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"Hexe von Buchenwald"Ilse Koch: Gefürchtete Kommandantengattin aus dem KZ Buchenwald

11. September 2024, 05:00 Uhr

Es ist einer der aufsehenerregendsten Prozesse der Nachkriegszeit: 1947 steht in Dachau erstmals die "Hexe von Buchenwald" vor Gericht. Ihr bürgerlicher Name: Ilse Koch. Sie gilt als "sexuell besessen", soll einen "ausgeprägten Hang zu sadistischen Quälereien" gehabt und das "Häuten von Häftlingen" befohlen haben. Wer war die Frau des KZ-Kommandanten wirklich?

Grauenhafte Erzählungen ranken sich um die Ehefrau des Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Koch. Tageszeitungen aus der Zeit des Dachau-Prozesses um 1947 stellen sie als ein "Paradebeispiel der Perversion" dar. Beleg für ihre gelebte "Abartigkeit" soll ein aus Menschenhaut gefertigter Lampenschirm sein - der die Forschung noch Jahrzehnte später beschäftigt. Zeugen sagen nach dem Ende des Krieges aus, Ilse Koch habe selbst Häftlinge angezeigt, die anschließend harte Bestrafungen über sich hätten ergehen lassen müssen. Auch von sexuellen Obsessionen, die sie an den Häftlingen auslebte, ist die Rede.

Ilse Kochs Weg als Kommandantin-Gattin nach Buchenwald

Ilse Koch, geboren am 22. September 1906 in Dresden als Ilse Köhler, ist Tochter von einfachen Arbeitern. Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Stenotypistin. 1932 tritt sie in die NSDAP ein. Zwei Jahre später lernt sie den zehn Jahre älteren SS-Hauptsturmführer Karl Otto Koch kennen. Dieser baut zu diesem Zeitunkt das SS-Sonderkommando Sachsen auf. Dessen Aufgabe sollte es sein, aus "wilden KZs" reguläre Straflager zu machen. Sein hartes und unnachgiebiges Durchgreifen bei den Truppen bringt ihm den Posten des KZ-Kommandanten in Buchenwald ein.

Mehr als eine viertel Millionen Häftlinge gehen durch das KZ Buchenwald in den acht Jahren seines Bestehens. Es ist ein reines Männerlager. Die Häftlinge werden als Arbeitssklaven ausgebeutet, manche müssen auch als "Versuchskaninchen" bei medizinischen Experimenten herhalten. Zwischen der Errichtung des KZ Buchenwald 1937 und der Befreiung 1945 sterben mehr als 56.000 Menschen im Lager.

Ein gemütliches Heim auf dem Ettersberg

Jahrelang lebt Ilse Koch mit ihrer Familie - ihrem Mann, dem 1938 geborenen Sohn Artwin, den 1939 und 1940 geborenen Töchtern Gisela und Gudrun - in der Kommandantenvilla auf dem Ettersberg, nur zehn Gehminuten vom Lager entfernt. Im Gerichtsprozess 1947 gibt Ilse Koch zu Protokoll: "Mit einem Mann wie dem meinigen war es mir nicht möglich, mich um Lagerangelegenheiten zu kümmern. Er hätte ganz bestimmt seinen Einspruch erhoben. In seinen Augen war meine Hauptaufgabe, eine gute Mutter zu sein, und ich war stets bemüht, ihm an den Abenden ein gemütliches Heim zu schaffen."

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War Ilse Koch wirklich die "Hexe von Buchenwald"?

Doch wenn dem wirklich so war: Wieso steht sie dann 1947 und 1951 erneut vor Gericht? Faktisch hatte Ilse Koch keinen SS-Dienstrang und damit auch keine Befehlsgewalt. Aber als Frau des Kommandanten soll sie ihren Mann zu Gewalttaten gegen Häftlinge angestiftet haben. Und zwar angeblich auf perfide Art und Weise. So wird in den mehr als 1.500 Zeugenaussagen u.a. berichtet, dass Koch "leicht bekleidet am Zaun des KZ entlang gegangen" sei, um so die "Aufmerksamkeit der Häftlinge auf sich zu ziehen." Welche Konsequenzen diese Spielchen hatten, kann aus den Akten von Herman Hackmann - einem Freund der Kochs - entnommen werden. Er beschreibt, dass Gefangene ausgepeitscht wurden, da sie sich der "Frau des Kommandanten unsittlich genähert" hätten. Doch nicht nur das. Der Strafkatalog sieht unter anderem vor: "Drei bis 42 Tage Arrestzelle. Tagsüber stehend. Bei Wasser und Brot. Dunkelhaft." Diese Zelle wurde auch "Bunker" genannt. Hier werden die denunzierten Häftlinge nicht nur eingesperrt, sondern auch gequält und teilweise bis zum Tode gefoltert.

