Mit dem Trabi nach Jerewan
1979 macht Andreas Auerswald aus Aue die Tour seines Lebens. Gemeinsam mit seinen Eltern fährt der damals 18-Jährige in die Hauptstadt der Sowjetrepublik Armenien - nach Jerewan. 4.000 Kilometer hin, 4.000 Kilometer zurück. Im Interview erzählt er uns von diesem unglaublichen Abenteuer.
Herr Auerswald, wie sind Sie Ende der 1970er-Jahre auf die verrückte Idee gekommen, mit dem Trabi nach Jerewan zu fahren?
Meine Eltern sind auf die Idee gekommen. 1978 gab es in der Zeitschrift "Der Deutsche Straßenverkehr" einen Bericht über zwei Skoda-Fahrer, die durch den Kaukasus gefahren sind. Mein Vater dachte, dass muss mit dem Trabant auch funktionieren. Unser Trabi ist viel rumgekommen, er war vorher schon drei Mal in Bulgarien. Mit dem Organisationstalent meiner Mutter klappte das Vorhaben dann auch. Sie arbeitete im Kohlehandel und hatte die berühmten Beziehungen. Die Logistik hat mehr als ein Jahr gedauert. Aus dem Reisebüro haben wir dann die Information bekommen, es gäbe zwei Möglichkeiten. Die eine sei eine Standardreise, also ein Konvoi mit vorgegeben Stationen und die andere Möglichkeit sei eine Sonderreise, genannt Limit-Reise. Da konnte man seine Reiseroute selber vorschlagen und das Reisebüro hat das geplant und organisiert. Man brauchte eine Tourist-Card und Vouchers für Hotel, Motel und Campingplatz in der Sowjetunion, sowie die Visa.
Gab es die berühmten Pleiten, Pech und Pannen, die wohl die meisten Reisenden kennen?
Wir hatten keine einzige Panne, nicht mal eine Zündkerze musste gewechselt werden. Aber wir hatten drei brenzlige Situationen: Beispielsweise gleich nach dem Grenzübergang in die Ukraine haben wir schon gesehen, dass die Autos links ausscheren. Das haben wir auch gemacht. Zum Glück! Denn auf der Straße fehlten nämlich die Gully-Deckel.
Da hätte man leicht rein fahren können! Was waren die anderen Stolpersteine?
Die zweite Situation war im Kaukasus, in der Nähe von Pjatigorsk. Da gibt es ein Dorf namens Karmadon, ein ausgestorbenes Dorf, in dem in den Häusern noch Mumien sitzen sollten. Das wollten wir natürlich sehen! Doch der Weg führte durchs Gebirge und es ging durch einen Tunnel. Ich habe mich bei der Tunneleinfahrt noch einmal umgedreht, da winkte einer mit der Fahne ganz hektisch. Wir sind schnell rückwärts wieder raus gefahren. Auf einmal krachte es vor uns. Es wurde gesprengt! Eine gewaltige Staubwolke schlug uns aus dem Tunnel entgegen. Was hatten wir für ein Glück!
Die dritte brenzlige Situation erlebten wir in der Manytsch-Ebene. Vor uns fuhr ein typischer sowjetischer LKW mit einem Sattel-Auflieger, der plötzlich ein Rad verlor, das rollte vor uns über die Straße. Der LKW fuhr weiter und wir hinterher. Als wir ihn eingeholt hatten, sagte ich ihm was passiert war. Er fragte wo denn das Rad sei, ich antwortete etwa zwei Kilometer entfernt. Da stieg er in den LKW und fuhr einfach weiter.
Wie hat man in der Sowjetunion auf den Trabant reagiert?
Der "Trabant" wurde nicht in die UdSSR exportiert. An jeder Tankstelle waren wir ein Highlight, mindestens zehn Paar Augen erforschten ungläubig den "Inhalt" des Motorraumes und ihre "Besitzer" löcherten uns mit Fragen. Die kurioseste war: "Wo ist hier der Motor? Das war für die unvorstellbar." Der Grund: Ein Motor mit nur 600 Kubikzentimeter Hubraum und nur zwei Zylindern, dazu zwei Zündspulen und Zwei-Takt-Prinzip war einfach viel zu klein und nicht denkbar.
Und was hat sie überrascht?
Die langen Fahrt durch die Ukraine. Man konnte 50 bis 100 Kilometer an einem einzigen Feld entlang fahren. Ein Traktor-Fahrer, der dort seine Furche zog, hatte nach einer Durchfahrt seine Schicht beendet. Begeistert haben mich auch die Serpentinen bei der Überquerung des Kaukasus, die sogenannte Grusinische Heerstraße. Da lag auch gerne mal eine Kuh in der Kurve, dann musste man manchmal warten bis man durch kam.
Wie haben Sie den Trabant betankt?
An der Grenze zur Ukraine mussten wir Benzin-Talons für die gesamte Strecke innerhalb der SU kaufen. Es galt also recht schnell, den zu erwartenden Kraftstoffverbrauch hochzurechnen. Unser Zweitakter-Öl hatten wir schon dabei. Ungewöhnlich war auch die Art des Tankvorganges: Der Tankwart drehte dann an einer Art Wählscheibe, wie bei den alten Telefonen, und es wurde genau die Menge gespendet, die auf die Talons aufgedruckt war. Wenn nur 18 Liter rein passten, dann liefen eben 2 Liter aus dem Tank wieder raus. Mit zunehmender Strecke wurden so die leeren Öl-Flaschen zu Reservebehältern.
Wir sind abhängig vom Streckenprofil immer ziemlich lange Abschnitte gefahren, zwischen 400 bis 500 Kilometern. Es ging von Unterkunft zu Unterkunft, überall wurden wir schon erwartet. Das hatte aber nichts mit Überwachung zu tun, sondern mit Sicherheit. Das Land ist so groß, dass die Wegweiser häufig vierstellige Kilometer-Angaben zeigen. Fatal, wenn man die falsche Richtung einschlägt. Daher war man immer froh, wenn wir ankamen.
Gab es Probleme mit den Behörden vor Ort – zum Beispiel mit der Polizei?
Zwei Mal hat uns die Polizei angehalten. Einmal wollten sie wissen, wohin wir wollen. Auf unsere Antwort kam dann der gute Hinweis, dass wir gerade 150 Kilometer in die falsche Richtung gefahren seien. Das andere Mal waren wir zu schnell unterwegs. Der Polizist sagte, wir sollten einen Rubel Strafe zahlen und schrieb uns dafür noch eine Quittung aus. Als ich die las, musste ich laut lachen. Unter "Name" stand "Hellbraun" statt des Namens meines Vaters. Der Polizist hatte einfach aus dem DDR-Ausweis Buchstabe für Buchstabe die Augenfarbe abgeschrieben.
Würden Sie so eine Reise heute noch einmal machen?
Unter den damaligen Umständen, mit der damaligen Technik und den damaligen politischen Umständen, jederzeit. Manchmal bin ich enttäuscht, wenn ich die Berichterstattung heute über die Ukraine und Russland sehe, denn es wird ein anderes Bild gezeichnet. Die Hilfsbereitschaft war großartig und wir wurden überall warm empfangen.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im:TV | 24.08.2018 | 17:45 Uhr