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Die Treuhandanstalt in Berlin 1991 Bildrechte: picture-alliance / dpa | Klaus Franke

Zwischen Euphorie und Goldgräberstimmung

15. Juli 2020, 12:37 Uhr

1990 stellte sich die Frage: Was soll eigentlich aus dem volkseigenen Vermögen der DDR werden? Ostdeutsche Bürgerrechtler initiierten die Gründung einer "Treuhandanstalt", um die DDR vor dem Ausverkauf zu retten. Doch als 1994 der Auftrag der Treuhandanstalt endete, blieben 2,5 Millionen verlorene Arbeitsplätze und 256 Milliarden Mark Schulden. Die Rolle der "Treuhandanstalt" ist bis heute sehr umstritten.

Gründung der Treuhand

Die Treuhandanstalt hat 1990 eine klare Aufgabe: Die volkseigenen Betriebe der DDR soll sie so gut wie möglich aus der Plan- in die Marktwirtschaft begleiten. Ihre Gründung geht auf die Initiative von DDR-Bürgerrechtlern zurück. Im Februar 1990 schlägt das "Freie Forschungskollegium Selbstorganisation" in einem Zwei-Seiten-Papier vor, das Volkseigentum einer Staatsholding zu übertragen. So sollen die Anteile der DDR-Bürger gewahrt werden.

Wolfgang Ullmann von der Bürgerrechtsbewegung "Demokratie Jetzt" bringt diesen Vorschlag in die Diskussionen am Runden Tisch ein – und zwei Wochen später hat die Modrow-Regierung tatsächlich einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Allerdings fehlt ein entscheidender Passus: Von einer Verteilung des Eigentums an das Volk ist nirgendwo mehr die Rede, zu kompliziert erscheint der Vorschlag, und das wenige Wochen vor der ersten freien Volkskammerwahl. Per Verordnung wird am 1. März 1990 die "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkeigentums" gegründet.

Theorie und Praxis der Treuhand

Das Motto der Treuhand lautet: "Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen" – soweit der offizielle Tenor. In der Praxis müssen viele der rund 8.500 VEBs das Urteil des freien Marktes fürchten. Denn schließlich gilt die DDR-Wirtschaft im Westen als marode und abgehängt – von wenigen Filetstücken abgesehen. Es droht ein Ausverkauf zu Dumpingpreisen. Als die D-Mark in den Osten kommt, verschärft sich die Lage noch. Denn viele DDR-Betriebe können Löhne in harter Währung nicht erwirtschaften, weil sie ihre Produkte kaum noch loswerden. Was bleibt, ist vielerorts die Hoffnung auf einen warmen Geldregen aus dem Westen.

Der Treuhand-Manager Klaus Klamroth

Es ist Sommer 1990. Klaus Klamroth zieht es aus Heidelberg zurück in seine ostdeutsche Heimat. Es ist eine Zeit des Goldrauschs, die der gebürtige Halberstädter mitgestalten will: Als Direktor der Treuhandniederlassung in Halle. Auf ihn wartet eine große Herausforderung - Manager wie er sollen eine ganze Volkswirtschaft in die deutsche Einheit führen.

Doch er ist mit Hochstaplern konfrontiert und mit Unternehmern, die das schnelle Geld machen wollen. Der Osten ist in dieser Zeit ein Eldorado – nie zuvor wurde so viel öffentliches Eigentum in so kurzer Zeit privatisiert.

Es war die wichtigste Zeit meines Lebens und ich bin mit einem großen Anspruch auch an mich selbst an diese Aufgabe herangegangen – und ich musste hinterher feststellen, dass ich in vielen Dingen zu naiv an diese Aufgabe herangegangen bin, dass ich nicht genug aufgepasst habe."

Klaus Klamroth, Ex-Treuhand-Manager

Für viele ist es die Chance ihres Lebens. Nicht für Manager Klamroth - er wird vom Abwärtssog erfasst, als er Ende 1992 unter Betrugsverdacht gerät. Insidergeschäfte soll er abgeschlossen und sich persönlich bereichert haben, so der Vorwurf. Dieser erweist sich als haltlos, das Verfahren wird eingestellt. Doch Karriere und Ruf von Klaus Klamroth sind ruiniert.

Der Treuhand-Vorstandsassistent Detlef Scheunert

Detlef Scheunert erlebt den Umbruch als Ostdeutscher im Machtzentrum der Treuhand. Der Assistent des Vorstands findet sich in Berlin an vorderster Front wieder, als der prestigeträchtigen DDR-Airline Interflug mangels Investitionen der Konkurs droht.

Die Angestellten der Interflug wollen das nicht hinnehmen. Der Betriebsratsvorstand stürmt in die Treuhand-Zentrale und will dem Treuhand-Vorstand die Meinung sagen.

Und zu meinem persönlichen Entsetzen stand unter den Betriebsräten der Interflug ein persönlicher Freund und Bekannter. Mir war in dem Moment bewusst, was jetzt noch kommen wird in diesem Land – dass man sich entscheiden muss, auf welcher Seite man steht und dass es natürlich Gewinner und Verlierer geben wird.

Detlef Scheunert, Jahrgang 1955

Die Angestellten der Interflug demonstrieren - allerdings ohne Erfolg. Anfang 1991 wird die Interflug hochverschuldet liquidiert – und die Lufthansa hat einen Konkurrenten weniger.

Weitere Nackenschläge für die Menschen im Osten folgen. Die Idee, ihnen das Volkseigentum anteilig auszugeben, ist ohnehin längst verworfen. Stattdessen werden sie regelrecht enteignet – während sich findige Unternehmer hemmungslos bereichern.

Spottpreise für Immobilien, Firmen, Kleinbetriebe

Die Treuhand verscherbelt innerhalb von vier Jahren rund 50.000 Immobilien, fast 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe zu Spottpreisen. Ganze Industriezweige brechen zusammen, fehlende Kontrollmechanismen führten zu diversen Formen von Wirtschaftskriminalität. Als 1994 der Auftrag der Treuhand endet, bleibt für den Staat ein Schuldenberg von rund 250 Milliarden D-Mark. Von den ehemals sechs Millionen Werktätigen verlieren rund 2,5 Millionen ihre Stelle.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: Treuhand - ein deutsches Drama02.03.2020 | 22:45 Uhr