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Von 1949 bis zum 20. Juni 1991 war Bonn Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem "Berlin/Bonn-Gesetz" wurde die "Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung" zwischen beiden Städten beschlossen. Die Teilung ist aber mit hohen Kosten verbunden. Bildrechte: IMAGO / Klaus Rose

Bonn-Berlin-Beschluss: Debatte um den RegierungsumzugBonn und Berlin: Die geteilte Hauptstadt

18. Juni 2021, 15:17 Uhr

Seit 1991 leistet sich die Bundesrepublik zwei Hauptstädte: die "Bundeshauptstadt" Berlin mit dem Regierungssitz und die "Bundesstadt" Bonn mit dem Dienstsitz von sechs Ministerien. Diese symbolische, vor allem aber funktionale Hauptstadtteilung ist jedoch mit Kosten und Problemen verbunden – und nicht nur darum umstritten.

von Kristian Schulze

Der zähe Weg nach Berlin

Im Jahr 1991 war es alles andere als sicher, dass die alte Reichshauptstadt und Ex-Hauptstadt der Ex-DDR auch wirklich die bundesdeutsche wird. Am 20. Juni 1991 dann die Entscheidung: Der Bundestag beschloss, dass Berlin zur deutschen Hauptstadt werden sollte und größtenteils auch die Regierung vom weit im Westen liegenden Bonn in den Osten ziehen würde. Das legte auch der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 nahe. Ebenso das Grundgesetz, indem Berlin als Hauptstadt genannt wurde. Tatsächlich hatte Berlin in der Zeit vor der Abstimmung im Bundestag keine Mehrheit. Noch vier Tage vor der Entscheidung ergab eine Umfrage unter den 662 Bundestagsabgeordneten eine absolute Mehrheit für Bonn als Regierungssitz

Warum wurde Berlin die neue Hauptstadt?

Mehr als 40 Jahre lang war Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Wiedervereinigung und dem "Hauptstadtbeschluss" vom 20. Juni 1991 wurde Berlin zur Hauptstadt. 1999 zogen Parlament und Regierung schließlich nach Berlin. Sechs Ministerien blieben in Bonn bestehen.

Bonn oder Berlin: Der Hauptstadtstreit

Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte am 3. Juli 1990 in einer Rede, dass Berlin "der Platz für die politisch verantwortliche Führung Deutschlands" sei. Der SPD-Politiker Horst Ehmke konterte dies mit der Frage, wann Deutschland denn je von Berlin aus politisch verantwortlich regiert worden sei? Diese konträren Äußerungen verdeutlichen die Debatte, die sich in Teilen bis heute zieht. Für die einen war Berlin die "natürliche" deutsche Hauptstadt und sollte nun die eines neuen und wirklich demokratischen Deutschlands in Europa werden. Für die anderen aber verkörperte dies nun schon Bonn – bescheiden zurückhaltend und verlässlich; während Berlin für sie noch das alte, militaristische Preußen symbolisierte, den Machtwahn der Nazis, brutalen Zentralismus und den Obrigkeitsstaat.

Für die Ostdeutschen war Bonn dagegen sehr weit weg, und Berlin wurde zum Symbol dafür, dass der Westen es wirklich ernst mit dem gemeinsamen Neuanfang meinte. Bonn war ohnehin nur "zum vorläufigen Sitz der Bundesorgane" durch seinen "provisorischen Charakter" bestimmt - so beschlossen es 1949 der Parlamentarische Rat und der Bundestag.

40 Jahre später stand Bonn nicht mehr für ein Provisorium, sondern viel mehr für ein Wirtschaftswunder, einen funktionierenden Sozialstaat und für ein Erfolgsmodell. Im In- und Ausland wurde die Stadt damit identifiziert und war nach dem Mauerbau 1961 inzwischen auch zur Hauptstadt ausgebaut worden. Auch deshalb mischten sich in die Debatte um die nationale Symbolik durchaus provinziellere, aber bis heute wirksame finanzielle Interessen. Skeptiker glaubten: Ein vorschneller Umzug nach Berlin hätte in Bonn für Arbeitslosigkeit und einen krassen Abstieg gesorgt. Schließlich war der Regierungsapparat der größte Arbeitgeber der Stadt.

