Episoden-Cover: "Akte: Raubkunst? Ngonnso Statue" 42 min
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In sogenannten „Strafexpeditionen“ gingen Deutsche gewaltvoll gegen die Bevölkerung in Kamerun vor. Ein Kolonialoffizier brachte die Ngonnso-Statue nach Berlin. Eine Aktivistin aus Kamerun kämpft für ihre Rückgabe.

Do 08.09.2022 00:01Uhr 41:39 min

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Akte Raubkunst - Episode 6: Ngonnso Statue

Adichie: (Übersetzung) Die Dinge, die heilig sind, für die Menschen umgebracht wurden, die Dinge, die mit unschuldigem Blut befleckt sind, die sollten zurückgegeben werden.

Njobati: (Übersetzung) In Deutschland ist es vielleicht ein physisches Objekt, aber für uns als Volk ist eine Identität. Eine Repräsentation unserer Leute, die Gründungsmutter unseres Volkes.

Moderatorin Helen Fares:

Ich bin für diese Folge in einem Museum, von dem ich vorher vor allem aus kritischen Schlagzeilen mitbekommen habe.

Humboldt Forum eröffnet: Attraktion oder Kolonialwarenladen? / Umstrittene Fassade des Humboldt Forums bröckelt / Ignoranz mit Konzept im Raubkunst-Palast / Humboldt Forum eröffnet: Kontroverse um Raubkunst

Helen im Museum: Es ist fast schon befremdlich, durch diesen Raum zu laufen, der so steril ist und so viel Kunst, so viele Objekte, so viel kulturelles Erbe birgt und beheimatet. Anscheinend. Es fühlt sich schon an, als ob das alles hier einfach wirklich nicht hergehört.

Der Raum, durch den ich hier laufe, ist mit “Koloniales Kamerun” überschrieben. Da läuten bei mir schon die Raubkunst - Alarmglocken.

Helen im Museum: Ich stehe jetzt vor der Ngonnso-Statue und finde sie wunderschön. Irgendetwas macht ihr Gesicht mit mir. Es sieht zwar aus, als ob sie einfach nur starr in die Leere schaut, aber ich weiß nicht. Es bewegt mich irgendwie.

Die Figur, die da hinter Glas auf einem Thron sitzt, ist am ganzen Körper mit Muscheln geschmückt. Im Schoß hält sie ein großes, rundes Gefäß.

Helen im Museum: Der Blick der Frau, die da irgendwie so fast an mir vorbei schaut, ist sehr starr und ernst. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dadurch, dass sie diesen Leerraum auf ihrem Schoß hat, diesen Eimer oder Hohlraum, dass sie irgendwie einladend aussieht und mütterlich, aber trotzdem so majestätisch.

Die Ngonnso-Statue aus Kamerun. Hier im Humboldt-Forum ist sie eines von vielen Objekten. Nicht zu erkennen, welchen spirituellen Wert sie in Kamerun hat. Sie gilt als Begründerin der Nso - ein Volk, das es bis heute gibt - und das seine Gründergöttin zurückfordert.

INTRO Musik

Ihr hört Akte Raubkunst, den Podcast, in dem wir die Geschichte von Objekten erzählen, die eigentlich gar nicht hier, in deutschen Museen, sein sollten. Und dieses Mal erzählen wir die Geschichte der Ngonnso-Statue, und wie sie vermutlich während einer sogenannten Strafexpedition aus Kamerun verschwand. Wir sprechen mit Menschen, für die die Ngonnso eine Identifikationsfigur ist und die dafür kämpfen, dass sie “zurück nach hause” kommt.

Man hört Gesang

Für Elsa Mbala ist “zu Hause” immer als Plural zu verstehen: Kamerun und Deutschland. Die Künstlerin ist in Kamerun geboren und sowohl in Kamerun als auch in Deutschland aufgewachsen. Heute lebt sie mal eine Zeit lang in Berlin, mal wieder in Kamerun. Den Gesang, den ihr da hört, der ist von ihr, aus einem Stück, für das sie die Musik komponiert hat. “Moving Humboldt Forum” heißt es.

Elsa Mbala: Das war ein Stück mit ich glaube, wir waren elf oder 13 Tänzer. jüngere Generation. Also die waren Maximum 20. Es war wichtig für die Macher damals, Joy ähm, die Tänzerin, die mich eingeladen hat, dass die diese Tänzer auch Migrationshintergrund haben und ihre eigene Geschichte von Assimilation Integration mitbringen. Thema war If I ruled the World, basierend auf den Stück von Nas und Lauryn Hill. Hiphop Stück, Sehr wichtig, auch in den Neunzigern rausgekommen und einfach so eine Message von “Was würdest du anders machen, wenn du die Chance hättest, diese Welt anders zu gestalten?”

Dass Elsa MBala und die Tänzer*innen ausgerechnet am Humboldt Forum performen, ist übrigens kein Zufall. Es war gewisser Weise auch Thema in der Produktion.

Mbala: Diese Frage von wo gehöre ich hin und nehme ich mir diesen Platz ein oder lasse ich die einfach weiterhin reden, ohne dass ich dabei bin? Was ja auch mein Punkt ist. Und deshalb haben wir uns auch ganz gut verstanden, was das angeht. Es ist mir wichtig, Teil des Diskurs zu sein.

Der Diskurs um das Humboldt Forum ist so alt wie die Pläne, das Stadtschloss wieder aufzubauen, in dem das Humboldt Forum beherbergt ist. Schon 2013 wird die Initiative “No Humboldt 21” gegründet, die kritisiert, dass die Sammlungen, die ins Schloss ziehen sollen, Raubkunst beinhalten. Das gleiche werfen Kritiker*innen dem Humboldt Forum im Fall der Ngonnso-Statue vor. Wir haben beim Humboldt Forum nachgefragt und waren mit der Kuratorin Verena Rodatus verabredet, um zu erfahren, ob und wie sie die Herkunft des Objektes belegen kann.

