Modrow und der BND
Hans Modrow war der erste Ostdeutsche, der auf Einsicht in seine bundesdeutschen Geheimdienstakten geklagt hat. Im Februar 2018 erzielte Modrow vor dem Bundesverwaltungsgericht einen Teilerfolg. Der BND wurde verpflichtet, Modrow zu bestimmten Themen Akteneinsicht zu gewähren. Doch bis heute bekommt er nur wenige und geschwärzte Akten. Die MDR Zeitreise beleuchtet den Fall Modrow in "Der geheime kalte Krieg - Wie der BND die DDR ausspionierte" am 11.08.2019 um 22 Uhr.
Es war ein steiniger Weg. 1990, als Stasi-Akten im Mittelpunkt stehen, fragt Modrow nach, ob es denn auch Akten westdeutscher Geheimdienste über ihn gebe. Die Antworten bleiben unbefriedigend. Jahrelang bleibt sein Kampf um die Aktenherausgabe erfolglos. Im Januar 2013 fragt Modrow konkret beim damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach, ob und wann westdeutsche Geheimdienste ihn ausgespäht hätten. Friedrichs Antwort und spätere Auskünfte auf "kleine Anfragen" der "Linken" besagen, dass BND und Verfassungsschutz von 1951 bis 2013 Informationen über Modrow sammelten.
Dass er bereits für BND und Verfassungsschutz interessant sein könnte, hat Modrow schon früh geahnt. Aber "ich glaubte, dass wenigstens nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit und dem erklärten Ende des Kalten Krieges sich diese wechselseitige Ausspähung erledigt hätte", sagte Modrow dem Geschichtsmagazin "MDR Zeitreise" im Mai 2018.
Magere Ergebnisse
Nach der Anfrage von 2013 "mauern" die Geheimdienste der Bundesrepublik und wollen keine Dokumente herausgeben. Von Innenminister Friedrich kommt die Auskunft, dass Modrows Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ans Bundesarchiv übergeben wurden und damit für ihn nicht zugänglich seien. Modrow stellt weitere Anfragen an einzelne Landesämter für Verfassungsschutz und am 7. Mai 2015 schließlich einen förmlichen "Auskunftsantrag" an den Bundesnachrichtendienst. Er setzt damit einen intensiven Mailverkehr zwischen den Abteilungen von Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskanzleramt in Gang. Die Ergebnisse bleiben mager. Er bekommt nur wenige, vielfach geschwärzte Papiere.
Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Einsicht in BND-Akten
Schließlich klagt Modrow vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auf Einsicht in seine BND-Akten und erzielt am 28. Februar 2018 einen beachtlichen Teilerfolg. Der BND wird verpflichtet, Modrow detaillierte Auskünfte zu folgenden Themen zu geben: Seine Zeit in den 1950er-Jahren, als er für das Abgeordnetenhaus von West-Berlin kandidierte, seiner Stilisierung zum Hoffnungsträger in der SED und Nachfolger Honeckers sowie seinen internationalen Kontakten und Auslandsreisen. Zwei Monate später, im April 2018, bekommt Hans Modrow über seinen Anwalt einige Dokumente des BND.
Behörde "mauert"
Einem Team der "MDR Zeitreise" berichtet Hans Modrow über die Ergebnisse seiner Akteneinsicht. Es gab zwar weitere Informationen zum Thema "Modrow als Hoffnungsträger und Nachfolger Honeckers" sowie "Modrows Auslandsreisen", erklärt er. Doch Akteneinsicht kann man den Vorgang nach seiner Meinung eigentlich nicht nennen. Noch kurz vor Prozessbeginn 2018 hatte der Bundesnachrichtendienst in einer langen Kladde 123 Vorgänge zu Modrows Fragen aufgelistet. Jeweils ein Thema neben einer Aktennummer. Modrow erwartete nun die dazugehörigen Aktenauszüge, aber er bekam nur zusammengeschriebene Bruchstücke aus den Akten, erzählt er. Offen bleibt für Modrow die Frage, warum die gerichtlich festgelegte Akteneinsicht vom BND immer noch verwehrt wird. Die Behörde stellt Quellenschutz und Geheimhaltungsgründe vor Modrows Auskunftsanspruch.
"Hoffnungsträger Modrow"
Modrow meint: "Beim jetzigen Stand habe ich noch viel größeres Interesse an den Akten, weil hier Ansätze von Auskünften sind, die Dinge beinhalten, die innerhalb der DDR abgelaufen sind, als auch international zum Thema Modrow als Hoffnungsträger aufschlussreich sind." In all den Jahren zuvor hatte der Politiker den Eindruck, seine Stilisierung zum Hoffnungsträger und Nachfolger Honeckers sei wesentlich vom Bundesnachrichtendienst lanciert worden. "Dieses Thema Hoffnungsträger schien mir bisher mehr ein Thema, wo innerhalb des Geheimdienstes der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Informationen an Presse, Rundfunk und Fernsehen gegeben wurden, um ab 1986 spekulative Informationen in die Öffentlichkeit der Bundesrepublik zu tragen."
