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Chruschtschows Berlin-Ultimatum

18. November 2021, 15:40 Uhr

Es hätte eine totale Blockade West-Berlins bedeutet, wenn die Sowjetunion ernst gemacht hätte – ein Jahrzehnt nach der berühmten Luftbrücke 1948. Am 27. November 1958 stellte der Sowjetchef Nikita Chruschtschow dem Westen das sogenannte Berlin-Ultimatum, um die "kapitalistische Insel" inmitten der DDR endgültig zu isolieren – sein Vorstoß gegen den Viermächtestatus Berlins sollte die Spreemetropole monatelang in Atem halten.

von Johannes Christof

Die Brisanz seines Ultimatums war dem ersten Mann im Moskauer Kreml durchaus bewusst, als er den Westmächten Ende November 1958 seine Forderungen stellte. Doch wer, so Chruschtschows Kalkül, würde schon wegen Berlin einen neuen Krieg vom Zaun brechen? "Nur Wahnsinnige können so weit gehen, daß sie wegen der Aufrechterhaltung der Privilegien der Okkupanten in West-Berlin einen neuen Weltkrieg auslösen. Sollten solche Wahnsinnigen tatsächlich auftauchen, so braucht nicht daran gezweifelt zu werden, daß sich für sie Zwangsjacken finden würden."

"Imperialisten" im Westen

Die Schuld für die heikle Lage wollte Nikita Chruschtschow freilich bei den westlichen Alliierten sehen – jedenfalls erklärte er die Nachkriegsabsprachen mit den einstigen Verbündeten gegen Hitler über Berlin für nicht mehr akzeptabel, und warf den "Imperialisten" im Westen vor, "die deutsche Frage zu einer Quelle internationaler Spannungen" gemacht zu haben und die Aufrüstung voranzutreiben. Die schwierige Berlin-Frage wurde so - und das nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal - zur Machtprobe im Kalten Krieg und sorgte für Besorgnis, bis der Mauerbau im August 1961 bittere Fakten schaffen sollte.

Besatzung der vier Mächte

Nach dem militärischen Sieg über Nazi-Deutschland 1945 hatten die Alliierten Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich einen viergeteilten Besatzungsstatus über das Land sowie gesondert über dessen Hauptstadt verhängt, der den Siegermächten bis zum Abschluss eines formellen Friedensvertrags weitreichende Hoheitsrechte einräumte. Darunter fiel auch die Kontrolle der Verkehrswege von Westdeutschland nach West-Berlin durch die sowjetischen Besatzer, an der sich, ein Jahrzehnt nach deren dramatischer Berlin-Blockade, die erneute Konfrontation entzündete.

Weitreichende Forderungen

Chruschtschow forderte nun den noch ausstehenden Friedensvertrag sowie den Abzug der Alliierten aus Berlin innerhalb eines halben Jahres – andernfalls werde man als ostdeutsche Schutzmacht die Verbindung nach West-Berlin kappen, das zu einer entmilitarisierten Freien Stadt mitten im Staatsgebiet der DDR werden solle, und zudem einen separaten Friedensvertrag mit der DDR aushandeln.

Zündstoff der Teilung

Die Teilung und der Sonderstatus Berlins trieben seit der Nachkriegszeit groteske Blüten und führten zudem mehrfach zu heiklen Situationen. Der neuralgische Punkt war dabei stets der vorgesehene freie Zugang der westlichen Alliierten – auch zum Ostteil der Stadt. Der stand nach dem Mauerbau einmal konkret in Frage – als die DDR im Oktober 1961 auf eigene Kontrollen an der sowjetischen Sektorengrenze bestand und der darauf folgende "Showdown" am Checkpoint Charlie zwischen US- und Sowjetpanzern letztlich aber nicht eskalierte.

Stadt ohne Staat?

