Zwangsarbeit im NationalsozialismusInszenierung einer Stadt: Hitlers Gauforum in Weimar
Mitten im Zentrum Weimars steht ein riesiger Gebäudekomplex mit einem klobigen Betonklotz an seiner Stirnseite. Das Ensemble des Gauforums war eine von den Nazis geplante und 1945 im Rohbau fertiggestellte neue Stadtmitte für Weimar - bestehend aus Aufmarschplätzen, Volkshalle und Residenzen, gedacht auch als Zentrale für Zwangsarbeit im Dritten Reich. Im Inneren des damaligen Festsaals wird am 8. Mai 2024 das "Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus" eröffnet.
Inhalt des Artikels:
- Gauforum: Kultstätte und Zentrum der Stadt
- Hitler und seine besondere Verbindung zu Weimar
- Propaganda um das Bauvorhaben
- Buchenwald und das Gauforum: Zwei Seiten einer Medaille
- Sauckel wird Generalbevollmächtigter für Zwangsarbeit
- Dauerhafte Ausstellung zur Zwangsarbeit im Gauforum
- Lagerhalle und Fachschulen: wie das Gauforum in DDR-Zeiten genutzt wird
Autoren: Michael Erler, Jan Dörre
Weimar, die Klassiker- und Bauhausstadt im Herzen Thüringens. Deutsche Geschichte und berühmte Bauten, wie das Nationaltheater oder Goethes Haus am Frauenplan, locken jedes Jahr Besucher aus aller Welt in die Stadt. Doch für den größten historischen Gebäudekomplex der Weimarer Innenstadt - das Gauforum - interessiert sich kaum jemand. Denn der hat eine dunkle Vergangenheit, eng verwoben mit der Zeit des Nationalsozialismus.
Gauforum: Kultstätte und Zentrum der Stadt
Nach dem Willen der Nationalsozialisten sollen in allen Gauhauptstädten des Reiches sogenannte Gauforen entstehen. Doch nur in Weimar wird das Vorhaben realisiert. Das Gauforum soll das eindeutige Zentrum der Stadt werden und Institutionen wie Kirche und Rathaus sukzessive verdrängen.
Konzipiert wird der Bau als riesige Kultstätte: eine Halle mit Krypta, die Platz für 20.000 Menschen bieten soll. Ein Repräsentationsort der Thüringer Nationalsozialisten für Fahnenweihen, Aufmärsche und Auftritte Hitlers.
Alles soll gigantisch wirken, wie bei einem antiken Bauwerk. Im Innern der Krypta sollen verstorbene Thüringer NS-Führer wie Heilige aufgebahrt werden.
Hitler und seine besondere Verbindung zu Weimar
Der Führer liebt Weimar und Weimar liebt den Führer – zumindest konservative und nationalistische Kreise. Und die herrschen in der Stadt. So findet schon 1926 in Weimar der Parteitag der NSDAP statt, auf dem die Hitlerjugend (HJ) gegründet wird.
Hitler sonnt sich in seinem Personen-Kult. Stets an seiner Seite ist Fritz Sauckel, Thüringens Gauleiter. Sauckel ist ein Organisationstalent, machtbegierig, zielstrebig und Hitler treu ergeben. Aber nicht jeder mag ihn.
Den Sauckel haben wir eigentlich alle nicht gemocht. Er war auch, wenn er redete, hart und ein bisschen grob und nicht sehr gewählt in seinen Ausdrücken. Er war der Prolet unter den SA-Führern.
Gisela Hemman, Einwohnerin von Weimar
Für den Gau Thüringen hat Sauckel Großes vor. Ein nationalsozialistisches Musterland soll entstehen mit Weimar als Muster-Hauptstadt. Im neuen Zentrum plant er das erste Gauforum im "Tausendjährigen Reich".
"Dieses Riesenprojekt hat sich dann nur in Weimar manifestiert und verwirklicht. Das ist ja das einzige, was wirklich fast zu Ende gebaut wurde und da ging es um den deutlichen Akzent, um nach außen zu zeigen, wie sich Geist und Macht zusammengefunden haben im Dritten Reich", erklärt der Historiker Justus H. Ulbricht.