Als Nachfolger Honeckers gehandelt
In einem früheren Gespräch mit der "MDR Zeitreise" spekulierte Modrow noch: "Ob man mir damit schaden wollte oder ob man glaubte, man baut einen Reformer auf, das kann ich nicht wissen, wenn ich keine Quellen habe." Nach Aktenlage stellt sich nun heraus, dass Modrow auch international als Nachfolger Erich Honeckers gehandelt wurde. Modrow: "Als Gorbatschow im Juli 1988 Warschau besucht, wird von polnischen Politikern die Frage nach Modrow gestellt. Gorbatschow erklärt, in seiner Umgebung würde der 1. Bezirkssekretär der SED in Dresden eine Rolle spielen und man meint, er wäre befähigt, eine Tätigkeit als Nachfolger von Erich Honecker auszuüben." Modrow wusste, dass ihn die Sowjets schon seit den 1970er-Jahren gern näher am Machtzentrum Berlin, als Mitglied des Politbüros der SED, gesehen hätten. Aber dass ihn Gorbatschow und die Polen 1988 als Nachfolger Honeckers handeln, verblüfft Modrow nun doch: "Weil ich Gorbatschow zu dem Zeitpunkt noch nie persönlich begegnet war.“
Latentes Misstrauen vom Staatschef
Nun versteht Modrow aber auch die latente Feindschaft Honeckers, die er oft spürte, aber nie richtig einordnen konnte. Modrow hat sie immer darauf zurückgeführt, dass er als Mann Walter Ulbrichts galt. Walter Ulbricht hatte ihn einst als Jugendfunktionär in Berlin eingesetzt. Heute sieht Modrow klar: "Ich verstehe jetzt, dass das Vertrauen Erich Honeckers zu mir immer mehr im Schwinden war, je mehr er das Gefühl oder Auskünfte bekam, auf der sowjetischen Seite wird ein wachsendes Vertrauen zu Hans Modrow festgestellt und eine mögliche Ablösung Honeckers ist dort erwünscht. Es war eine Zeit, in der sich immer mehr Misstrauen innerhalb der SED-Führung gegen mich aufbaute, was ich zu spüren bekam.“
Geplanter Hochverratsprozess
Schon 1988 war Modrow klar, dass seine Arbeit als 1. Sekretär der Bezirksleitung Dresden im Politbüro kritisch diskutiert wurde. Im Februar 1989 gründete Honecker eine Arbeitsgruppe unter Leitung des für Wirtschft zuständigen Politbüromitglieds Günter Mittag, die den Bezirk Dresden unter die Lupe nehmen sollte. Modrow blieb gelassen. "Meine Meinung war, sie wollen dir nachweisen, dass du nicht in der Lage bist, den Bezirk zu führen. Und wer das nicht kann, den muss man ablösen. Politisch greifen sie dich nicht an, weil ja in der Bundesrepublik die Frage des Hoffnungsträgers hochgespielt wird, da will die SED keine Handreichung geben. Und auf dieser Gradwanderung befindest du dich. Stell dich darauf ein.“
Die neuen Informationen aus den BND-Akten ändern Modrows Blick auf die Geschichte. "Ich bekam jetzt die Auskunft, dass Honecker gegenüber dem Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, einen Auftrag ausgelöst hat, er möge den Chef der Bezirksverwaltung des MfS im Bezirk Dresden, Generalmajor Böhm, beauftragen, gegen Modrow bestimmte Akten und Vorgänge zu sammeln, um einen Prozess wegen Hochverrats durchführen zu können.“
Modrow will weiter klagen
Die Aussagen stammen von einem Überläufer der Stasi, der dem bundesdeutschen Verfassungsschutz am 27. Februar 1990 mitteilte, dass die "Beweissammlung" beim MfS mehrere Akten umfasse. Wohnung und Dienstzimmer Modrows seien nach Angaben des Überläufers verwanzt gewesen, Post und Telefon ebenfalls überwacht worden. All das sind weitere Indizien für den geplanten Hochverratsprozess. Die besagten Stasi-Akten Modrows sind aber auf mysteriöse Weise verschwunden. Es wird vermutet, dass sie sich in Moskau befinden.
Hans Modrow bleibt hartnäckig. Er will weiter klagen: "Ich habe darüber mit meinem Rechtsanwalt gesprochen. Er wird Einspruch erheben und wir werden uns weiter mit dem Bundesnachrichtendienst auseinanderzusetzen haben."
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in "MDR Zeitreise"05.06.2018 | 21:15 Uhr