Ein Dauerthema waren dagegen die Militärparaden der Nationalen Volksarmee der DDR in Ost-Berlin – da ostdeutsche Truppen dort eigentlich nicht vorgesehen waren, ließen die Protestnoten des Westens nie lange auf sich warten. Ein weiterer Streitpunkt wurde die ostdeutsche Wehrpflicht, die für Ost-Berlin ebenfalls nicht vereinbart worden war. Anhand solcher Punkte zeigte sich das stete Bemühen der DDR, Ost-Berlin vollständig in den eigenen Staat zu integrieren, obwohl selbst dessen Status als ostdeutsche Hauptstadt vom Westen wegen des Sonderstatus‘ der gesamten Stadt nicht offiziell anerkannt wurde. Der Aufbau des DDR-Verteidigungsministeriums in Strausberg war dementsprechend eher ein Feigenblatt – ebenso wie der Ausbau des Flughafens Schönefeld vor den Stadtgrenzen, um das Anflugverbot für nicht-alliierte Maschinen zu umgehen.

Protest und Einigkeit

Chruschtschow spielte 1958 gar mit dem Gedanken, West-Berlin wie zehn Jahre zuvor erneut komplett abzuriegeln, wohl wissend, dass dies einen Krieg beinahe unausweichlich gemacht hätte. Im Wissen um die drohende Gefahr bezeichnete beispielsweise der amerikanische Botschafter in Moskau, Llewellyn Thompson, Chruschtschows Handeln als "äußerst gefährlichen Schritt". Die westdeutsche Bundesregierung von Konrad Adenauer wollte sogar einen "Bruch des geltenden Völkerrechts" erkannt haben. Zur Eskalation sollte es aber angesichts der überwiegenden Einigkeit des Westens gegen den sowjetischen Vorstoß nicht kommen. Letztlich befürwortete nur der britische Premierminister Harold Macmillan zwischenzeitlich einen Status für Berlin, der bei einer UN-Aufsicht für die Stadt wohl auf eine deutsche Dreiteilung hinausgelaufen wäre.

Fortlauf ins Leere

Letztlich machten klare westliche Erklärungen gegen Chruschtschows Forderungen schon im Dezember 1958 klar, wohin die Reise gehen sollte. Dennoch legte der sowjetische KP-Chef im Januar 1959 nach und forderte vor allem die völkerrechtliche Anerkennung der DDR samt der noch umstrittenen Oder-Neiße-Linie als ihrer Ostgrenze sowie eine weitgehende Neutralisierung ganz Deutschlands. Dadurch kam es im westlichen Lager zwar zu einigen Debatten, aber die darauf folgenden Verhandlungen unter den vier Mächten liefen letztlich ins Leere.

Grenzen der Macht

Präsident John F. Kennedy am 26. Juni 1963 in West-Berlin. Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Da der Westen nicht einlenkte und die Sowjetunion nicht ernst machte, verpuffte das Berlin-Ultimatum schließlich. Chruschtschow stieß letztlich in der Berlin-Frage ebenso an die Grenzen seiner außenpolitischen Macht wie 1962 in der richtungsweisenden Kuba-Krise. Entscheidend war dabei vor allem, dass der neue US-Präsident John F. Kennedy Mitte 1961 als drei "essentials" den freien Zugang und das Recht auf Anwesenheit für die westlichen Alliierten nach und in ganz Berlin sowie die Freiheit der West-Berliner Bevölkerung festhielt und am 25. Juli 1961 klarstellte:

Wir haben unser Wort gegeben, dass wir jeden Angriff auf diese Stadt als einen gegen uns alle gerichteten Angriff betrachten werden.

Abschottung des Ostens

Diesen "essentials" lief der Mauerbau durch die Ostseite nicht zuwider – so dass er bereits gute drei Wochen nach deren Verkündung, am 13. August 1961, stattfand und vom Westen hingenommen wurde. Nicht nur für den britischen Premier Macmillan war der Mauerbau zwar "unglücklich", aber "nichts Illegales". Letztlich war er ein "Einfrieren" des Berlin-Problems, bis die Politik der Zukunft es lösen sollte. Die Abschottung Ost-Berlins vor dem friedlichen Wettlauf der Systeme blieb aber auch der einzige maßgebliche Teilerfolg der ambitionierten DDR – die sich letztlich mit der Rolle des Juniorpartners der Sowjetunion begnügen und deren Marschroute gegenüber den Westmächten folgen musste.

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Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Aktuell"26.06.2018 | 17:45 Uhr