Den Teil den ihr ganz am Anfang  dieser Folge gehört habt, meine Begegnung mit der Ngonnso, der hätte eigentlich mit ihr stattfinden sollen. Aber leider war sie am Tag des Interviews krank und das Humboldt Forum konnte uns keinen Ersatztermin anbieten, der die Deadlines unserer Produktion eingehalten hätte.

TRENNER-TON

September 2021 - Festakt zur Eröffnung des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt Forum  - Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede, nach ihm geht die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ans Pult - vielleicht kennt ihr ihren Ted-Talk “The Danger of a single story” oder ihren Roman “Americanah”. Sie spricht die Kritik aus, die über der feierlichen Eröffnung schwebt:

Adichie: (Übersetzung) Es ist Zeit für Mut. Mut, kritischen Stimmen zuzuhören, wie von denen, die gerade draußen  protestieren. Sie sollten miteinbezogen werden, sie haben berechtigte Anliegen. [....]

Die Dinge, die heilig sind, für die Menschen umgebracht wurden, die Dinge, die mit unschuldigem Blut befleckt sind, die sollten zurückgegeben werden.

In ihrer Rede, die in ganzer Länge auf dem Youtube-Kanal des Humboldt-Forums zu sehen ist, spricht sie auch ein ganz konkretes Objekt an:

Adichie: (Übersetzung): Wir können herleiten, dass die Ngonnso, die wunderschöne Skulptur der Gründerin und spirituellen Führung der Nso in Kamerun, einer ehemalige deutsche Kolonie, nicht unter harmlosen Umständen erworben wurde. Denn: Warum würde man freiwillig seine spirituelle Führung aufgeben? 

Sie spricht also vor laufenden Kameras und Mikrofonen den Vorwurf aus, dass die Ngonnso Statue geraubt wurde. Um das genau zu überprüfen, sind wir darauf angewiesen, dass uns das Museum Zugang zu Quellen gibt. Aber es gibt auch unabhängige Wissenschaftler*innen, die dazu forschen.

Fossi: Ich würde sagen, dass viele Museen offen für das Thema sind. Sonst hätten wir zum Beispiel keine Liste oder keine Inventarliste von ihnen bekommen. [...] Es gibt also viele Museen, die zumindest wenn diese sich bemühen um Informationen zur Verfügung zu stellen. Aber leider gibt es auch Fälle, bei denen man kaum Bereitschaft bekommt, um zu diese Objekte zu erforschen.

Das ist Dr. Richard Tsogang Fossi. Er forscht an der Technischen Universität Berlin über den Verbleib kamerunischer Objekte  – vor allem hier in Deutschland in dem Projekt "Umgekehrte Sammlungsgeschichte - ein kommentierter Altas zum materiellen Erbe Kameruns” . Es geht darum, herauszufinden, wo bestimmte Objekte gelandet sind, aber auch, welche Spuren die Abwesenheit der Objekte in Kamerun hinterlassen hat.

Damit hat der Wissenschaftler alle Hände voll zu tun: Er geht davon aus, dass rund 40.000 kamerunische Objekte in deutschen Museen stehen. Dazu kommt noch eine große Dunkelziffer, denn viele Objekte befinden sich im Privatbesitz. Generell ist es schwierig “Beweise” zu finden, dass ein Objekt geraubt wurde.

Fossi: selbst wenn diese Leute nicht geschrieben haben, ich hab heute den Ngonnso genommen. Aber es ist zumindest bewiesen, dass der Offizier von Houben, der dort diese Expedition gemacht hat, den Palast zum Beispiel abgebrannt hatte. Und bevor er das den Palast abbrannte, hatte er zumindest Elefanten Zähne entwendet. Verstehen Sie? Und ich frage mich jetzt könnte er also Elefanten Zähne entwenden? Ohne diese Regalia und so weiter auch mitzunehmen. [....] Also es wäre interessant zu zeigen, wie diese anderen Objekte auch dann den Ort verlassen haben.

Herauszufinden, wie die Ngonnso nach Deutschland kam, ist gar nicht so einfach. Denn die schriftlichen Quellen, also Schriftstücke und Reiseberichte wurden in der Regel von den Kolonisator*innen geschrieben, das war während der Kolonialzeit Gang und Gäbe, diese Praxis gab es nicht nur in Kamerun. Aber das heißt auch: Es wurde aus einer ganz bestimmten Perspektive geschrieben, die der Kolonialmacht. In diesem Fall: Deutschland.

In Folge 4 haben wir schon thematisiert, dass Kamerun mal deutsche Kolonie war, ein Fact, den ich vorher auch nicht so auf dem Schirm hatte. Deshalb hier noch mal kurz zusammengefasst:

Von 1884 bis 1919 war Kamerun deutsche Kolonie unter der Macht der sogenannten “Kaiserlichen Schutztruppe Kameruns”. Dieser militärische Euphemismus ist natürlich irreführend: Das deutsche Militär war nicht dazu da, die kamerunische Bevölkerung zu schützen, darum ging es Kolonialmächten nie. Eher wollten sie ihre Interessen, ihre Handelswege schützen. Es ging den  Kolonisator*innen darum, von den Rohstoffen des besetzten Landes zu profitieren und das jeweilige Volk zu beherrschen - auch mit Gewalt.

