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Der Stollen des KZ Mittelbau-Dora ist seit 1995 wieder zugänglich. Heute findet sich dort eine Ausstellung über das Grauen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

KZ Mittelbau-Dora: Zwangsarbeit für die "Wunderwaffe"

14. Juni 2021, 12:19 Uhr

Anfang 1943 verlieren die Nazis die Schlacht von Stalingrad. Ein psychologischer Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. Wenig später ruft Propagandaminister Josef Goebbels den "Totalen Krieg" aus. Die Nazis glauben immer noch an den "Endsieg". Eine geheime Wunderwaffe soll den Krieg entscheiden helfen: Die V2-Rakete - die "Vergeltungswaffe" - ein Projekt des Wernher von Braun. Gebaut wird sie in einer unterirdischen Fabrik im Kohnstein am Südrand des Harzes ...

Anfänglich wurde die V2-Rakete in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom, in den Wiener Rax-Werken und bei Zeppelin in Friedrichshafen hergestellt. Ein schwerer Luftangriff der Briten in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 setzte der Produktion auf Usedom ein Ende. Ein neuer Produktionsort musste her. Die Wahl der Nazis fiel auf ein Stollensystem im Kohnstein bei Nordhausen.

Nur zehn Tage nach dem Luftangriff auf Peenemünde, am 28. August '43, trafen die ersten 107 KZ-Häftlinge am Kohnstein ein. Das KZ Buchenwald erhielt damit ein neues Außenlager, das Arbeitslager "Dora". Fünf Monate später waren bereits über 10.000 Häftlinge im Kohnstein, viele von ihnen aus dem mittlerweile geräumten KZ Auschwitz. Anfänglich gab es dort keine Baracken oder Unterkünfte für die Häftlinge. In den Seitenkammern der Tunnelanlage richteten sie Schlafstollen für sich ein.

Tausende Häftlinge starben bei Zwangsarbeit

Der Kohnstein eingebettet in eine idyllische Landschaft Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Häftlinge mussten den Stollenboden betonieren, Straßen bauen, weitere Kammern anlegen und die großen Produktionsmaschinen einbauen. In den ersten Monaten starben bereits tausende Häftlinge an Entkräftung und Unterernährung. Der Staub, der durch die Sprengungen in der Luft lag, zerstörte ihre Lungen. Es gab keinerlei sanitären Einrichtungen, halbierte Erdölfässer dienten als Latrinen.

Es war stickig, dunkel, und es hat gestunken. Und was ich sehe, das sind Holzgestelle, Holzboxen, sie sehen aus wie Kaninchenställe und was ich dann sehe, das sind Füße, Füße, Füße, die stecken hinaus, und da liegen Menschen drinnen, vier hoch. Und es liegen Leichen am Boden; es liegen Schlafende, nackte Menschen am Boden, das war fürchterlich.

Albert van Dijk, ehemaliger KZ-Häftling in Mittelbau-Dora

Die SS trieb den Bau trotzdem unbarmherzig voran. Für sie war der Stollen im Kohnstein ein Prestigeprojekt. Die Verantwortlichten hofften darauf, dass ihnen der Bau als Karrieresprungbrett dient.

Unterirdische V2-Raketen-Produktion

Albert van Dijk hat die Grauen von Mittelbau-Dora überlebt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die unterirdische Raketenfabrik wurde von der Mittelwerk GmbH betrieben, die erst im September 1943, einen Monat nach der Gründung des Arbeitslagers Dora, gegründet worden war. Die Firma mit Sitz in Berlin organisierte die V2-Produktion, die im Anfang 1944 anlief. Bis dahin waren bereits 2.900 Häftlinge an den inhumanen Bedingungen im Lager gestorben.

Die Hoffnungen, die die Nazis in die unterirdische Anlage setzten, konnte sie nicht erfüllen. Ursprünglich sollten 900 Raketen im Monat vom Band laufen, aber die entkräfteten Häftlinge konnten das Arbeitspensum nicht leisten. Ein Teil der produzierten Raketen war außerdem durch Sabotage nicht funktionsfähig. Die SS reagierte darauf immer wieder mit brutalen Hinrichtungen.

Konzentrationslager Mittelbau-Dora

Erst im Frühjahr 1944 erhielt das Lager Mittelbau Dora auch Baracken und Außenbauten. Nach und nach wurde auch die Verwaltung vom KZ Buchenwald abgekoppelt, so dass das Arbeitslager Dora schließlich im Oktober 1944 komplett selbstständig wurde - als Konzentrationslager Mittelbau-Dora mit schließlich 40 Außenlagern. Die Nazis verlagerten gegen Kriegsende weitere Rüstungsprojekte in die Gegend, so dass sich im Frühjar 1945 über 40.000 Häftlinge dort befanden. Sie stammten aus fast allen Ländern Europas, vor allem aber aus Polen, Frankreich und der Sowjetunion. Als die Nazis anfingen, die KZ im Osten ihres Reichs vor den heranrückenden russischen Truppen zu "evakuieren" kamen auch viele jüdische Häftlinge nach Mittelbau-Dora.

