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Gruftis in einem Jugendclub in Berlin, 1989. Bildrechte: imago/Christian Thiel

Wave-Gotik-TreffenGothic-Szene in der DDR

25. Mai 2023, 05:00 Uhr

Das Wave-Gotik-Treffen der DDR: 1988 erlebte Potsdam eines der größten Treffen der "Schwarzen Szene". 200 Gruftis besetzten den Pfingstberg. Es gilt als Vorläufer des WGT in Leipzig.

So etwas hatte man in Potsdam noch nie gesehen: Am 30. April 1988, in der Walpurgisnacht, zogen Dutzende junger Menschen in schwarzer Kleidung durch die Stadt - bleich geschminkt und mit hoch toupierten Haaren. Ihr Ziel: das verfallene Schloss Belvedere auf dem Pfingstberg. Jeanette Gruschke, damals 17 Jahre alt, war eine der 200 Unangepassten, die zur nächtlichen Feier auf den Pfingstberg wollten. Doch der war von der Polizei abgesperrt. "Sie haben den ganzen Berg abgeriegelt und von allen, die dorthin wollten, die Personalausweise eingesammelt", erinnert sich Gruschke. Denn am nächsten Tag wurde auch in Potsdam der 1. Mai als Kampf- und Feiertag der Werktätigen begangen. Und den wollte man sich nicht durch seltsame schwarze Gestalten stören lassen.

Neue Jugendszene

Punks und Grufties auf der Schönhauser Allee in Ostberlin, 1989. Bildrechte: imago/Seeliger

Viele Gruftis ließ man dann doch auf den Berg, erinnert sich Jeanette Gruschke: "Wir haben dann die ganze Nacht auf der Wiese neben dem Belvedere gesessen, Wein getrunken und Musik gehört. Zum Schluss standen da nur noch zwei Streifenwagen, aus denen sie uns beobachtet haben." Es war seinerzeit das größte Treffen der schwarzen Szene bis zum Ende der DDR. Diese neue Jugendszene hatte sich ab Mitte der 1980er-Jahre über England und die Bundesrepublik auch im Osten Deutschlands ausgebreitet. Man hörte die düstere und melancholische Musik von The Cure, Anne Clark, Joy Division, Bauhaus, Front 242 und anderen.

Im Visier der Staatssicherheit

Bis 1989 registrierte die Staatssicherheit mehr als 600 Anhänger der Gothic-Kultur, die meisten in Ost-Berlin, viele aber auch in den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt, Halle und Leipzig. Wegen ihres Erscheinungsbilds mit Kreuzen und Totenköpfen wurden sie "Grufties" genannt. Mit ihren toupierten Haaren, geschminkten Gesichtern und schwarzen Klamotten sahen die Jungs und Mädels so schräg aus, dass sie in der DDR auffielen. Sie wurden überwacht und in einer Sonderkartei der "negativ-dekadenten Jugendlichen" erfasst. Mit Hilfe von Spitzeln versuchte das MfS, die Szene von innen heraus zu zersetzen. Die Volkspolizei wurde beauftragt, Treffen aufzulösen und unliebsame Personen erkennungsdienstlich zu registrieren. So wurden aus eher unpolitischen, vorrangig von modischen Interessen geleiteten jungen Menschen "Staatsfeinde" gemacht.

Berlin-Verbot für Gruftis

Die Band The Cure Bildrechte: imago/Future Image

Allerdings waren die Erkenntnisse der Spitzel oft trivial, ihre Berichte geradezu lächerlich. So notierte ein Stasi-IM nach einem Konzert der Gruppe "Frontal", dass die "Guftis" Totenkopf-Anhänger trugen und "tanzten wie ein billiger Indianertanz". Am Ende forderte der beflissene IM die Stasi gar zur "Wiederherstellung der sozialistischen Ordnung" auf. In der Führung der Staatssicherheit war man von den vielen neuen Jugendszenen in der DDR der 1980er-Jahre offensichtlich überfordert. Denn Stasi-Chef Erich Mielke sprach anstelle von "Gruftis und Skins" von "Guffits und Shins". Wegen "unsozialistischen Aussehens" wurden einige Gruftis mit Berlin-Verbot belegt und ihnen Reisen ins sozialistische Ausland verwehrt. Erst am Ende der DDR gab es in Jugendzeitschriften Berichte über Bands wie The Cure.

Neubeginn in Leipzig in den 1990er-Jahren als WGT

Am Pfingstwochenende 1992 schlug die Geburtsstunde des "Wave-Gotik-Treffens" im Leipziger Eiskeller (heute Conne Island) im Stadtteil Connewitz. Michael Brunner war der Initiator. Mit seinen Freunden hatte er nach der Wende im Leipziger Jugendzentrum "Villa" Gothic-Musikveranstaltungen organisiert. Seine Idee: Man müsse der Nachwendegeneration der Gruftis etwas Großes bieten, um die zersplitterte Szene wieder zusammenzuführen.

