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Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Einfache WahrheitenAluhut & Co.: Wie Verschwörungstheorien entstehen

19. Juli 2020, 05:00 Uhr

Politisches Geheimnis, Verschwörung und Verrat: Das sind Forschungsschwerpunkte der Germanistin Eva Horn, die eine Professur für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien inne hat. Sie erklärt im Interview, was Verschwörungstheorien eigentlich sind und wie man sie erkennen kann.

Was versteht man unter einer Verschwörungstheorie?

Eine Verschwörungstheorie ist zunächst mal ein alternative Darstellung über ein Ereignis, das stattgefunden hat. Normalerweise definiert man eine Verschwörungstheorie als eine Theorie darüber, dass eine bestimmte elitäre Gruppe einen heimlichen Plan durchgeführt hat. Aber ich würde sagen, der Witz an einer Verschwörungstheorie, vor allem wie wir sie heute sehen, ist vor allem diese Vorstellung einer alternativen Wahrheit. Etwas zu wissen, das nicht in den öffentlichen Medien kommt. Etwas zu wissen, was nicht jeder weiß. Verschwörungstheorien sind immer historisch relativ. Das heißt: Jede Verschwörungstheorie passt zu dem Zeitalter, in dem sie erscheint. Es gibt alte Verschwörungstheorien und neue, aber die halten sich meistens nicht sehr gut. Es sei denn, sie werden, wie bei der "jüdischen Weltverschwörung", immer wieder neu modernisiert und an das jeweilige Zeitalter angepasst. 

Es gibt auch echte Verschwörungen. Sie werden oft von Investigativjournalisten aufgedeckt. Was unterscheidet investigativen Journalismus von Verschwörungstheorien?

Es gibt auch echte Verschwörungen, ja. Und insofern ist das, was investigativer Journalismus tut, tatsächlich manchmal nahe an dem dran, was Verschwörungstheorien nur versuchen: Nämlich eine alternative Wahrheit aufzudecken. Der Unterschied liegt in den Wahrheitsstandards. Investigativer Journalismus, wenn er das tut, was er soll, ist extrem hohen Wahrheits- und Beweisstandards verpflichtet und muss wirklich nachweisen, was er herausgefunden hat.

Verschwörungstheorien dagegen haben überhaupt keine Wahrheitsstandards und deshalb sind sie so kreativ. Deshalb wuchern sie auch so wunderbar ins Phantastische. Sie können alles Mögliche behaupten. Was sie aber tun, wenn sie das behaupten: Sie streuen so einzelne kleine Wahrheitspartikel ein oder Wissenschaftspartikel, die die Sache plausibel erscheinen lassen sollen. Das sieht man auch sehr schön bei den Corona-Verschwörungstheorien. Da gibt es immer ein Fünkchen Wahrheit oder irgendein kleines medizinisches Faktum. Oft sind es sogar Ärzte, die das vortragen. Sie sind zwar nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge, bringen aber einiges medizinisches Wissen mit, um das Ganze plausibel zu machen, was sie als alternative Wahrheit behaupten.

Aber ich würde sagen, der Witz an einer Verschwörungstheorie, vor allem wie wir sie heute sehen, ist vor allem diese Vorstellung einer alternativen Wahrheit.

Eva Horn

Wird es heute immer schwieriger, die Wahrheit zu finden?

Die Leute wissen nicht mehr so richtig, was wahr ist. Das hat mit neuen Medien zu tun, mit Filterblasen. Und es hat natürlich damit zu tun, das unsere Welt immer globaler, immer komplizierter wird und von allen Seiten Informationen reinkommen, die schwer zu integrieren sind. In dieser Situation kommt jemand und sagt: Alles was ihr in den seriösen Medien lest, ist Schwachsinn. Ich sag euch, wie es wirklich ist. Und dann kommt eine sehr einfache Darstellung mit sehr klaren "gut/böse"-Zuschreibungen, was aber mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Und dann sagen diejenigen, die das lesen oder hören: "Oh, jetzt sehe ich die Welt mit anderen Augen und zwar mit den Augen dieser autoritären Persönlichkeit". Deshalb ist es für die Verbreiter von Verschwörungstheorien so wichtig, die Mainstream-Medien zu kritisieren. Denn die sind sehr vielfältig. Aber es geht darum, diese Vielfalt vom Tisch zu wischen und zu sagen, es gibt eine Wahrheit und die könnt ihr in keiner Zeitung lesen, sondern nur noch bei mir.

Welchen Beitrag leisten dabei soziale Medien und Internet?

Die sozialen Medien haben alle Filter ausgeschaltet, alle Bestätigungsinstanzen, die es in den klassischen Medien wie Zeitung oder Fernsehen gibt. Das heißt, ich kann eine Geschichte erzählen, weiterposten, die überhaupt nie von irgendjemandem geprüft worden ist. Für die auch niemand geradestehen muss im presserechtlichem Sinne. Und in dem Moment blühen die Geschichten auf, in dem Moment ist alles möglich. Damit haben wir eine Segmentierung von Wirklichkeit, wo hundert verschiedene Leute an hundert verschiedene Wirklichkeiten glauben, weil sie sich das rausnehmen, was ihre Freunde weiterposten. Deshalb sind die sozialen Medien wirklich ein Medium im alten Sinne geworden, dass sie die Wahrheiten verbreiten, aber sie haben die Wahrheiten zersplittert und privatisiert. Jeder erzählt seine eigene Geschichte.