Die Hauptstadtfrage und auch die Frage des Regierungssitzes sei eine Entscheidung "über die Zukunft Deutschlands". So hätte es nicht um einen Wettkampf zwischen zwei Städten gegangen, sondern vor allem um Arbeitsplätze, Umzugs- oder Reisekosten, Regional- oder Strukturpolitik. In Artikel 2 des Einigungsvertrags hieß es erstmal nur: "Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden." Im Juni 1991 stimmte der Bundestag ab. Kanzler Helmut Kohl (CDU) legte sich übrigens auf Berlin als Sitz von Parlament und Regierung fest. Von fünf Anträgen schafften es zwei in die letzte Runde. Nach einer fast zwölfstündien Debatte und mehr als 105 Reden stimmten dann von 660 Abgeordneten namentlich 338 für den Berlin-Antrag und nur 320 für den Bonn-Antrag, bei einer Enthaltung und einer ungültigen Stimme. Das Ergebnis war recht knapp, überraschend, aber klar. Berlin ging als Sieger hervor.

Wie wurde der Umzug nach Berlin finanziert?

Am 25. August 1992 beschloss der Bund den "Hauptstadtvertrag" mit Berlin und Brandenburg. In diesem Vertrag wurden die konkreten Details vor allem zum Ausbau der Bundeshauptstadt geregelt. 2010 und 2017 folgten zwei weitere Verträge, die sich mit der Finanzierung befassten. Es wurden darin vor allem zusätzliche Gelder für die innere Sicherheit, die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen und die Kulturangebote zugesichert.

"Faire Arbeitsteilung" zwischen Berlin und Bonn

Ein Grund für den Sieg der Berlin-Lobby war wohl auch, dass sie sich in der Minderheit wähnte und deshalb eher zu Kompromissen bereit war. Vor allem das Versprechen einer "fairen Arbeitsteilung" zwischen Berlin und Bonn und ihre Zusage finanziellen Ausgleichs für Bonn und Region dürften geholfen haben.
Im "Berlin/Bonn-Gesetz" sind daher die Interessen der alten Hauptstadt gesichert. Es garantiert dem langjährigen Provisorium am Rhein den Status einer zweiten Hauptstadt und somit auch Gelder und Arbeitsplätze. Der Bund muss nach diesem Gesetz weiter in Bonn arbeiten, so lange es eben gilt.

Welche Ministerien sitzen derzeit noch in der Bundesstadt Bonn?

Heute haben noch sechs von 14 Ministerien ihren Sitz in Bonn. Dazu zählen die Ministerien für Bildung und Forschung, für Gesundheit, für Ernährung und Landwirtschaft, für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, für Verteidigung sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angesiedelt. Alle Bundesministerien, die ihren Hauptsitz in Berlin haben, führen einen zweiten Sitz in Bonn.

Die Kosten der Arbeitsteilung

Nachdem Berlin jahrelang einer Baustellte glich und alles für den Umzug vorbereitet wurde, war es 1999 soweit: Die Ministerien und der Bundestag zogen nach Berlin, sechs Ministerien verblieben in Bonn. Alle Ministerien haben bis heute jeweils mindestens einen Dienstsitz in beiden Städten. Seither fallen nach den jährlich erstellten Teilungskostenberichten aber auch Kosten durch die andauernde Arbeitsteilung an, vor allem für Fahrten zwischen den Dienstsitzen. Auch wurden in den Berichten wiederholt Effektivitätsmängel kritisiert. Die Bonn-Lobby argumentiert zwar mit stetig sinkenden Kosten. Rechnet man die zuletzt sieben bis acht Millionen Euro jährlich zusammen, ergeben sich über die Jahre aber doch beachtliche Summen. 2019 beliefen sich die Kosten auf mindestens 9,16 Millionen Euro, die durch die Aufteilung entstanden sind. 

Auch 30 Jahre nach dem Umzug ist noch jeder dritte ministerielle Arbeitsplatz in Bonn angesiedelt. Es summieren sich Fahrtkostenzuschüsse, Trennungsgeld, Kosten für den Unterhalt von Fahrzeugen und Umzüge. Ein Schutz für Bonn ist dabei allerdings, dass ein Komplettumzug der restlichen Ministerien nach Schätzungen wohl erneut in die Milliarden gehen könnte. Ein weiterer, dass durch die Corona-Pandemie die Dienstreisen deutlich zurückgegangen sind. Viele Sitzungen konnten als Videokonferenz abgehalten werden. Doch wie geht es weiter? Bleibt es auch so, wenn alle Corona-Beschränkungen wegfallen? Noch 2019 entstanden durchschnittlich 54 Dienstreisen am Tag. Zwar sank die Zahl im Verlgeich zu 2017 - doch die Kosten für den Transport für Bahn, Flugzeug und Benzin stiegen. Mehr als 6,7 Millionen Euro wurden dafür ausgegeben. Kosten, die in andere Projekte fließen könnten.