MUSIKBREAK

Im Kontext der Deutschen Kolonialzeit in Kamerun fällt immer wieder ein Begriff: Strafexpedition. Das ist ein militärgeschichtlicher Begriff, ihr kennt ihn aus Folge vier, über den sogenannten Blauen Reiter-pfosten. Darin erklärt der Wissenschaftler Florian Hoffmann, dass das im Grunde militärische Expeditionen waren, um koloniale Politiken durchzusetzen. Auch Richard Tsogang Fossi von der TU Berlin ist sehr daran gelegen, solche Begriffe zu hinterfragen.

Fossi: Eindringlinge kommen zu Leuten, die ganz friedlich leben, und sagen okay, jetzt, wenn sie uns nicht gehorchen, dann werden wir sie strafen. Wofür oder warum? Verstehen Sie? Also, da sind solche Prozesse oder sprachliche Konstruktionen von der Aneignung der Welt. Und solche Ideen, die leider irreführen, oder solche Begriffe, die leider führen, muss man auch wie ich selber wieder mal hinterfragen.

Diese Begriffe waren in erster Linie dazu da, die eigene Agenda zu beschönigen und zu rechtfertigen. Denn diese “Strafexpeditionen” sind nicht ohne Gewalt abgelaufen, sie waren ziemlich brutal. Wie man das Ganze dann nannte, hatte eine ganz bestimmte, rhetorische Funktion.

Fossi:  „Strafexpedition“ das sind wirklich Termini, die damals benutzt worden, um auch die öffentliche Meinung hier in die irre zu führen, um zu sagen okay, um Leute zu dem Krieg zu gewinnen oder zu der kolonialen Ideologie, [...] Und für uns gehört eigentlich dieser Terminus Strafexpedition durchaus zu solchen Strategien, die teilweise für mich auch propagandistisch waren.

Während der Strafexpeditionen ist nicht nur viel Blut geflossen, laut Fossi wurden dabei auch viele Kunst- und Kulturgüter geraubt. Und gerade Kamerun war da ein ganz besonderer Fall.

TRENNER-TON

Förster: Also wir wissen von ein paar Regionen, dass da die Objekte sehr gefragt waren. Aber wir können es nicht absolut beziffern.

Das ist Dr. Larissa Förster vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, das Forschungsgelder für die Forschung zu Objekten mit kolonialer Geschichte vergibt.

Förster: Wir wissen, dass natürlich Länder wie Kamerun zum Beispiel, die tatsächlich eine wahnsinnig spannende Kunstproduktion hatten, dass es da unglaublich viel Interesse und auch eine ziemliche Gier unter deutschen Wissenschaftlerinnen und Sammlerinnen gegeben hat, ..an Objekte zu kommen und die zurück nach Deutschland zu bringen und im Verkauf oder Tausch gegen Medaillen usw dann an die Museen zu geben.

Sie spricht da an, dass man Objekte in Deutschland nicht nur verkaufen konnte, sondern dass es für dieses “Sammeln” auch Ehrenmedaillen gab für Verdienste für die Stadt oder die Wissenschaft. Diese “Gier” zeigt sich ziemlich deutlich, wenn wir uns noch mal die Zahl von eben vor Augen führen: 40.000 kamerunische Objekte, bzw. potenziell eher mehr, wie Richard Tsogang Fossi erklärt hat. Und diese Gier packt auch einen Mann, der in unserem Fall eine wichtige Rolle spielt: Curt Pavel, bzw. Curt von Pavel, wie er heißt, nachdem er in den Adelsstand erhoben wird. Er war Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Kamerun. 

Helen im Museum: Auf der Infotafel vor der Statue steht folgendes Cava, Thron oder Ngif Melo Palmwein-Blätter Ngonnso benannt. Kamerun, Banso 19. Jahrhundert, Holz, Kauri- Schnecken, Stoff, Zinn, Glasperlen. Gesammelt 1902 von Curt Pavel, erworben 1903. Diese Skulptur stellt möglicherweise die Königin Ngonnso dar, die das Königreich Banzo begründete. Kurt Pavel sammelte diese Figur, als Deutsche erstmals in Kumbo, der Hauptstadt des Königreichs, eintrafen.

Sammeln - das klingt nach einem passenden Begriff wenn es um Pilze oder Beeren im Wald geht - aber bei einem sakralen Objekt? Curt Pavel führt diverse so genannte Strafexpeditionen an, gegen die Ngwe, Bafut und Mankon, unterschiedliche Völker in Kamerun. Kurz darauf trifft er bei einer weiteren Strafexpedition auf die Nso. Es gibt wenige, schriftliche, noch erhaltene Quellen darüber, was genau während dieser Strafexpedition passiert ist. Anne Splettstößer hat den Fall der Ngonnso in ihrer Doktorarbeit “Umstrittene Sammlungen - Vom Umgang mit kolonialem Erbe aus Kamerun in ethnologischen Museen” untersucht. Sie ist auch nach Kamerun gereist und hat mit Vertreter*innen der Nso gesprochen. In ihrer Arbeit finden wir wichtige Hinweise, die wir hier zitieren:

Das erste Aufeinandertreffen in der Stadt Kumbo, dort wo die Ngonnso steht, ist dokumentiert. Pavel selbst beschreibt das im “Deutschen Kolonialblatt: Amtsblatt für die Schutzgebiete des Deutschen Reiches” so - Achtung, in diesem Bericht verwendet er Ausdrücke und Begriffe, die wir natürlich nicht nutzen würden.

Eingelesen: Am 15. Januar wurde die Landschaft Banso passiert und in der Hauptstadt Kumbo Ortsunterkunft bezogen. […] Der Häuptling von Kumbo, einem großen, gut angebauten Dorfe, empfing uns freundlich und zeigte sich überhaupt bereit, allen an ihn gestellten Anforderungen pünktlich nachzukommen. Die Wirkung der Bestrafung der Bafut machte sich auch hier noch geltend.