Schützen Intelligenz und Bildung vor dem Glauben an Verschwörungstheorien?

Intelligenz schützt überhaupt nicht vor Verschwörungstheorien. Im Gegenteil. Ich glaube, eine bestimmte Art von Intellektualität besteht darin, dass man es immer besser weiß. Das heißt, man ist Arzt, aber hat eigentlich keine Ahnung von Corona. Corona war eine Krankheit, die so neu ist, dass selbst die Virologen sich erstmal hinsetzen und forschen mussten. Das heißt, in einer Situation, wo viel Unsicherheit da ist, gibt es dann die selbsternannten Experten die sagen, ich weiß aber Bescheid. Und dafür müssen sie ein bisschen was wissen, dafür müssen sie eine Bildung und eine Vorkenntnis über die Materie haben, damit das ihnen geglaubt wird.

WissenHass, Hetze, Häme: Ist das Internet an allem Schuld?

Einerseits weil sie als Autoritäten auftreten können und andererseits, weil sie so kleine Partikel, Fachwörter, Erklärungsmuster einstreuen, die wissenschaftlich klingen. Ein anderes Beispiel sind Impfgegner. Das sind häufig relativ gebildete Leute, die glauben, sie wissen es besser als Ärzte oder Forscher. Sie haben Angst, dass ihre Kinder geschädigt werden könnten, wenn sie geimpft werden. Dass ihre Kinder viel schlimmer geschädigt werden können, wenn sie nicht geimpft sind, ist kein Gedanke, den sie zu fassen im Stande sind. Aber das ist nicht ein Mangel an Bildung und Intelligenz, sondern wiederum dieses seltsame Misstrauen gegenüber plausiblen Wahrheiten.

Wann werden Verschwörungstheorien gefährlich?

Was mir an Verschwörungstheorien gefällt, selbst wenn ich sie nicht glaube, ist, dass sie manchmal etablierte Wahrheiten in Frage stellen. Wenn sie gut sind, dann stellen sie Fragen und hinterfragen Dinge. Das ist der Punkt, wo Verschwörungstheorien und investigativer Journalismus parallel funktionieren. Verschwörungstheorien haben aber wesentlich mehr Nachteile als Vorteile.

Ein Nachteil von Verschwörungstheorien ist die Tatsache, dass sie Gewissheiten erschüttern und dass sie damit alternative Welten bauen. Das heißt Welten, in denen es beispielsweise total plausibel ist, dass Handystrahlen die Menschen gesundheitlich schädigen, dass irgendein Mad Scientist Viren in die Welt setzt oder das irgend eine Großverschwörung zwischen Amerika und Saudi-Arabien wertvolle Immobilien im Herzen Manhattans vernichtet. Das ist eine Welt, in der bestimmte Leute leben. Mit diesen Leuten ist es nur noch schwer, sich zu unterhalten, wenn wir über Politik reden, weil die von völlig anderen Wahrheiten ausgehen. Und damit besteht das Gefährlichste an Verschwörungstheorien darin, dass sie unterschiedlichste Wahrheiten kreieren, zwischen denen keine Kommunikation mehr stattfinden kann. Wo gerade in der Demokratie wichtige Debatten nicht mehr möglich sind, weil der eine sagt: Ich glaube nicht ein Wort von dem, was du sagst und auch nichts von den Fakten, die du jetzt hier ins Feld führst.

Was kann man tun, um nicht auf eine Verschwörungstheorie hereinzufallen?

Zunächst auf Plausibilität achten. Man muss, erstens, seinen eigenen Kopf anstrengen und sich fragen, ob scheinbar einfache, aber im Grunde irrsinnig komplizierte Erklärungen plausibel erscheinen. Normalerweise haben Verschwörungstheorien Antworten auf die Frage: Wer soll daran Interesse haben? Aber das sind nur scheinbar einfache Antworten. Sie wuchern. Das heißt: Aus einer einfachen Antwort wird eine enorm komplizierte Erklärungsmaschinerie.

Das Zweite, was ich machen kann gegen Verschwörungstheorien, ist, die Quelle zu prüfen. Rausbekommen, wer erzählt mir die Geschichte und aus welchen Motiven erzählt er sie. Echte Wahrheiten, wie sie in den Medien stehen, die sind oft plump und diffus. Da ist es oft schwer zu sagen, irgendjemand verfolgt ein Interesse damit. Bei Verschwörungstheorien kann man oft sehr schnell sehen, dass ein ganz bestimmtes Erkenntnisinteresse dahinter steht, nicht unbedingt eine spezielle Gruppe, die das lanciert, aber jemand der will, dass bestimmte Gewissheiten unterminiert werden. Dass ich beispielsweise mein Handy nicht mehr für ein Kommunikationsgerät halte, sondern für etwas, was mich gesundheitlich schädigt. Und in dem Moment, wo ich diese Intention merke, kann ich sagen: Moment, hier stimmt was nicht.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | Das jüngste Gerücht – die Lust an der Verschwörungsgeschichte | 19. Juli 2020 | 22:00 Uhr