Propaganda um das Bauvorhaben
Am 4. Juli 1936 vollziehen Hitler und Thüringens Gauleiter Sauckel unter großem Propagandarummel den ersten Spatenstich. Ein Jahr später erfolgt die Grundsteinlegung der zukünftigen "Halle der Volksgemeinschaft" vor 40.000 Volksgenossen aus ganz Deutschland. Für den Bau müssen Teile der Altstadt weichen, fast 1.000 Menschen werden umgesiedelt.
Bei dem Bauvorhaben geht nichts an Hitler vorbei, zweimal ist er auf der Baustelle persönlich anwesend und überzeugt sich vom Fortgang der Bauarbeiten. Überliefert ist, dass Hitler den Bau eines Glockenturms angeregt hat. Die Glocken des Turmes sollten dann zu Versammlungen rufen. Als höchster Turm von Weimar soll er zudem die Dominante im Stadtbild werden. Doch der Turmbau wird nie vollendet.
Buchenwald und das Gauforum: Zwei Seiten einer Medaille
Während in Weimar der Bau des Gauforums vorangeht, beginnen wenige Kilometer entfernt Bauarbeiten für das KZ Buchenwald. Sauckel will neben den neuen Weimarer Prachtbauten auch auf dem Ettersberg das größte Konzentrationslager in Thüringen errichten.
Auf dem Weimarer Bahnhof treffen im Juli 1937 die ersten Häftlinge ein. Für alle sichtbar werden sie durch die Stadt getrieben. Am Ettersberg bauen sie ihr eigenes Lager und schuften später für das neue Gauforum.
Das sind zwei Seiten einer Medaille. Repräsentation und Repression. In einem Ensemble von Gebäuden und Bauvorhaben. Und das im Abstand von zehn Kilometern Luftlinie.
Justus H.Ulbricht, Historiker
Mit Beginn des 2. Weltkriegs gerät der Bau des Gauforums ins Stocken, da alle kriegsunwichtigen Baustellen geschlossen werden. Doch in Weimar wird weitergearbeitet - am Gauforum. Gauleiter Sauckel muss sich zwar auch an die zentralen Vorgaben halten, aber auf kleiner Flamme treibt er die Bauarbeiten weiter voran. Er gleicht mit dem verstärkten Einsatz von Häftlingen aus dem nahe gelegenen Konzentrationslager den Mangel an Arbeitskräften aus.
Sauckel wird Generalbevollmächtigter für Zwangsarbeit
1942 schlägt Fritz Sauckels Stunde.
"Sauckel stieg im Laufe des Krieges in der Hierarchie der Nationalsozialisten auf, weil er der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz wurde und als solcher war er für das millionenfache Heer von Zwangsarbeitern und auch KZ-Häftlingen, aber eben insgesamt den Zivilarbeitern aus ganz Europa verantwortlich, die in Frankreich arbeiten mussten, in Norwegen, in Italien und später innerhalb des Deutschen Reiches", erklärt der Historiker Rikola-Gunnar Lüttgenau.
Über 13 Millionen Zwangsarbeiter arbeiten bis zum bitteren Ende in Deutschland. Falsche Versprechungen locken die ersten Frauen und Männer ins Reich. Andere werden verschleppt, deportiert.
"Es war wie so eine Art Sklavenmarkt. Das heißt, die Leute kommen beim Arbeitsamt an und dann kommen eben Leute, die sich um Zwangsarbeiter beworben haben und fangen an, sich die anzugucken. Sind die Zähne kräftig, hat der kräftige Oberarme und so etwas. Und dann suchen sie sich welche aus", berichtet Historiker Marc Bartuschka. In den Unternehmen werden sie ausgebeutet, missbraucht, nicht wenige von ihnen verlieren ihr Leben.
Dauerhafte Ausstellung zur Zwangsarbeit im Gauforum
Eine Ausstellung will nun an ihre Schicksale erinnern. Im einstigen Festsaal des Gauforums zeigt ein neu entstandenes Museum Fotos, Dokumente und Aufzeichnungen am Ursprungsort der Verbrechen - in Weimar. Dort, wo Sauckel über das Schicksal von Millionen von Zwangsarbeitern im Dritten Reich entschied.