Sänger Oswald Henke von Goethes Erben Bildrechte: IMAGO / Seeliger

"Also begannen wir Konzerte zu organisieren. Unsere erste Begegnung mit den Szene-Wessis war für uns sehr eigenartig. Wir hatten es plötzlich mit Leuten zu tun, für die das alles Teil eines Business war. Es war ernüchternd, es war kühl und fremd. Wir gewöhnten uns erst nach und nach daran, dass Geschäft und private musikalische Vorlieben nicht immer miteinander zu tun haben müssen", so Brunner im Buch "Gothic – Die Szene in Deutschland aus der Sicht ihrer Macher". Für zwei Tage buchte Brunner je vier Bands. Acht Bands spielten, unter anderen "Goethes Erben", die die sogenannte "Neue Deutsche Todeskunst" prägten. Sänger Oswald Henke erinnert sich an sein Konzert: "Wir hatten damals sehr viele Kerzen auf der Bühne, circa 200, und wir haben da eine ziemliche Sauerei auf der Bühne hinterlassen."

Verrückte Zeiten

Zu Gast beim Viktorianischen Picknick 2018 im Leipziger Clara-Zetkin-Park. Bildrechte: MDR JUMP/Jeannine Völkel

Von der Veranstaltung erfuhren die meisten durch Mundpropaganda. Und obwohl die Gruftis gerade in den frühen 1990er-Jahren bevorzugte Opfer von Skinhead-Überfällen waren, kamen 1.500 Menschen zum Eiskeller. Armin Kober war extra aus der Nähe von Augsburg angereist. Er hatte auf einer privaten Feier von der Veranstaltung erfahren. "Da hat mir jemand einen schwarz-weißen Flyer in die Hand gedrückt, der aussah wie die Kopie einer Kopie. Als ich die Einladung bekam, haben meine Freunde und ich uns gedacht: Klar, da fahren wir hin!"

Angst vor Skinheads

Bildrechte: MDR JUMP/Jeannine Völkel

Für die schwarze Szene war Leipzig Anfang der 1990er-Jahre die perfekte Kulisse. "Die abbruchreifen Häuser, die Konzerte im 'Werk II', dass praktisch eine Ruine war, das hat uns unglaublich gut gefallen", erinnert sich Armin Kober. Nur die vielen rechtsradikalen Skinheads haben damals Angst verbreitet. "Die Leipziger Gruftis hatten uns erzählt, an normalen Tagen würden sie hier dafür verprügelt, wenn sie sich zu doll verkleideten und dadurch zu anders aussähen. Für sie war das WGT eine Erlösung, weil sie plötzlich nicht mehr allein waren." Allerdings mussten sich ost- und westdeutsche Anhänger der Szene erst aneinander gewöhnen. Ein Ost-Grufti war zunächst befremdet: "Ist ja toll, dass gleich aus dem Westen Gruftis mit dazu kamen, aber die waren schon so aufgebrezelt, die hatten tolle Klamotten und Schmuck, was wir alle noch nicht hatten. Das kam uns so überzogen vor, nicht so authentisch. Wir waren die, die mehr zu kämpfen hatten, wir waren die echten Nachdenklichen und Tiefschürfenden und für die Westler war es vielleicht mehr Show."

Das Wave-Gotik-Treffen wird zum Erfolg

Zu Gast beim Viktorianischen Picknick 2018 im Leipziger Clara-Zetkin-Park. Bildrechte: MDR JUMP/Jeannine Völkel

Die zweite Veranstaltung fand dann ein Jahr später in der inzwischen sanierten Fabrik "Werk II" statt, ebenfalls im Leipziger Stadtteil Connewitz gelegen. Die ersten internationalen Bands traten auf und die Organisation wurde komplexer. Die Probleme ebenfalls. Der Zeltplatz hatte nur eine Toilette, einer Bühne fehlte das Geländer. Prompt stürzte der Star der Veranstaltung, James Ray aus dem Sisters-Of-Mercy-Umfeld, trunken nach hinten ins Dunkel. Er hatte Glück und kam glimpflich davon. In den Folgejahren wuchs das Wave-Gotik-Treffen, kurz WGT, immer weiter. Es kamen mehr Besucher, die Anzahl der auftretenden Bands wuchs. Kamen diese anfänglich nur aus dem Spektrum der schwarzen Szene, so wurde die Musikauswahl immer breiter. Filmvorführungen und Lesungen komplettierten das Programm.

Dieser Artikel wurde erstmals 2018 veröffentlicht.

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