Er deutet hier also auf eine andere gewaltvolle Expedition an.

Es gibt auch die Perspektive der Nso, die beschreibt, wie sie die Ankunft von Curt Pavel und seinen Soldaten erleben. Anne Splettstößer verweist auf den Nso-Prinz Paul Mzeka, der das Aufeinandertreffen als ein Ereignis beschreibt, dass sie einiges an Ressourcen kosten wird. Die Nso sind vorbereitet, sie wissen, dass die Deutschen Soldaten kommen. Das Volk der Babungo hatte sie gewarnt, auf ihr Anraten hin, verstecken sie ihre Waffen und bekämpfen die Deutschen nicht.

Das ändert sich mit der nächsten Strafexpedition. Dieses Mal bleibt es nicht friedlich. Die Nso leisten Widerstand und Oberstleutnant Houben greift sie daraufhin mit seinen Soldaten in Kumbo an, es kommt zu einem Gefecht, einer militärischen Auseinandersetzung. In seinem Bericht an die kaiserliche Militärstation beschreibt er den Hergang so- nicht wundern, in dem folgenden Bericht ist von den Banso die Rede, das ist eine koloniale Bezeichnung für die Nso, die wir heute nicht mehr benutzen:

Eingelesen: Mittags 1 Uhr griffen die Banso’s mich unvermutet in der Stärke von etwa 1200 Mann an und umringten das Häuptlingsgehöft. Durch die Wache alarmiert,sammelte ich schnell meine Leute, ließ 9 Mann zur Bewachung des Lagers zurück und befahl den Angriff. […] Um 5° Abds. sammelte ich meine Leute, brannte den Ort nieder und bezog auf einer Höhe 1 km südlich Kumbo Lager. Das im Häuptlingsgehöft lagernde Elfenbein wurde, weil die Mitführung unmöglich war, vergraben und soll durch den zurückkehrenden Unteroffizier Stamm der Station Bamenda zugeführt werden. Der Feind verlor etwa 50 Tote, 2 Gefangene wurden gemacht.

Anders als bei der ersten Strafexpedition wehren die Bewohner*innen sich.

Es kommt während dieser Strafexpeditionen zu Plünderungen. Man geht davon aus, dass Pavel während einer dieser gewaltsamen so genannten Strafexpeditionen die Ngonnso und andere Objekte aus einem Palast der Nso mitgenommen hat. Es kommt danach noch zu einer dritten sogenannte Strafexpedition in Kumbo.

Egal bei welcher der Invasionen nun genau - die Nso gehen davon aus, dass Pavel die Ngonnso gestohlen hat.

Helen im Museum: Gesammelt 1902 von Curt Pavel, erworben 1903..

Erworben heißt in dem Fall, erworben vom Museum. Bei dem Erwerb fordert der damalige Museumsdirektor nur eine Liste mit der Angabe der Fundorte. Pavel schreibt er habe die Objekte durch Kauf oder Tausch erstanden, und das wird nicht hinterfragt. Seit 1903 ist die Ngonnso im Besitz des ethnologischen Museums Berlin, das war vorher im Bezirk Zehlendorf, und ist nun ins neue Humboldt Forum eingezogen. Dass es sich so zugetragen hat, wie Curt Pavel es beschreibt, also legal über einen Kauf oder Tausch, daran hat Richard Tsogang Fossi von der TU Berlin seine Zweifel. Er glaubt nicht daran, dass es sich um einen rechtmäßigen Kauf oder Tausch gehandelt hat. Das müsse das Museum, das Humboldt Forum erst einmal beweisen.

Fossi: Und selbst im Fall von Ngonnso, obwohl es nicht geschrieben worden ist, dass das Objekt genommen ist, kann man nicht das Objekt als rechtmäßig einstufen. Das ist das wäre eine Komplizenschaft mit der kolonialen, mit dem kolonialen Denken.

Mit dieser Einschätzung ist der Wissenschaftler nicht allein. Auch immer mehr Kameruner*innen selbst bezweifeln, dass die Ngonnso auf legalem Weg nach Deutschland gekommen ist.

Fossi: das ist das ist auch Thema zu Hause. Leute wollen immer mehr wissen, was aus ihrem Kulturerbe geworden ist, wo das ist und was man wie man damit umgeht. Auf jeden Fall.

Man hört Hund bellen

Das ist der Hund von Sylvie Njobati. Wegen ihm müssen wir den Zoomcall ein paar Mal unterbrechen. Und wegen der instabilen Internetverbindung. Deshalb macht sie auch ihr Video aus. Davor sehen wir sie mit einer Mütze auf dem Kopf und einer Decke auf dem Schoß. Es ist relativ kalt in Yaounde, gerade ist dort Regenzeit.

Sylvie Njobati ist Filmemacherin und Aktivistin aus Kamerun, sie beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der Geschichte der Ngonnso-Statue. Aber viel wichtiger ist ihr, dass sich die deutsche Gesellschaft damit beschäftigt.

Njobati (Übersetzung): Mir geht es auch darum, dass Deutschland sich mit seiner kolonialen Vergangenheit konfrontiert. Und das ist wichtig, denn diese koloniale Vergangenheit basiert nicht auf gleichen Machtverhältnissen. Es war keine lustige Party.  Es ist eine Vergangenheit, die auf Gräueltaten und Mord basiert, auf Morden, der Zerstörung von Eigentum und den Raub kulturellen Erbes.

