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Der "Prager Frühling"Der Versuch, dem Sozialismus Menschlichkeit zu verleihen

16. Februar 2022, 15:11 Uhr

Ein "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" begeisterte 1968 die Menschen in Ost und West und versetzte die Machthaber des Ostblockes in Angst und Schrecken. Ausgerechnet in der Tschechoslowakei, einem sozialistischen Vorzeigeland an der Nahtstelle des Kalten Krieges, leitete die Staats- und Parteiführung Reformen ein und unternahm den Versuch, Sozialismus und Demokratie zu vereinen.

Im Sommer 1968 strebte die Tschechoslowakei – eigentlich ein sozialistisches Vorzeigeland – nach Reformen. Eine treibende Kraft dahinter war KPČ-Parteichef Alexander Dubček.

Tschechoslowakei: ein sozialistisches Vorzeigeland

Die Tschechoslowakei galt als ein Musterschüler des Ostblockes. Im Gegensatz zu den anderen "Bruderländern" konnten sich die Tschechen und Slowaken im Zweiten Weltkrieg weitgehend selbst befreien, und die Kommunistische Partei genoss wegen ihres Widerstandes während der Besatzungszeit Vertrauen bei einem Großteil der Bevölkerung. Dies erleichterte ihr in der Nachkriegszeit die Übernahme und Festigung ihrer Macht im Land, auch wenn das nicht ganz legal im Wege des sogenannten Februarumsturzes 1948 geschah. Auch die Unruhen, die Mitte der 1950er Jahre die sozialistischen Nachbarländer im Zuge der Entstalinisierung erfasst hatten, überstand die Partei unbeschadet. Erst zu Beginn der 1960er Jahre wurde das Land von einer wirtschaftlichen und politischen Krise ereilt. Sie machte den Weg für Reformer frei, die durch den Altkommunisten Antonín Novotný in die Staats- und Parteiführung berufen wurden.

Prager Frühling: Reformer erlangen die Macht

Die politische Krise im Land spitzte sich zu. Eine halbherzige Entstalinisierung, ungelöste Probleme zwischen Tschechen und Slowaken und der Widerstand von Schriftstellern und Intellektuellen kratzten an der Macht der Altkommunisten. Mit der Duldung Moskaus einigten sich Konservative und Reformer auf einen neuen Mann an der Spitze der Partei. Der Slowake Alexander Dubček sollte das Land aus der Krise führen. Dubček, der als unentschlossener und farbloser Funktionär galt, sollte zur Symbolfigur des "Prager Frühlings" werden.

Neben ihm gab es noch weitere Persönlichkeiten, die im Reformprozess eine wichtige Rolle spielten. Als neuer Staatspräsident wurde Ludvík Svoboda am 30. März 1968 gewählt. 1944-45 war er als Offizier an der Seite der Sowjets an der Befreiung der Tschechoslowakei beteiligt gewesen. Das verschaffte ihm in Moskau hohes Ansehen, was sich später noch als nützlich erwies. Die Wahl von Reformern sorgte für Aufatmen in der Partei und in der gesamten tschechoslowakischen Gesellschaft. Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Zensur der Medien abgeschafft. Verbotene Zeitungen erschienen wieder und ein öffentliches politisches Leben entfaltete sich auch außerhalb der Partei. Dubček brachte weitere Reformer in Führungspositionen und versprach der Bevölkerung ein Aktionsprogramm, das durch eine Demokratisierung die Probleme lösen sollte.

Die Gesellschaft befreit sich

Die Bevölkerung begrüßte die Reformpläne und fasste Vertrauen in die neue Führung. Politische Gruppen gründeten sich und die Medien berichteten ohne jede Einschränkung. Brisante Themen wurden nun öffentlich diskutiert: eine Föderalisierung des Landes und damit die Gleichberechtigung der Slowaken, die Rehabilitation der Opfer des stalinistischen Terrors im Land und die Zulassung einer eigenständigen Opposition wurden vom Volk auf die politische Agenda gesetzt.

Der Kurswechsel und das liberale Klima, der so genannte Prager Frühling, zog auch viele Menschen aus Ost und West in das Land. Doch was von der Bevölkerung und den Gästen als Freiheitsgeläut empfunden wurde, erschien den Mächtigen des Ostblocks als Alarmsignal. Die Reformer um Alexander Dubček und Ludvík Svoboda gerieten im eigenen Lager zunehmend unter Druck.

Druck der sozialistischen "Bruderstaaten"

Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Truppen des Warschauer Paktes und der Sowjetunion. Bildrechte: imago/CTK Photo

Die sozialistischen Staaten des Ostblocks waren in den 1960er Jahren insgesamt mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Die DDR-Führung unter Walter Ulbricht verfolgte mit dem "Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung" (NÖSPL) in der Wirtschaft einen ähnlichen Kurs wie die Reformer in der Tschechoslowakei. Doch den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei zur Debatte zu stellen, wurde in den "Bruderländern", neben der Abschaffung der Zensur, geradezu als eine Provokation aufgenommen. Weder in der DDR noch in Polen wollte man ein Überschwappen des Prager Frühlings riskieren und intervenierte in Moskau.
Gemeinsam mit Bulgarien und Ungarn verband man sich mit der Sowjetunion zu den fünf Staaten des Warschauer Paktes, die dem Treiben in Prag Einhalt gebieten wollten. Auf mehreren Gipfeltreffen versuchten sie die Prager Reformer zur Raison bringen. Doch Dubček spielte auf Zeit. Er bekannte sich verbal zum Bündnis und schwor seinen Widersachern, die Geschehnisse im Land unter Kontrolle zu haben. Da die Tschechoslowakei jedoch das einzige Ostblockland war, in dem keine sowjetischen Truppen stationiert waren, wurde im Juni 1968 ein groß angelegtes Manöver des Warschauer Paktes durchgeführt, um den Reformern die militärischen Konsequenzen vor Augen zu führen.

Niederschlagung des Prager Frühlings

Dubček und Svoboda hatten das Spiel verloren, als in der Nacht vom 20. auf den 21. August die Truppen des Warschauer Paktes die Landesgrenze überschritten. Nur wenige Wochen zuvor war das Manöver beendet worden und die Truppen hatten das Land verlassen. Ein inszenierter Hilferuf von tschechoslowakischen Altkommunisten sollte den Einmarsch rechtfertigen und den Putsch gegen die Reformer ermöglichen.

Doch die Reformer nahmen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts nicht einfach hin. So verweigerte Svoboda es, mit einer Gruppe von reformfeindlichen Funktionären, zusammenzuarbeiten. Die Bevölkerung leistete zuerst nur gewaltfreien Widerstand, doch mit jedem weiteren Tag der Besatzung heizte sich die Stimmung auf. Es kam zu blutigen Zusammenstößen, die hunderte Menschenleben forderten. Der Plan der Besatzer ging nicht auf und so wurden die Reformer festgenommen und nach Moskau gebracht. Dem sowjetischen Chef der KP Leonid Breschnew wurde klar, dass er ohne die Reformer das Land nicht zur Ruhe bringen konnte und zwang sie, ihr eigenes Werk bildlich zu zerstören. Sie mussten fast alle Reformvorhaben zurücknehmen, durften dann aber in die Heimat zurückkehren und für kurze Zeit noch in ihren Ämternbleiben. Das blutige Ende des "Prager Frühlings" wurde zum Trauma einer ganzen Generation. Ein kalter Winter legte sich über die Tschechoslowakei, der bis zum Zerfall des gesamten Ostblockes anhalten sollte.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:MDR aktuell | 07.03.2018 | 19:30 Uhr