Aufgeschlüsselt: Die Kosten des Umzuges

Seit 1993 investierte der Bund umgerechnet mehr als fünf Milliarden Euro in Berlin. Gut drei Milliarden davon für Bauten der Ministerien, für den Umbau des Reichstags, für Neubauten des Bundestags im Spreebogen, für das neue Kanzleramt und die Unterbringung des Bundesrats. Seit 1995 glich die Mitte der Stadt einer riesigen Baustelle. Bevor die doppelte Städtelösung beschlossen wurde, hatte die Bundesregierung noch eine "Kostendeckelung" für den Umzug festgelegt. Er durfte nicht mehr als 20 Milliarden Mark kosten (ca. zehn Milliarden Euro), wovon 16 Milliarden auf den eigentlichen Umzug entfallen durften. Vier Milliarden waren als Ausgleich bis 2004 für die Region und die Stadt Bonn vorgesehen.

Seitdem hat sich die Stadt Bonn prächtig entwickelt. Der befürchtete Abstieg und die erwartete Arbeitslosigkeit traten nicht ein. Zwar sank nach und nach die Zahl der Arbeitsplätze in den Ministerien. Dies wurde aber überkompensiert durch Ansiedlung vieler Bundesbehörden wie Bundesrechnungshof, Kartellamt und Bundesnetzagentur, des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Das macht Bonn auch als Standort für Lobby- und Wirtschaftsverbände interessant. Dabei sorgen auch ehemalige, privatisierte Bundesunternehmen wie Post und Telekom, heute Schwergewichte der deutschen Wirtschaft, für Arbeitsplätze. Mit mehr als 327.000 Einwohnern hat Bonn 2021 rund 26.000 mehr als 1999, dem Jahr des Umzugs von Bundestag und Regierung. Mit Hilfe des Bundes wurde Bonn zudem als internationaler Konferenzstandort etabliert und die Region zur international bedeutsamen Forschungslandschaft. Die stabile Wirtschaftsentwicklung sollte bei einer Entscheidung oder möglichen Änderung des "Berlin/Bonn-Gesetzes" einfließen. Kritiker sind vom stabilen Wachstum wenig überzeugt: "Regierungshandeln" in Bonn wird gebraucht, um andere Institutionen in der Stadt zu halten.

Das Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 sieht bis heute vor, dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze in den Bundesministerien in Bonn bleiben soll. Doch schon 2008 aber war der Anteil der Bonner Arbeitsplätze unter 50 Prozent gefallen. Seither hat sich die Verlagerung nach Berlin verstetigt. Ende 2015 waren noch rund 37 Prozent der Ministeriumsstellen in Bonn, 2019 lediglich 30 Prozent. Dieser Effekt hängt wohl mit der Tendenz zusammen, Stellen in der Nähe der Leitung eines Ressorts zu konzentrieren. Zudem können Ministerien selbst über Dienstpostenverlagerungen entscheiden; und die Bundesregierung sieht deren Verteilung nicht als Verstoß gegen die "Soll-Vorschrift" im Berlin/Bonn-Gesetz.

Eine Debatte ohne Ende?

Die Antwort auf die Frage nach einem Komplettumzug wurde von den Parteien und Politikern auf scheinbar unbestimte Zeit verschoben. Nach dem die Debatte kurz vor der Bundestagswahl 2017 aufkeimte, vergingen weitere vier Jahre und eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Corona-Pandemie hat Argumente der Berlin-Lobby und die der Kostenkritiker geschwächt. Doch bleiben die Videokonferenzen, wenn Normalität einkehrt und alle Beschränkungen wegfallen? Insgesamt geht der Trend eher nach Berlin und gilt als nicht umkehrbar. Solang es keine Einigung gibt, plädieren Kritiker dafür, das Berlin/Bonn-Gesetz "mit Verstand und Vernunft" zu lesen und unnötige Kosten zu vermeiden.