Sylvie Njobati musste sich das Wissen um die Ngonnso-Statue selbst zusammensuchen, weil das als Teil des kulturellen Erbes zerstört wurde -  auch eine Folge des Kolonialismus. Kolonialismus bestand nicht nur darin, Land zu besetzen oder Menschen zu töten. Er führt auch dazu, dass einem - wie im Fall von Njobati - der Zugang zu der eigenen Identität verwehrt bleibt. Die Ngonnso ist für die Filmemacherin ein wichtiger Teil ihrer Identität. Deshalb kämpft sie auch dafür.

Njobati (Übersetzung): Als Kind habe ich nie etwas über die Ngonnso gelernt, unsere Geschichte wurde nie in der Schule unterrichtet. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, im nachhinein, hätte ich gerne etwas in der Schule über unsere Geschichte gelernt.

Sylvie Njobati betont immer wieder, wie wichtig ihr ihre Arbeit für sich selbst ist. Sie sagt, sie hätte eine “Identitätskrise” gehabt, und das sei ihr Weg, damit umzugehen.

Njobati (Übersetzung): Mein Kollege Mark, mit dem ich einen Dokumentarfilm drehe, hat mir erzählt, dass das Original der Ngonnso in Berlin ist. Das hat sofort mein Interesse geweckt. 2018 gab es einen Aufruf für ein Projekt, in dem es um die Konfrontation mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in Kamerun gehen sollte. Da hab ich mich entschieden zu diesem Objekt zu arbeiten.

Seit einigen Jahren schon arbeitet sie zur Ngonnso. Es gibt auch Darstellungen von ihr in Kamerun, aber die Statue in Berlin ist das Original. Nach einem Kurzfilm, der die Geschichte und Bedeutung der Ngonnso erzählt, arbeitet sie derzeit an einem längeren Dokumentarfilm.

Njobati (Übersetzung): Ich wollte ein Film drehen und die Menschen zu der Bedeutung der Ngonnso befragen. [....] Die Ngonnso sollte nicht als ein einzelnes Objekt im Museum betrachtet werden. In Deutschland ist es vielleicht ein physisches Objekt, aber für uns ist eine Identität. Eine Repräsentation unseres Volkes, die Gründungsmutter der Nso. 

Dieses “Volk” von dem Sylvie Njobati spricht, sind die Nso, eine von vielen verschiedenen Volksgruppen in Kamerun. Sie leben im Nordwesten des Landes, ihre Existenz als eigene Dynastie geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Die Hauptstadt der Nso ist Kumbo und ihr Oberhaupt ist der “Fon”, er ist gleichzeitig auch der religiöse Führer und wohnt in einem Palast. Aus genau diesem Palast soll - laut der Nso - die Ngonnso-Statue 1902 geraubt worden sein. Für die Nso ist es eine Kontinuität des Kolonialismus, dass das Objekt in Berlin steht. Sie fordern, dass die Stiftung preußischer Kulturbesitz die Statue an die Nso zurückgibt. Und diese Forderung ist nicht neu.

Njobati (Übersetzung): Wir hatten all diese diplomatischen Prozesse, der Fon der Nso hat Briefe geschrieben an die unterschiedlichen Akteur*innen in Deutschland, wir waren auf Konferenzen, haben Präsentationen gezeigt, mit unterschiedlichen Menschen in Deutschland gesprochen. Briefe hierhin und dorthin, Diplomatie.. Es war schon fast so etwas wie Lobbyismus [...] Aber dann dachte ich, diese Gespräche müssen laut geführt werden. Ich meine diese kolonialen Gräueltaten, die begangen wurden, das ist nicht in den Hinterzimmern passiert, das geschah öffentlich. Können wir nicht diese Gespräche so öffentlich führen, wie die Gräueltaten, die begangen wurden?

Wer genau die allererste Rückgabe-Forderung gestellt hat, ob sie dreißig oder vierzig Jahre alt ist, ist nicht klar zu belegen. Anne Splettstößer schreibt, dass Godfrey B. Tangwa, Professor und ehemaliger Leiter der Philosophischen Fakultät der Universität Yaoundé, einer der ersten war. 1998 war er als Stipendiat in Deutschland. Vorher hat er mit zwei Nso Prinzen, Paul Mzeka und Gabriel Mbinglo, einen Brief verfasst, den der Fon der Nso unterschrieben hat. Diesen Brief nahm Tangwa mit nach Deutschland. Briefe schreiben, Gespräche führen: Das meint Sylvie damit, wenn sie von dem diplomatischen Prozess spricht, die Ngonnso zurückzuholen. Sie selbst wählt einen anderen Weg:

Njobati (Übersetzung): Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dass Kamerun und Deutschland miteinander sprechen, dass sie sich gegenseitig zuhören, dass das keine einseitige Unterhaltung ist. Denn in den meisten Fällen haben die Nso unter sich geredet und die Deutschen auch unter sich, wenn es darum ging, ihre koloniale Vergangenheit zu konfrontieren. Es gab also Bedarf, dass beide Seiten miteinander ins Gespräch kommen. 

Vor zwei Jahren startet sie die Social-Media Kampagne #bringbackngonnso auf Twitter und Facebook, reist nach Deutschland, versucht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit immer wieder auf das Thema zu lenken, markiert unter ihren Beiträgen Politiker*innen und auch Hermann Parzinger, den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ihn hat sie auch direkt und persönlich konfrontiert.

Njobati (Übersetzung): Das erste Mal, dass ich Parzinger getroffen habe, war während einer Pressekonferenz. [...] Ich wollte ein Gespräch in der Öffentlichkeit, face to face, in dem er mir sagt, wie lang es dauert, bis die Ngonnso zurückgegeben wird. Also habe ich während der Pressekonferenz meine Hand gehoben und gefragt: Wie lange noch? Wir haben schon so lange gewartet! Er gab mir dann die Standard Klischee-Antwort, dass es keinen Vertreter der Nso gäbe, mit dem er reden könne.