Am 11. April 1945 erreichen erste amerikanische Verbände das KZ Buchenwald, befreien die Häftlinge und marschieren kurz darauf ins zerstörte Weimar.
In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten befreit die US-Armee auch die Zwangsarbeiter aus den umliegenden Betrieben. Viele kehren auf beschwerlichen Wegen in ihre Heimat zurück.
Im Juli 1945 ziehen die Amerikaner ab und sowjetisches Militär übernimmt das Kommando. Sie beziehen das kaum beschädigte Gauforum - und bauen es weiter aus.
Mit Kriegsende 1945 endet auch die Macht von Fritz Sauckel. Die Alliierten fassen den "Generalbevollmächtigten" in Süddeutschland und verurteilen ihn später als Kriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode. Am 16. Oktober 1946 wird Sauckel hingerichtet.
Lagerhalle und Fachschulen: wie das Gauforum in DDR-Zeiten genutzt wird
Mit der Gründung der DDR zieht die sowjetische Militärverwaltung aus und DDR-Behörden nutzen das ehemalige NS-Gebäude. Bis 1989 wird das Gauforum von einer landwirtschaftlichen Fachschule, der Arbeiter- und Bauernfakultät der damaligen Hochschule für Architektur und Bildende Kunst und einer kommunalen Verwaltungsschule genutzt. Ein Teil des Gebäude-Komplexes wird zum Studenten-Internat. Der Rohbau der ehemaligen "Halle der Volksgemeinschaft" wird Mitte der 1970er-Jahre zur Lagerhalle ausgebaut.
Mit dem Ende der DDR verlieren die Fachschulen ihre Namen und dann ihre Studenten. Im Jahr 2000 kauft ein privater Investor die ehemalige "Halle der Volksgemeinschaft". Er lässt sie zu einem großen Shoppingcenter umbauen. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft 2005 eröffnet das Weimar-Atrium, von Kritikern als "Reichseinkaufshalle" verspottet. Doch mittlerweile haben sich die Weimarer damit arrangiert.
Andere Gebäude des ehemaligen Gauforums renoviert das Land Thüringen in den letzten Jahren aufwändig. Das Thüringer Landesverwaltungsamt zieht dort ein und nutzt sie bis heute. Der Platz vor den Gebäuden ist inzwischen in Jorge-Semprún-Platz – nach dem spanischen Schriftsteller und Widerstandskämpfer, der im KZ-Buchenwald inhaftiert war, umbenannt.
Im ehemaligen Festsaal des Gauleiters Sauckel kann man ab 8. Mai 2024 dauerhaft die Ausstellung "Zwangsarbeit im Nationalsozialismus" besuchen. Die Schau ging mehrere Jahre als Wanderausstellung durch Deutschland und einige europäischen Städte. Nun findet sie ihren endgültigen Platz in Weimar.
Museum für Zwangsarbeit im NationalsozialismusAb 8. Mai 2024 kann das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Trägerschaft der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora im ehemaligen Gauforum in Weimar besichtigt werden.
Öffnungszeiten ab 9. Mai 2024:
dienstags bis sonntags und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr
Weimarhalle, ehemaliges Gauforum
Jorge-Semprún-Platz
Wenn das Museum seine Tore für die Besucher öffnet, kann auch das ehemalige Gauforum - dieser bislang ungeliebte Klotz - aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachtet werden.
"Vor allem kann man darüber nachdenken, dass die Trennung der Weimarer Kultur von der Unkultur historisch falsch ist. In bestimmten Zeiten der Weimarer Geschichte gehörte das zusammen. Wie zwei Seiten einer Medaille. Und das zeigt eben auch, dass unsere Kultur - damals wie heute - auch ihre Abgründe hat und darüber kann man im Gauforum nachdenken", so Historiker Justus H. Ulbricht.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke, wo du lebst | 07. Mai 2024 | 21:00 Uhr