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Raketenbauer Wernher von Braun - erfolgreich im Dritten Reich und in den USA

05. Januar 2021, 17:08 Uhr

Geboren in der preußischen Provinz ist ihm eine Karriere als Forscher nicht in die Wiege gelegt. Doch die Raumfahrt zieht Wernher von Braun bereits seit seiner Jugend in den Bann. Die Politik interessiert ihn, so lange sie seinen Interessen als Forscher dient. 1937 steigt er zum Technischen Direktor einer neu errichteten Versuchsstelle des Heereswaffenamtes in Peenemünde auf, tritt in die NSDAP ein, später in die SS. Die Stationen seiner Karriere ...

23.03.1912: Wernher von Braun in Wirsitz geboren

Wirsitz (Posen): Wernher Magnus Maximilian von Braun wird am 23. März 1912 in Wirsitz als Sohn einer wohlhabenden Aristokratenfamilie in der preußischen Provinz geboren. Sein Vater ist der letzte Reichsernährungsminister der Weimarer Republik - Magnus Freiherr von Braun - und seine Mutter Emmy die Tochter eines preußischen Gutsbesitzers. Entgegen der familiären Tradition interessiert sich der Sprössling besonders für die technischen Dinge des Lebens. Naturwissenschaften und Astronomie faszinieren ihn, schon früh tüftelt er an kleineren Maschinen.

ab 1930: Studium an der Technischen Hochschule in Berlin

Berlin: Die Raumfahrt zieht Wernher von Braun bereits seit seiner Jugend in den Bann. Auf dem Berliner Flugplatz zündet der junge Mann 1928 als Mitglied des "Vereins für Raumschifffahrt" eine erste selbstgebaute Rakete und träumt davon, eines Tages eigene in den Weltraum zu schicken. 1930 immatrikuliert er sich an der Technischen Hochschule in Berlin. Politik interessiert ihn Zeit seines Lebens nur dann, wenn sie dem technischen Fortschritt und seinen Interessen als Forscher dient.

1937: Karriere im Dritten Reich beginnt als Technischer Direktor in Peenemünde

Raketeningenieur Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun Bildrechte: imago images / UIG

Peenemünde (Ostsee): Bereits 1932 erreicht Wernher von Braun durch seine ersten Innovationen im Kreis des "Vereins für Raumschifffahrt" die Aufmerksamkeit des Militärs und von Hitlers Gefolgsleuten. Im Auftrag der Reichswehr soll er raketengetriebene Waffen entwickeln. 1937 steigt er zum Technischen Direktor einer neu errichteten Versuchsstelle des Heereswaffenamtes in Peenemünde auf, tritt in die NSDAP ein.

1939 geht die von Wernher von Braun konstruierte Großrakete Aggregat 4 (A4) in Serie - das weltweit erste Flugobjekt, welches die Grenze zum Weltraum durchbrechen kann. Propagandaminister Joseph Goebbels benennt sie später in Vergeltungswaffe 2 (V2) um. Diese Rakete kommt im Zweiten Weltkrieg ab 1944 mehrfach zum Einsatz und kostet vor allem im Raum London und Antwerpen etwa 8.000 Menschen das Leben. Im ganzen Reich werden zahlreiche Raketenwerke errichtet, in denen tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge an der Produktion der V2 beteiligt sind. Um seine Karriere weiter zu befördern, wird er 1940 Mitglied der SS.

1943: Treffen mit Adolf Hitler 

Wolfsschanze (Ostpreußen): Im Juli 1943, die Truppen des deutschen Reichs haben schon herbe Rückschläge im Zweiten Weltkrieg erlitten, reist Wernher von Braun ins Führerhauptquartier und kann Hitler davon überzeugen, noch mehr in sein Raketen-Programm zu investieren. Die Produktion der V2 erhält oberste Priorität und Wernher von Braun erhält den Professorentitel.

1943: V2-Produktion im Konzentrationslager Mittelbau-Dora 

Kohnstein/Nordhausen: Nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde soll die Hauptproduktion von Hitlers Kriegswaffen im Kohnstein - einem Stollen im Südharz nahe der thüringischen Stadt Nordhausen - weitergehen. Bereits im Spätsommer 1943 treffen hier die ersten Häftlingstransporte ein und beginnen mit dem Ausbau des neuen Konzentrationslagers Mittelbau-Dora.

Neben der Flugbombe V1 wird hier hauptsächlich Wernher von Brauns V2-Rakete in tausendfacher Ausfertigung gebaut. In den Jahren 1943 bis 1945 müssen im KZ Mittelbau-Dora etwa 60.000 Menschen aus 21 Nationen Zwangsarbeit leisten, 20.000 von ihnen kommen um. Auch von Braun besichtigt den Stollen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass er von den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen nichts mitbekommt.

