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Wahl zum ParteichefErich Honecker – Sein Aufstieg

12. November 2021, 14:59 Uhr

Am 3. Mai 1971 wird Erich Honecker zum SED-Chef gewählt. Legendenumwoben ist sein Machtantritt, hoffnungsvoll sind die ersten Jahre im Amt – doch zum Schluss personalisiert er ein verkrustetes System. Und stirbt am 29. Mai 1994 im Exil in Chile.

Als Walter Ulbricht 1973 auf dem Sterbebett lag, verlangte er nach Stift und Papier. Sein letzter Wille, glaubte man. Nach den Bestattungsfeierlichkeiten erinnerte man sich des Schriftstücks. In der Testamentseröffnung wurde es verlesen: "Honecker soll vom Luftschlauch runtergehen!" Dieser DDR-Witz war bezeichnend für die politischen Verhältnisse, aus denen heraus Honecker die Führungsspitze des kleineren deutschen Teilstaates übernahm. Am 3. Mai 1971 wurde er zum Parteichef für den erkrankten Ulbricht gewählt. 1976 folgte er ihm im Amt des Staatsratsvorsitzenden. Er war damit unangefochten der erste Mann in Partei und Staat.

Der Strippenzieher im Hintergrund

Anders als Ulbricht hatte Honecker die NS-Diktatur nicht im Moskauer Exil verbracht, sondern im Zuchthaus Brandenburg. Die Angst vor faschistischer Herrschaft sollte Honecker ein Leben lang begleiten. In der Nachkriegszeit knüpfte er an seine Erfahrungen aus den frühen 1930er-Jahren als Funktionär der KPD an – und organisierte die Jugend der SED in der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Während Ulbricht in seinem sächsischen Dialekt polternd die Auseinandersetzung suchte, war Erich Honecker eher der "Strippenzieher" im Hintergrund: Zum Beispiel 1961, als Honecker in seiner Funktion als ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen den Mauerbau nicht nur plante und umsetzen ließ, sondern auch seine propagandistische Flankierung organisierte.

Vom Lehrling zum Meister

Der ehrgeizige Dachdecker Honecker strebte nach der Macht. Im Sommer 1970 entließ Ulbricht seinen Musterschüler, der ihm inzwischen gefährlich geworden war, aus dem Amt als Zweiter Sekretär der SED. Mit Hilfe des sowjetischen Parteichefs Breschnew, beide gingen regelmäßig gemeinsam auf die Jagd, gelang es Honecker, den Beschluss rückgängig zu machen. Im Mai 1971 hievte er sich, mit der Hilfe Moskaus, wieder ins Amt und unterstellte Ulbricht Altersstarrsinn und politische Unzurechnungsfähigkeit.

Das kleinere Übel

Der Westen beobachtete Honeckers Machtantritt mit Skepsis. Der gebürtige Saarländer galt als Hardliner und "Mauer-Bauer" - aber verglichen mit Ulbricht schien er das kleinere Übel zu sein. Tatsächlich kam mit der Ära Honecker Bewegung in erstarrte Strukturen: Honecker lockerte die Zensur in der Kulturpolitik. Der allgemeine Wohlstand stieg. Und sogar auf dem Gebiet der Menschenrechte tat sich etwas: 1975 wurde mit der Unterschrift Honeckers die Schlussakte von Helsinki verabschiedet, in der die Menschenrechte geregelt sind.

Außerdem bemühte sich Honecker um die internationale Anerkennung der DDR, in Europa und in den Vereinten Nationen. Mitunter nahm die Gier nach internationalem Renommee jedoch groteske Züge an. Jedes Werkstück, und sei es der kleinste Schraubendreher, der in den Export gelangte, hatte die Prägung "Made in GDR" zu tragen. Die Medaillenwertungen bei Weltmeisterschaften und Olympiaden wurden enthusiastisch gefeiert, wenn DDR-Sportler nach sowjetischen Athleten den zweiten Platz belegten - das sollte die Überlegenheit des sozialistischen Systems beweisen.

Kleinbürgertum auf sozialistisch

Sein großes Programm legte der Generalsekretär 1971 auf dem 8. Parteitag der SED vor: die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik", später einer der Gründe für den Untergang der DDR. Denn die Sozialleistungen wurden auf "Pump" finanziert und eben nicht nach dem von der Partei propagierten Prinzip: "Ich leiste was, ich leiste mir was." Außerdem flossen zu viele Mittel in Militär und Staatssicherheit. Auch die "aufgepäppelte" und "gehätschelte" Bürokratie verschlang ein Volksvermögen. Effizienz in der Produktion blieb letztlich ein Traum. Trotzdem erschien die DDR in einer Statistik der OECD an zehnter Stelle der besten Volkswirtschaften – ein Potemkinsches Dorf.

An der Frontlinie des Kalten Krieges

1979 beschloss die NATO den Doppelbeschluss, in Folge dessen US-amerikanische Atomraketen in der Bundesrepublik stationiert wurden. Honecker verlangte in einer Parteirede, dass "dieses Teufelszeug" von deutschem Boden verschwinden müsse. Tatsächlich aber ließ er die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen in der DDR zu, wollte also den Teufel mit dem Belzebub austreiben - die Logik des Kalten Krieges, geschürt in Ost und West. Das geflügelte Wort dieser Jahre war die "friedliche Koexistenz". Im Zuge dieses Nebeneinanderbestehens von zwei Systemen bemühte sich Honecker, den Sozialismus auch für den Westen Deutschlands attraktiv erscheinen zu lassen. Als Kanzler Kohl ihn 1987 in der Bundesrepublik empfing, gab er sich ganz staatsmännisch.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere

Wie sich später herausstellte, war für die Dauer des Besuches - fünf Tage lang - der ostdeutsche Schießbefehl an der Grenze aufgehoben. Ein Zugeständnis an Kohl, der eine Aversion gegen Honecker pflegte, aber etwas für die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang tun wollte. Der Bundeskanzler veranlasste auch, dass die Tischreden von Honecker und Kohl live im Fernsehen übertragen wurden – in West und Ost. Honecker sprach von den "Realitäten" der Weltpolitik: "Und die bedeuten, dass Kapitalismus und Sozialismus sich ebenso wenig vereinigen lassen, wie Feuer und Wasser." Kohl nutzte die Gelegenheit, heikle Themen anzusprechen: Die politischen Gefangenen in der DDR, die Mauer, den Schießbefehl. Es gab viele versteinerte Mienen bei der ostdeutschen Delegation. Dennoch war der Besuch für Honecker ein Erfolg. Die Anerkennung der DDR schien für ihn endgültig vollzogen zu sein.

Der Anfang vom Ende

Zurück in der DDR hieß zurück zu den Sorgen: Hatte Chefideologe Kurt Hager noch im Frühjahr 1987 klargemacht, dass er die Perestroika in der Sowjetunion nur als Tapetenwechsel sehe, den er als Nachbar nicht nachzuahmen brauche, so wird der Ruf nach Reformen, nach Glasnost und Perestroika immer lauter - sogar innerhalb der SED. Und erst recht außerhalb, wo sich immer mehr oppositionelle Gruppen bildeten – sogar als Reaktion auf die Welle von Ausreiseanträgen, die zunehmend zu einer Ausblutung führte. Zur Kommunalwahl 1989 wurde der Protest öffentlich. Interessanterweise soll Erich Honecker in dieser Phase dafür eingetreten sein, das Wahlergebnis ungeschönt zu veröffentlichen. Als dann dennoch eine Wahlfälschung offenbar wurde, läutete der damit einhergehende Vertrauensverlust das Ende seiner Herrschaft ein.