um ein paar hundert Leute, die nach Syrien gingen, um auf der Seite des Regimes zu kämpfen", erklärt Ruslan Lewiew, Militäranalyst und Gründer des Conflict Intelligence Teams (CIT), einer Gruppe russischer Investigativ-Blogger. "Als sie nach Russland zurückkehrten, verhaftete der FSB die Anführer direkt am Flughafen wegen Söldnertums, und die private Militärfirma selbst wurde aufgelöst." Einige Experten sehen darin einen Konkurrenzkampf zwischen dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und dem Militärgeheimdienst GRU, der enge Verbindungen zu den Söldner-Firmen unterhalten soll. Der spätere Kommandeur der Wagner-Gruppe, Oberstleutnant Dmitrij Utkin, kam aus dem Slawjansky Corps, erinnert Lewiew. "Wagner" war sein Deckname.

Das heute größte und schlagkräftigste Militärunternehmen ist die Wagner-Gruppe, wie viele Kämpfer ihr derzeit angehören, ist allerdings nicht bekannt. Die Söldner-Truppe entstand im Mai 2014. Lewiew zufolge handelte es sich buchstäblich um ein paar Dutzend Personen, die mit Genehmigung der russischen Führung "beschlossen, sich an den Kämpfen im Donbass zu beteiligen", also auf dem Territorium des Nachbarlands Ukraine.

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 66 min
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Die heutige Wagner-Gruppe ist mittlerweile allerdings mehr als ein privates Militärunternehmen, meint Lewiew vom Conflict Intelligence Team. "Private Sicherheits- und Militärunternehmen sind bewaffnete Einheiten, die beispielsweise Botschaften oder Konvois in Kampfgebieten schützen. Ihre Bewaffnung kann Schusswaffen und Panzerfahrzeuge umfassen. Wagner hingegen verfügte über Panzer, Artillerie und sogar eine eigene Luftwaffe. Das ist regelrecht eine private Armee." Nach dem Aufstand der Wagner-Gruppe Ende Juni erklärte Putin öffentlich, die Wagner-Armee sei zuletzt komplett aus dem Staatshaushalt finanziert worden.

In Konkurrenz zur Wagner-Gruppe: Das Militärunternehmen Redut

Die vielleicht bekannteste Söldner-Truppe nach Wagner nennt sich Redut. Bereits 2006 schlossen sich in ihr mehrere Gruppen von Veteranen der Fallschirmjäger und des Auslandsnachrichtendienstes, der Luftwaffe und von Einheiten des Verteidigungsministeriums zusammen, die Kampferfahrungen aus Militäreinsätzen mitbrachten. Redut hat seinen Sitz in Kubinka bei Moskau in der Nähe der 45. Brigade der Luftlandetruppen, was darauf hindeutet, dass das Militärunternehmen offenbar dem Verteidigungsministerium untersteht. Radio Liberty berichtet, dass Redut-Kämpfer auf dem Gelände einer Brigade des Militärgeheimdienstes GRU trainieren. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht.

Gennady Timchenko
Der Oligarch Gennadi Timtschenko steht bereits seit der Anerkennung der sogenannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" durch Russland 2014 auf der Sanktionsliste der USA. Bildrechte: IMAGO / SNA

Laut dem ehemaligen "Verteidigungsminister" der sogenannten "Volksrepublik Donezk" Igor Girkin, genannt "Strelkow", gehört Redut dem Geschäftsmann und engen Freund Putins, Gennadi Timtschenko. Redut sei dafür zuständig gewesen, Anlagen des Baukonzerns des Oligarchen in Syrien zu schützen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Redut-Leute während des russisch-georgischen Kriegs im Jahr 2008 als Militärberater und Ausbilder fungierten. Und zwar für Einheiten der abtrünnigen georgischen Region Abchasien.

Nach Recherchen der russischen Online-Exilmediums Meduza war Redut eine der ersten Einheiten, die im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten. Verschiedenen Schätzungen zufolge verfügt die Söldner-Truppe über etwa 7.000 Kämpfer. Die Menschenrechtsorganisation Gulagu.net veröffentlichte Daten, laut derer die Redut-Söldner auf der Gehaltsliste des Verteidigungsministeriums gestanden haben sollen und der OligarchOleg Deripaska ihnen Ausrüstung finanziert haben soll. Das hatte ein ehemaliger Wagner Kämpfer berichtet.

Boom privater Militärfirmen seit dem Einmarsch in die Ukraine

Ein regelrechter Boom von Söldner-Truppen setzte mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine ein. Das Conflict Intelligence Team hat aufgedeckt, dass viele von ihnen als Aufklärungsbrigaden geführt werden, also als Strukturen des Verteidigungsministeriums. Wenden sich allerdings Angehörige von Söldnern an die Einberufungsämter, wird ihnen mitgeteilt, dass solche Militäreinheiten nicht existieren. Manchmal sollen die Kämpfer selbst nicht genau wissen, ob sie Söldner oder reguläre Soldaten sind.