Hermann Parzinger führt also das Vertreter*innen-Argument ins Feld: Es gäbe keine offizielle Rückgabe-Forderung und auch keine diplomatischen Vertreter*innen, mit denen er sprechen könne.

Njobati (Übersetzung): Er sprach dann von Provenienz, dass sie viel Provenienzforschung betreiben müssten, um herauszufinden, wie diese Objekte während der Kolonialzeit erworben wurden.

Provenienzforschung. Die Herkunft klären - das erfordert eine Menge Arbeit, vom Fachpersonal in den Museen oder auch unabhängigen Forschenden wie Fossi an der TU Berlin in dem Forschungsprojekt “Umgekehrte Sammlungsgeschichte”. Sylvie Njobati findet, dass das Argument mit der Provenienzforschung wie eine Ausrede ist, eine Hinhaltetaktik der Museen.

Es kommt in der Regel oft erst durch öffentlichen Druck dazu, dass Objekte zurückgegeben werden. Die Stiftung preußischer Kulturbesitz hat etwa im Mai 2022 -  23 Artefakte nach Namibia zurückgegeben - allerdings formell nur als Leihgabe - was auch wieder für Kritik sorgte.

Und bei der Ngonnso?

Njobati (Übersetzung): Im Juni soll eine Entscheidung fallen, ob es eine Restitution geben wird. Und ich bleibe optimistisch, dass sie sich an ihr Wort halten, dass eine Restitution möglich ist. Wenn diese Entscheidung gefallen ist, dann wird es Gespräche geben. Erstmal wird es Verhandlungen mit den verschiedenen Akteur*innen geben, auch aus der Regierung und der Community. .

Aber selbst wenn die Ngonnso zurückkommt, kann sie nicht einfach in das ursprüngliche Gebiet der Nso. Seit 2016 herrscht im Westen Kameruns ein Bürgerkrieg, der König der Nso ist selbst gerade nicht in seinem Palast in Kumbo, sondern in der Hauptstadt Yaounde. Wer die Ngonnso empfangen würde und wo sie hinkommen könnte, ist also nicht klar.

Man hört Straßengeräusche

Nur wenige Kilometer vom Humboldt Forum entfernt reihen sich im Herz von Berlin-Mitte Cafés und Galerien aneinander

Jonas Soho: Muss ich auch mal gucken. Wir haben nämlich noch ein Telefon. Ich hoff das klingelt nicht

Das ist Jonas Soho, er hat vor fünf Jahren in Berlin eine PR-Agentur gegründet. Nebenbei betreibt er noch einen Ausstellungsraum, in dem Veranstaltungen stattfinden und Künstler*innen ihre Werke präsentieren. Dort versucht er gerade noch fürs Interview das Telefon auszuschalten.

Ähnlich wie Sylvie Njobati hat auch er sich mit seiner kamerunischen Identität auseinandergesetzt. Nur nicht als Kameruner, der in Kamerun aufgewachsen ist, sondern von Deutschland aus, mit einem kamerunischen Vater.

Soho: Ich habe einen sehr enges Verhältnis zu meinem Vater, der auch sehr stolz ist und dementsprechend viel auch mal gepusht hat, dass wir viel Kontakt haben. Ich habe so viel Kontakt zu meiner Familie. Ein Großteil von meiner Familie wohnt in Frankreich, mein Vater kommt aus dem frankophonen Teil von Kamerun, ich habe viel Kontakt mit denen gehabt. Spreche auch französisch [...]

Jonas Soho ist in einer Kleinstadt in NRW aufgewachsen, hat zwischendurch in Holland gelebt und jetzt in Berlin.

Soho:   gerade wenn du aus einer sehr kleinen Stadt kommst wie ich wirst du viel gefragt logischerweise woher du kommst und musst dann auch damit identifizieren. Und ich habe das Privileg, dass ich das auch ganz gut kann, wenn Leute fragen okay, was sind denn Bräuche, was auch immer eine Essen usw da kenne ich mich halt ganz gut aus, weil ich das Glück habe, dass mein Vater mir das jetzt sehr gut nahegebracht hat und ich früh dann auch diese Identifikation hatte und damit ja mit Leuten auf Leute zugehen konnte und erzählen kann, was die andere Hälfte meiner Identität ist

Und das muss er oft erklären - nicht alle wissen, wo Kamerun liegt. Und noch weniger sind die Diskurse, ist die politische Lage Kameruns in den Köpfen der Menschen präsent. Oder das Wissen darüber, dass Kamerun mal eine deutsche Kolonie war.

Soho: Es wissen nicht viele Leute. Es gibt witzigerweise noch, meine Oma benutzt teilweise noch deutsche Wörter so, also Schweinerei zum Beispiel, ist ein Wort was noch so hängengeblieben ist. Und das muss ich schon. Musste ich schon häufiger Leuten erklären. Das wissen nicht soo viele Leute

Jonas Soho erzählt, dass der Einfluss der deutschen Kolonialmacht in Kamerun geringer ist, als der von Frankreich oder Großbritannien. Aber eine Sache haben all diese Kolonialmächte gemeinsam: Sie haben es in der Kolonialzeit geschafft sich als der Standard zu etablieren, ihre Nomen, ihre Werte als den Maßstab durchzusetzen, an dem man sich misst. Den man erreichen möchte.  