Dennoch: Insgesamt lässt sich bei vielen Zeugenaussagen, die der Ilse Koch den Beinamen "Hexe von Buchenwald" eingebracht haben, nicht mehr zweifelsfrei nachweisen, inwieweit sie der Wahrheit entsprechen oder auf einer Fehlinterpretation der kausalen Zusammenhänge oder auf Gerüchten beruhen. Der informelle Einfluss, den sie als Kommandantengattin im KZ hatte, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Fest steht nur: Sie wohnte körperlichen Bestrafungen im Lager bei.

"Sie hätte beim Film Karriere machen können"

Der Lagerarzt von Buchenwald, August Heinrich Bender, bezeichnet in seinen handschriftlichen Erinnerungen über sein Wirken im KZ auf dem Ettersberg Ilse Koch als "hoch gebildet" und "eine Schönheit". Er erinert sich an ihre "leicht rötlichen langen Locken" und "schneeweiße Haut". "Sie hätte beim Film Karriere machen können" schreibt er. Im Buchenwald-Prozess hat Bender noch behauptet, Ilse Koch nicht zu kennen. Er war damals zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, kam allerdings nach drei Jahren Haft frei und führte jahrzehntelang ein Leben als Hausarzt in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen. 1993 schrieb der ehemalige SS-Sturmbannführer seine Erinnerungen nieder, die nach seinem Tod im Jahr 2005 ins Bundesarchiv in Koblenz gelangten.

Karl und Ilse Koch Bildrechte: picture-alliance/dpa

KZ-Kommandant Karl Koch zum Tode verurteilt: "Jungens, schießt gut"

1943 endet für Ilse Koch das privilegierte Leben der Kommandantengattin auf dem Ettersberg. Im August des Jahres wird Karl Koch von einem Sonderkommando wegen Helerei und Unterschlagung verhaftet und in die Gestapo-Zentrale nach Weimar gebracht. Einen Tag später wird auch Ilse Koch als vermeintliche Komplizin festgenommen. Auf ihrem Konto befinden sich 25.000 Reichsmark. Sie wird aber wegen Mangels an Beweisen vom SS-Gericht 1944 freigesprochen, es gelingt nicht zu beweisen, dass sie sich als "Lagerkommandeuse" bereichert hat. Ihr Mann wird dagegen wegen Hehlerei, Mord und Betrug zum Tode verurteilt und im April 1945 im Lager Buchenwald hingerichtet. Die letzten Worte von Koch sollen gewesen sein: "Jungens, schießt gut".

Als die amerikanischen Truppen im April 1945 das Lager befreien und die entsetzten Einwohner von Weimar zwingen, es zu besichtigen und die Leichen zu begraben, ist Ilse Koch schon in Ludwigsburg bei Verwandten. Hier wird sie schließlich im Juni 1945 von Amerikanern verhaftet.

Lampenschirm aus Menschenhaut: Mythos oder Realität?

Im April 1947 stand Ilse Koch in Dachau das erste Mal vor Gericht. Sie bestritt, an Misshandlungen oder der Ermordung von Lagerinsassen beteiligt gewesen zu sein oder davon gewusst zu haben. Außerdem wollte man von ihr wissen, ob sie jemals "Handschuhe aus Menschenhaut" oder einen "Lampenschirm aus menschlichem Material" besessen hätte. Sie verneinte.

Hintergrund der Frage: Kurz nach der Befreiung des Lagers wurde am 16. April 1945 auf einem Tisch eine größere Anzahl gegerbter tätowierter Haut sowie zwei Schrumpfköpfe und ein Lampenschirm, der aus Menschenhaut bestand, ausgestellt.