Die Thüringer Konzentrationslager

Ettersberg/ Lehesten/ Bleicherode: Rund um das KZ Mittelbau-Dora entstehen für die Produktion der V2 etwa 40 Außenlager. So werden im südthüringischen Arbeitslager Lehesten vor allem die Triebwerke der V2 getestet. Heute ist bekannt, dass Wernher von Braun auch diese Produktionsstätte besucht hat. Um schneller vor Ort sein zu können, soll er zeitweise sogar in Bleicherode gewohnt haben. Ebenso ist heute bekannt, dass von Braun ins KZ Buchenwald in der Nähe von Weimar gefahren ist, um wissenschaftliche Helfer für das KZ Mittelbau-Dora auszuwählen. In späteren Zeugenaussagen wird der Wissenschaftler immer wieder versichern, nichts von den Zuständen in den Konzentrationslagern gewusst zu haben.

1945: Von Braun wechselt die Seiten

Oberammergau/Garmisch-Partenkirchen: Als am 2. Mai 1945 der Tod Hitlers bekannt wird und die endgültige Kapitulation Nazi-Deutschlands unmittelbar bevor steht, ist Wernher von Braun sofort bereit, die Seiten zu wechseln. Bei Kriegsende befindet er sich in einem Skiort in den bayrischen Alpen südlich von München. Er stellt sich freiwillig und rührt bei der anschließenden Befragung durch die Briten und Amerikaner die Werbetrommel für sich und seine Raketenforschung. Er könne die US-Raumfahrt maßgeblich vorantreiben und sogar eine Fahrt zum Mond ermöglichen, verspricht er den westlichen Alliierten.

Das amerikanische Militär ist sehr interessiert an der deutschen Forschung, gerade an der Raketentechnik. Im Zuge des Projekts "Paperclip", das von Präsident Harry S. Truman persönlich initiiert wird, werden nach 1945 mehr als 1.000 deutsche Wissenschaftler in die USA geholt. Einzige Bedingung: Es dürfen keine überzeugten Nazis - also etwa NSDAP-Mitglieder, geschweige denn Kriegsverbrecher darunter sein. Auch Wernher von Braun und 120 seiner engsten Mitarbeiter aus Peenemünde bekommen Arbeitsverträge, am 18. September wird der Raketenkonstrukteur nach Amerika geflogen.

1945/1949: Nürnberger Prozesse 

Nürnberg: Vom 20. November 1945 bis zum 14. April 1949 werden im Justizpalast Nürnberg die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus verurteilt. Insgesamt 209 Angeklagte erhalten ihr Urteil; Wernher von Braun befindet sich nicht unter den Angeklagten. Der Konstrukteur von Hitlers Vergeltungswaffe 2 hält sich währenddessen bereits in den USA auf und führt dort seine Karriere als Raketeningenieur fort.

1947: Heirat mit Maria von Quistorp 

Landshut: Noch vor seiner Abreise in die USA verliebt sich Wernher von Braun in seine Cousine Maria von Quistorp und hält im Herbst 1946 über ein Schreiben aus Amerika um die Hand der 18-Jährigen an. Im Februar 1947 betritt der Wissenschaftler noch einmal deutschen Boden, um Maria in Landshut zu ehelichen. Begleitet wird er von Bewachern aus dem US-Militär. Zu groß ist die Angst, dass es auch die Sowjets auf den Raketeningenieur abgesehen haben könnten. Die Reise zurück nach Amerika tritt er mit seiner frischvermählten Gattin und seinen Eltern Magnus und Emmy von Braun an. Am 9. Dezember 1948 wird Wernher von Brauns erste Tochter Iris Careen geboren.

1947: Die zweite Karriere in den USA: Der Raketenmann auf dem Weg zum Mond

Washington: Im Pentagon werden 1947 die Personalakten der neuen Wissenschaftler aus Deutschland geprüft. Wernher von Brauns NSDAP-Mitgliedschaft sowie seine Position als hoher SS-Offizier sorgen in Washington für heftige Diskussionen. US-Präsident Harry S. Truman will keine Forscher mit NS-Vergangenheit in seinem Land, doch von Braun ist für das US-Militär eine wahre Trophäe. Schließlich sorgt das Pentagon dafür, dass der offizielle Lebenslauf von Wernher von Braun so angepasst wird, dass seiner Einbürgerung in die USA nichts mehr im Wege steht. Längst ist der "Raketenmann", selbst überzeugter Antikommunist, der große Trumpf der US-Amerikaner im Wettlauf um die Vormacht auch im All. Kaum schießen die Sowjets 1957 mit dem Sputnik den ersten Satelliten ins All, zieht dass Team um Wernher von Braun ein Jahr später mit dem Satelliten Explorer 1 nach.