Soho: Also mein Vater ist, mein Onkel, sind extrem spirituell unterwegs und die beschäftigen sich sehr viel mit der Kultur, sind beide auch nicht gläubig und die christliche Kirche, die sehr groß ist in Kamerun, ist halt sehr kulturell westlich dann auch als Einflussgeber zu sehen. Und deshalb habe ich häufig so ein bisschen auch was an Identitätsfindung ganz gut ist, diesen Blick von von Bräuchen, den einzelnen Kulturen, die du hast, den einzelnen Ethnien. Wenn mein Onkel das mal sehr stark aufrollt. Und ich merke häufig, dass das in Kamerun nicht so der Fall ist, weil alle Leute, die Geld haben, schnell sich nach Europa orientieren oder nach Amerika, meistens nach Europa. Und du hast dann dementsprechend wenig Konversation über lokale Kultur, lokale Bräuche. .[...]

Diese lokalen Bräuche oder auch Sprachen gehen häufig verloren - kein Wunder, bei über 200 Bevölkerungsgruppen, die es in Kamerun gibt. Sich mit diesen Wurzeln auseinanderzusetzen, in einem Land, in dem Englisch und Französisch die Amtssprachen sind, ist nicht selbstverständlich. Jonas denkt, dass er das von Deutschland aus sogar leichter tun kann.

Soho: Also es ist ja auch eine Privilegsache, sich mit so was auseinanderzusetzen, weil, wie gesagt, es ist ein verhältnismäßig armes Land, Du hast super krass viel Korruption ist ein Riesenproblem. Und dann jetzt auch diese anglophonen frankophonen Konflikte, die seit ein paar Jahren gerade im Norden  stattfinden. Und die Leute haben andere Probleme und das deshalb wahrscheinlich auch findet das Thema mehr hier statt, weil die Leute auch den Freiraum haben, sich damit auseinanderzusetzen.

Man hört Geräusche Museums-Lobby

Mbala: Ich muss sagen, in meinem Fall hatte ich das Glück, dass ich halt ein Fuß in Deutschland habe und wirklich Recherchearbeit machen kann.

Zurück zur Künstlerin Elsa Mbala, die ihr ganz am Anfang dieser Folge kennengelernt habt. Sie ist zwar in Kamerun aufgewachsen, aber dadurch, dass sie mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen ist, hat auch sie, ähnlich wie Jonas Soho, andere Zugänge.

Mbala: Ich kann wirklich Musiker von der alten Generation aufnehmen. Mir wirklich Zeit damit lassen zu wissen, was denn vorher da war. Weil es ging auch um Identitätssuche bei mir wirklich statt Entertainment, was ja auch sein Platz hat, natürlich. Aber diese Arbeit von diese Archivisten-Arbeit, wo man irgendwie sucht, was vorher da war und versucht das irgendwie der Gesellschaft zurückzugeben. Das wird wirklich zu wenig betrieben und dadurch weiß man halt nicht wirklich über so was wie Ngonnso Statuen in Kamerun selbst.

Wie ist es eigentlich in Kamerun? Ist die Raubkunst-Debatte eine, die gesamtgesellschaftlich geführt wird?

Mbala: Nicht wirklich. [...] In der Kunstszene kommt das so langsam. Und man muss dazu sagen, Kunst ist sehr religiös auch in Afrika praktiziert worden.

Elsa Mbala kann verstehen, warum afrikanische Kunst-und Kulturgüter im Westen so beliebt sind. Aber sie haben für die Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent eine ganz andere Bedeutung als in Deutschland.

Mbala: Also haben sie auch einen spirituellen Wert. Sie sind Gesellschaftsabhängig, sie sind Glaubensrichtungen abhängig. Und das alles hat dazu geführt, dass viele Nationen in Afrika einfach unstabil geworden sind.

Sie erklärt wie sich der Verlust an Identität und spirituellen Bezugspunkten bis heute auf die Länder auswirkt:

Mbala: Wenn man nicht mehr diese Gegenstände hat, wo man sich zurückziehen kann und nach was besserem fragen beten kann, wird es halt schwierig, auch eine gewisse Substanz zu haben, zu kreieren in seine eigene Kultur, in seine eigene Identität. [...] Aber dadurch, dass diese Debatte immer wieder angefeuert wird, auch aus dem Westen von Leuten Diaspora zum Beispiel, kommt das so langsam an, [...]

Das Interview für diesen Podcast ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich Elsa mit dem Thema Raubkunst beschäftigt. Sie ist in einem Projekt an einem Stuttgarter Museum zum ersten Mal damit in Berührung gekommen.

Mbala: Im Museum von Stuttgart gibt es ja auch einen Haufen Raubkunst Werke in den Kellern. Und diese, diese Werke sind meistens in Kellern eingepackt.

Die Ngonnso-Statue lagerte auch lange im Keller des Ethnologischen Museums in Dahlem, bevor sie ausgestellt wurde.

Mbala: Und man muss dazu sagen, diese Statuen leben tatsächlich in der afrikanischen Kultur, die sind lebendig und die brauchen diesen Zugang zu Menschen, um weiter am Leben zu bleiben. was ja ein Konzept ist, was der Westen nicht verstehen kann. Ich meine, die sind wirklich da mit Christianity hingegangen, um so solche Glaubenssätze zu zerstören. Aber ich sag es trotzdem. Also diese Werke leben und brauchen diesen Zugang zu Menschen, um überhaupt am Leben zu bleiben.

Heute steht die Statue öffentlich ausgestellt im Humboldt-Forum bei freiem Eintritt. Immerhin nicht mehr im Keller. Aber die Nso haben den Zugang zur Ngonnso nicht. Die Filmemacherin Sylvie Njobati und der Wissenschaftler Richard Tsogang Fossi gehen beide davon aus, dass sie 1902 von Curt Pavel aus dem Palast der Nso geraubt wurde.