Schon bei der ersten Ausstellung zur Geschichte des KZ Buchenwald 1954 wurde der kleine, schlicht gearbeitete Schirm einer Nachttischlampe als "Lampenschirm aus Menschenhaut" bezeichnet. Karl Straub, ein ehemaliger Häftling, hat ihn übergeben und er stammte offensichtlich aus dem Lager. Nach 1990 gab es dann Zweifel und ein Gutachten, das besonders von Geschichtsrevisionisten dankbar aufgegriffen wurde. Denn in der Einschätzung des Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt vom 6. Juli 1992 heißt es: "Präparat IV (Lampenschirm) ist dagegen serologisch nicht als menschlicher Art zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kunststoff, der in ähnlicher Zeit für Lampenschirme produziert wurde. Letztlich ist aber nicht völlig auszuschließen, daß es sich dennoch um biologisches Material handelt."

Rund 30 Jahre bleibt der Lampenschirm im Fundus der Gedenkstätte Buchenwald, dann lässt ihn die Gedenkstätte nochmals von dem bekannten Kriminalbiologen Mark Benecke untersuchen. Mit wissenschaftlichen Techniken wie der DNA-Analyse soll festgestellt werden, welches Material für die Herstellung der umstrittenen Objekte wirklich verwendet wurde.

Mark Beneckes Urteil

Das Material weise laut Benecke Muster auf, die "nur menschlich sein können". Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner zufolge zeigt das Exponat, "dass die SS komplett dehumanisiert war." Aus ethischen Gründen wird der Lampenschirm seit mehr als 30 Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt, bleibt jedoch im Archiv der Gedenkstätte erhalten, um die Verbrechen der Nationalsozialisten zu dokumentieren. Das Ilse Koch einen Schirm besaß ist nicht belegt und Gegenstand unzähliger Mythen.

Ilse Koch richtet sich selbst: Selbstmord im Frauengefängnis

Im April 1947 wurde die schwangere Ilse Koch im Prozess für ihre Beteiligung an der Unterstützung und Anstiftung von Verbrechen im KZ Buchenwald für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Ihr Sohn Uwe kam im Oktober 1947 zur Welt.

Ilse Koch bei ihrer Vernehmung 1947. Bildrechte: picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Ilse Koch legt gegen das Urteil Revision ein und wird erneut, diesmal vor ein deutsches Gericht gestellt. In diesem zweiten Prozess wird sie 1951 endgültig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Sie kämpfte um ihre Entlassung und sah sich selbst als Opfer. Dabei erhielt sie Unterstützung von der Hilfsorganisation "Stille Hilfe", die sich für NS-Täterinnen und Täter sowie deren Angehörige einsetzte. 1967 nimmt sie sich im bayrischen Frauengefängnis Aichach das Leben.

Mythos "Witch of Buchenwald": Verdrängung der deutschen Schuld

Die Geschichte von Ilse Koch zeigt, wie stark Geschlechterdoppelmoral und stereotype Vorstellungen von Frauen die öffentliche Wahrnehmung geprägt haben. Koch, die keine offizielle Funktion im KZ-Lagersystem innehatte, wurde in der internationalen Berichterstattung zur dämonischen Einzeltäterin stilisiert.

Das Hexenmotiv – also eine Frau, die ihre Weiblichkeit in dunkle Macht und Verführungskraft verwandelt – verstärkte diesen Mythos zusätzlich noch. Ihr vermeintlicher Sadismus und ihre sexuelle Abartigkeit führten zu einer besonders negativen öffentlichen Wahrnehmung, was vermutlich dazu beitrug, dass Koch härter beurteilt und bestraft wurde als viele männliche NS-Täter.

Laut der Historikerin Alexandra Przyrembel hatte dieser Mythos nicht nur eine schockierende Symbolik, sondern auch eine entlastende Funktion inne. So konnte von der Verantwortung vieler deutscher Täter und Täterinnen im NS-System abgelenkt werden. Dadurch wurden auch die anderen Ehefrauen von SS-Männern entlastet, genauso wie die deutsche Hausfrau an sich und in einem nächsten Schritt deren Ehemänner. Das half der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die eigene Mitschuld zu verdrängen.

Der Artikel wurde erstmals 2015 veröffentlicht und 2024 aktualisiert.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 14. Januar 2020 | 16:00 Uhr