Insgesamt wird die Zahl der privaten russischen Militärunternehmen auf etwa 30 geschätzt. Genau lässt sich das nicht bestimmen, da die Kämpfer oft Verträge mit, wie es in Russland oft heißt, "nichtexistenten juristischen Personen" abschließen. Nämlich mit Firmen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte und in denen Gehälter oft schwarz ausgezahlt werden. Hinzu kommt, dass die Grenze zwischen privaten Söldner-Truppen, regulärer Armee und einer dritten Kategorie, den sogenannten "Freiwilligenverbänden", immer mehr verschwimmt. Die russische Exilzeitung Nowaja Gazeta Europe zählte zuletzt 52 Freiwilligenbataillone, die in den Regionen der Russischen Föderation aufgestellt wurden.

Auch Unternehmen gründen Söldner-Firmen

Seit einiger Zeit unterhalten auch große russische Unternehmen eigene Militäreinheiten. So wurde beispielsweise die Potok-Gruppe (dt. Strom) von Tochtergesellschaften des Gazprom-Konzerns gegründet. Das private Militärunternehmen Bokarew wird mit dem Vorstandsvorsitzenden mehrerer Konzerne, Andrei Bokarew, in Verbindung gebracht. Lewiew erklärt den Zweck: Um eine allgemeine Mobilisierung zu vermeiden, versuche der Staat, Freiwillige zu rekrutieren. Doch das brachte trotz einer groß angelegten Werbekampagne kaum Erfolge. Das Conflict Intelligence Team zählt nur etwa 13.000 Freiwillige, die den Aufrufen gefolgt seien.

Deshalb wurden dann auch große Unternehmen verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern bereitzustellen, die für Geld in den Krieg in der Ukraine ziehen würden. So sucht zum Beispiel die Russische Eisenbahn AG über Stellenangebote im Internet "Sicherheitsleute". In der Tätigkeitsbeschreibung steht, dass man als Mitarbeiter nach Unterzeichnung des Vertrags in die Kampfzone geschickt wird.

Eigene Kampftruppen in russischen Behörden und Städten

Mittlerweile stellen sogar Beamte eigene Kampftruppen zusammen. So leitet der ehemalige Chef der Weltraumagentur Roskosmos, Dmitri Rogosin, eine Einheit namens "Zarenwölfe", die er selbst als "Militärberaterteam" bezeichnet. Das Online-Medium Meduza fand heraus, dass es auch ein Moskauer Bataillon geben soll, das aus dem Haushalt der Stadt finanziert werde.

Dmitri Rogosin
Dmitri Rogosin gilt als Putin-Vertrauter und verlangte im Frühjahr neue Mobilmachungswellen in Russland für die Front in der Ukraine. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Lewiew glaubt, dass der Kreml jedem, der in der Lage ist, Söldner für den Krieg in der Ukraine zu rekrutieren, einen Freibrief ausgestellt hat. Und so schießen private Söldner-Trupps wie Pilze aus dem Boden, obwohl Putin nach dem Aufstand von Jewgeni Prigoschins Wagner-Gruppe äußerte, in Staatsduma und Regierung solle über eine Legalisierung von privaten Militärunternehmen diskutiert werden.

Söldner-Trupps in der Grauzone halten

Verschiedene Anläufe, privaten Militärfirmen einen rechtlichen Rahmen zu geben, gab es in der Duma schon seit 2012, jedoch wurde nie ein Gesetz verabschiedet. Das Verteidigungsministerium lehnt es bis heute ab, private Militäreinheiten auf eine legale Grundlage zu stellen. Die Begründung: Der Staat solle das Gewaltmonopol behalten. Auch die Regierung scheint es nicht eilig zu haben, ein Gesetz über private Sicherheits- und Militärfirmen voranzutreiben, da ihr Schatten-Armeen wie Wagner bei Einsätzen im Ausland nützen. Nach dem Wagner-Aufstand sei der Kreml nach Ansicht von Lewiew vom Conflict Intelligence Team zwar zu dem Schluss gekommen, dass die Söldner-Trupps vom Verteidigungsministerium oder dem FSB geleitet werden sollen, und nicht von "Privatpersonen". Das bedeute aber nicht, so ist sich Lewiew sicher, dass es eine Legalisierung geben wird, so dass die privaten Militärunternehmen weiter in einer Grauzone agieren werden.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 15. Juli 2023 | 21:35 Uhr

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