Wernher von Braun begeistert nicht nur die politische Führungselite der USA mit immer neuen Innovationen, sondern zieht auch ein Millionenpublikum in seinen Bann. So tritt er sogar in dem Walt Disney-Fernsehfilm "Mensch im Weltraum" auf. Von seiner Vergangenheit in Nazi-Deutschland weiß die breite Öffentlichkeit nichts.

Der Ingenieur mit dem US-Präsidenten John F. Kennedy. Die Raketentechnologie von Wernher von Braun und seinem Team brachte die ersten Menschen auf den Mond. Bildrechte: imago images / ZUMA Press

1960 wechselt von Braun mit seinem altbewährten Team aus Peenemünde zur NASA und arbeitet im Auftrag von John F. Kennedy an einer Rakete für die Mondlandung. Am 16. Juli 1969 - dem Höhepunkt seiner Karriere - schießt die Saturn-Rakete Columbia von Cape Canaveral in Richtung Morgenhimmel und fünf Tage später betritt der Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch der Welt den Mond.

1967-1970: Dora-Prozess in Essen - Vernehmung als Zeuge in New Orleans

Essen/New Orleans: Dann scheint die Vergangenheit den Raketenmann einzuholen, als 1967 am Landgericht Essen ein weiteres Einzelverfahren gegen ehemaliges Lagerpersonal des KZ Mittelbau-Dora stattfindet. Der ostdeutsche Anwalt Friedrich Karl Kaul, der große Bekanntheit als Nebenkläger in verschiedenen Verfahren gegen ehemalige NS-Verbrecher erlangt hat und in Essen ehemalige KZ-Häftlinge aus der DDR vertritt, will dazu u.a. auch Wernher von Braun in den Zeugenstand rufen. Angeklagt sind in dem Prozess Helmut Bischoff, der ehemalige Kommandeur der Sicherheitspolizei des Sperrgebiets Mittelbau, dessen früherer Mitarbeiter Ernst Sander und der leitende Aufseher der Stollenanlage des Kohnsteins beim KZ Mittelbau Erwin Busta. Vorgeworfen werden ihnen u.a. Massenexekutionen und tödliche Misshandlungen. Doch Kaul will außer Bischoff, Sander und Buster auch die Männer zur Verantwortung ziehen, die an den Verbrechen in den Konzentrationslagern mittelbar beteiligt gewesen sind und nach Kriegsende unbehelligt ihrer Karriere fortsetzten.

Wernher von Braun muss sich nicht nach Essen bemühen. Am 7. Februar 1969 wird er im deutschen Generalkonsulat von New Orleans im deutschen Generalkonsulat als Zeuge vernommen, wenige Monate bevor seine Saturn-Rakete auf dem Mond landen soll. Großer Medienrummel, gar eine Enthüllung seiner etwigen NS-Vergangenheit wäre für Kennedys Apollo-11-Projekt eine Katastrophe.

Wernher von Braun streitet in der Vernehmung jegliche persönliche Verantwortung in Bezug auf die Verhältnisse in Mittelbau-Dora ab. Der Raketenbauer gibt zu Protokoll, dass er die Zustände rund um den Bau seiner V2 sehr bedauere, aber davon keine Kenntnis erlangte und als Wissenschaftler auch keine Mitschuld daran trage.

16.06.1977: Der stille Tod Wernher von Brauns 

USA: Der Raketenbauer hat sich mit der auf dem Mond gelandeten Rakete seinen Traum erfüllt. In den 1970er-Jahren wird es still um ihn, auch weil die Zeichen in der Weltpolitik auf Entspannung stehen. 1972 scheidet er aus der NASA aus und wird Vizepräsident des Luft- und Raumfahrtkonzerns Fairchild. Sieben Jahre nachdem Wernher von Braun auch in der Bundesrepublik mit dem Großen Verdienstkreuz ausgezeichnet wird, stirbt der Raketenmann 1977 in Alexcandria/USA im Alter von 65 Jahren an Krebs. Die kritische Auseinandersetzung mit seiner Person hat er nicht mehr erlebt.

08.04.2014: Die letzte deutsche Schule legt den Namen "Wernher von Braun" ab

Neuhof (Hessen): Am 8. April 2014 beschließt auch die letzte nach Wernher von Braun benannte Schule Deutschlands eine Namensänderung. In den Jahren zuvor beantragten einige weitere "Wernher von Braun-Schulen" eine Umbenennung. Wie auch im Fall der Gesamtschule im osthessischen Neuhof wollen die Lehreinrichtungen nicht mit dem umstrittenen Leben des Raketeningenieurs in Verbindung gebracht werden.