Und Elsa Mbala? Glaubt sie, dass die Ngonnso auf einem legalen Weg nach Deutschland kam?

Mbala: Nie im Leben.(lacht) Also. Also, mit allem Respekt. Ich glaube, es ist wichtig, das immer im Kontext zu bringen, deshalb hab ich auch so viel drüber gelabert, dass es auch wirklich ein Weg war um einfach diese Nation schwächer zu machen

Sie denkt, den Kolonialmächten war bewusst, dass diese Figur wichtig ist für die lokale Bevölkerung. Sie wollten damit bewusst das Volk der Nso schwächen.

Und aus Sicht der Nso sagt Elsa Mbala: die hätten die Statue nie im Leben freiwillig weggegeben:

Mbala: Weil es einfach so eine Wichtigkeit ist. Diese Statuen sind Teil dieser Kultur und diese Praktiken, das sind meistens auch Sachen, die nicht jeder überhaupt Zugang zu den haben aus der Gesellschaft selbst. Nur die Ältesten, die eingeweiht wurden

Diese Sichtweise wird vor allem von denjenigen vertreten, die sich für die Rückgabe einsetzen, vor allem die Nso: Niemand hätte die Ngonnso freiwillig hergegeben.  Und sie sprechen der Ngonnso noch heute, auch nach so langer Abwesenheit so große Macht zu, dass sie sogar bei aktuellen Konflikten helfen könnte.

Mbala: Diese Götter allerdings sind wirklich dazu da.. Also diese Statuen sind wirklich dazu da, um Stabilität in über Generationen hinaus zu geben. Es ist unglaublich wichtig, dass sie da bleiben, um einfach diesen Menschen auch den Weg zurück nach Hause zu geben.

Stabilität. Die braucht die kamerunische Bevölkerung vor allem aus politischer Sicht aktuell sehr dringend. Im Westen des Landes kämpfen anglophone separatistische Kräfte für einen eigenen Staat, weil sie sich von dem weitestgehend frankophonen Teil des Landes unterdrückt fühlen. Es ist auch der Teil des Landes, in dem der König der Nso seinen neuen Palast aufbauen möchte. Sicher ist es dort aktuell nicht - das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in den Nordwesten des Landes.

Wenige Tage vor Redaktionsschluss für unseren Podcast tagt der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und stimmt dort auch über die Zukunft der Ngonnso ab. Wir hatten schon nicht mehr damit gerechnet, dass es noch so konkret wird: In der Pressemitteilung vom 27. Juni wird auf den Austausch mit den Nso verwiesen, der sich in den letzten Jahren intensiviert hat, unter anderem durch die Initiative von Sylvie Njobati. Und weiter heißt es:

Eingelesen: Im Dezember 2021 tauschten sich Vertreter der Nso’-Communitiy in Kamerun und Deutschland, Museumsvertreter*innen und Wissenschaftler*innen aus Deutschland zur Provenienzgeschichte und der Bedeutung der Ngonnso’ für die Nso’ aus. Sie stellten gemeinsam fest, dass die Ngonnso’ zwar nicht durch Plünderung im Rahmen von Kriegshandlungen aus Kumbo, der Hauptstadt des Königsreichs Nso’, entfernt wurde. Jedoch war von Pavels Aufenthalt in Kumbo auch ohne konkrete Kampfhandlungen Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse und struktureller, kolonialer Gewalt, denn er wurde von Soldaten und bewaffneten Trägern begleitet und sollte einschüchternd auf die Nso’ wirken. Zudem hat die Ngonnso’ eine zentrale Rolle für die Nso’, da sie als eine Muttergottheit betrachtet wird. Aufgrund dieser Umstände ist der Stiftungsrat der Empfehlung des Präsidenten gefolgt, die Rückgabe der Figur in die Wege zu leiten.

Das müssen wir uns noch mal auf der Zunge zergehen lassen, weil das natürlich auch für andere Objekte, auch für andere Geschichten hier aus dem Podcast relevant ist, wonach die Stiftung hier entscheidet: keine konkrete Kampfhandlung  ABER ungleiche Machtverhältnisse im kolonialen Kontext plus: das Objekt hat eine besonders große Bedeutung für die Herkunftsgesellschaft. Und das reicht, um von deutscher Seite eine Rückgabe einzuleiten. Wenn ihr die anderen Folgen gehört habt, merkt ihr schon: so könnte man dann auch bei einigen anderen Objekte für eine Rückgabe argumentieren.

Mich beeindruckt, mit wie viel Durchhaltevermögen die Nso für ihre Gründergöttin kämpfen und ich würde mich von Herzen freuen, wenn sich das endlich auszahlt. Rückgabeverhandlungen können sich dann noch über Jahre ziehen, das sehen wir zum Beispiel bei den Benin-Bronzen, aber das offizielle Go, damit loszulegen, ist trotzdem ein wichtiger und vor allem längst überfälliger Schritt.

Musik Abspann

Das war “Akte: Raubkunst?” über die sogenannte Ngonnso-Statue und wie wichtig sie für die Identität der Nso ist, und auch für die der kamerunischen Diaspora in Deutschland. Ich bin Helen Fares und wenn euch dieser Podcast gefällt, klickt auf abonnieren und erzählt euren Freund*innen davon.

Akte: Raubkunst? ist eine Produktion von Good Point Podcasts im Auftrag von ARD Kultur. Autor*in dieser Folge ist Azadê Peşmen. Executive Producer und Redaktion: Eva Morlang, Head of Content ARD Kultur: Kristian Costa-Zahn, Produktionsleitung ARD Kultur: Reimar Schmidtke, Schnitt: Tina Küchenmeister, Sounddesign: Josi Miller.

Rechte: ARD Kultur

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