Blick auf das ehemalige KZ-Gelände Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch der Kopf hinter dem V2-Projekt, Wernher von Braun, war vor Ort. Mit dem eigenen Flugzeug, wie ein heute bekannte Flugbuch dokumentiert, pendelte er in diesen Monaten regelmäßig zwischen Peenemünde und Mittelbau-Dora, flog aber auch ins südthüringische Lehesten. Dort wurden in einem Außenlager die Triebwerke der V2-Raketen getestet. In einem Brief an den obersten Leiter des Sonderausschuss A4, Degenkolb, schreibt von Braun wie selbstverständlich über den Einsatz von KZ-Häftlingen und wie man durch sie deutsche Fachkräfte einsparen könne. Auch ein Besuch im Kohnstein ist dokumentiert.

Todesmärsche im April 1945

Anfang April 1945 näherten sich US-amerikanische Truppen dem KZ Mittelbau von Westen her. Die SS trieb die Häftlinge in Vieh- und Güterwaggons und schickte die Züge in die Konzentrationslager Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Ravensbrück. Den verbleibenden Teil der Häftlinge schickte die SS auf Todesmärsche Richtung Nordosten. Wer auf den Märschen nicht mithalten konnte, wurde von den SS-Mannschaften hinterrücks erschossen. Bei einem Massaker in der Nähe von Gardelegen in der Altmark verbrannten SS-Angehörige, Wehrmachtssoldaten und Volkssturmmänner über 1.000 Häftlinge bei lebendigem Leib in einer Scheune.

Die Opferzahl dieser Todesmärsche und der Räumungstransporte ist nicht überliefert, Schätzungen gehen aber davon aus, dass bis zu 8.000 Menschen dabei starben. Am 11. April 1945 wurde das KZ Mittelbau-Dora schließlich von amerikanischen Truppen befreit. Sie fanden einige hundert Kranke und Sterbende, die die Nazis zurückgelassen hatten. Die Bilder, die die amerikanischen Kriegsberichterstatter in dieser Zeit gemacht haben, gehören heute zu den bekanntesten Zeugnissen der NS-Verbrechen.

Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg

1947 wurden SS-Angehörige, Funktionshäftlinge und der Generaldirektor vor dem Dachauer Militärgericht angeklagt. Im Dachauer Dora-Prozess erging ein Todesurteil gegen den Schutzhaftlagerführer, vier Freisprüche und 13 Haftstrafen. Der bekannteste Prozess um das Lager ist der Essener Dora-Prozess, in dem der Kommandoführer, der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und sein Mitarbeiter angeklagt waren. In dem Essener Prozess musste auch der deutsche Raketeningenieur Wernher von Braun aussagen. Von Braun bestritt jegliche Kenntnis und Mitverantwortung für die Zustände in Mittelbau-Dora.

Heute steht auf dem Gelände eine KZ-Gedenkstätte. Auch Teile des Stollens sind seit 1995 wieder begehbar.

Die V2-RaketeEigentlich trägt die V2 den Namen "Aggregat 4" oder kurz "A4". Die V2 war die weltweit erste funktionsfähige Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk. Den Namen "Vergeltungswaffe 2" bekam sie von Joseph Goebbels.

Sie wurde ab 1939 auf Usedom unter der Leitung von Wernher von Braun entwickelt und kam ab 1944 in großer Zahl zum Einsatz. Die Nazis beschossen mit der Rakete London, Antwerpen und Paris und versetzten damit die Zivlbevölkerung in Angst und Schrecken. Wegen ihrer Zielungenauigkeit und der Unmöglichkeit einer Vorwarnung galt die V2 als Terrorwaffe.

Durch den Einsatz der V2 kamen etwa 8.000 Menschen ums Leben. Bei der Herstellung der Rakete im KZ Mittelbau-Dora starben ca. 20.000 Zwangsarbeiter. Sie ist damit die einzige Waffe, deren Herstellung mehr Opfer forderte, als ihr Einsatz.

KZ-Gedenkstätte Mittelbau-DoraNach dem Krieg wurde das Lager Dora von den Amerikanern zur Unterbringung befreiter Zwangsarbeiter genutzt. Im Juli 1945 ging es an die sowjetische Besatzungsmacht. Die Baracken wurden demontiert, im Sommer 1947 war von dem ehemaligen Lager Mittelbau-Dora kaum noch etwas zu sehen. Lediglich das Krematorium erinnerte daran.

Anfang der 50er-Jahre wurde ein erstes Denkmal aufgestellt, ab 1964 trug der Ort die Bezeichnung "Mahn- und Gedenkstätte Dora". Nach der deutschen Vereinigung begann Anfang der 90er-Jahre eine umfassende Neuorientierung der Gedenkstättenarbeit. Das Lagergelände wurde erschlossen. Seit 1995 ist ein Teil der Stollenanlage für die Besucher zugänglich, 2005 wurde ein neues Museumsgebäude bezogen. Seit 2006 erzählt eine ständige Ausstellung die Geschichte des Lagers Mittelbau-Dora. Zudem gibt es wechselnde Sonderausstellungen.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:Spur der Ahnen - "Ein KZ-Aufseher in meiner Familie?" | 07.02.2018 | 21:15 Uhr