Nationalpark als FilmkulisseDer Wilde Westen mitten im Osten
Rauschende Wasserfälle, türkisfarbene Seen, weiße Kalkfelsen - das ist die Landschaft, bei der Karl-May-Fans ins Schwärmen geraten. Vor dieser Kulisse drehte die westdeutsche Filmfirma Rialto in den 1960er-Jahren knapp zwei Dutzend Karl-May-Verfilmungen, die zu den international erfolgreichsten Serien des deutschen Kinos gehören.
Heute weiß man, dass der wilde Westen quasi um die Ecke lag: Filmproduzent Horst Wendtland hatte die Prärie Amerikas ins kommunistische Jugoslawien verlegt. Dank der idealen Naturkulisse war das Land damals ein beliebter Drehort für historische Abenteuer- und Indianerfilme aus aller Welt. Der Wilde Westen mitten im Osten - was passt besser zu Karl May - dem sächsischen Fantasten, der selbst seine Romane über Winnetou und Old Shatterhand geschrieben hatte, ohne in Amerika gewesen zu sein und Indianer nur vom Hörensagen kannte.
Der Silbersee heißt Kaluderovac
Im Sommer 1962 wurde der erste und erfolgreichste Karl-May-Film "Der Schatz im Silbersee" gedreht. Mehr als drei Millionen Bundesbürger sahen den Film allein bis 1964 im Kino. Und auch als die Winnetou-Filme Anfang der 1980er-Jahre im DDR-Fernsehen liefen, lösten sie einen Begeisterungssturm aus. Eines der Hauptmotive der Verfilmungen war die Seen- und Wasserfalllandschaft der Plitvicer Seen im gleichnamigen Nationalpark. Der Silbersee heißt eigentlich Kaluderovac und der große Wasserfall, an dem Fred Engel (Götz George) im Film fast erhängt wurde, rauscht am See Galova. Das sogenannte "Land der fallenden Seen" – mit seinen 16 terrassenförmig angeordneten Seen, die durch unzählige Wasserfälle und Stromschnellen verbunden sind – ist zwar auch heute noch in erster Linie durch die deutschen Karl-May-Filme bekannt, waren aber schon immer ein beliebtes Ausflugsziel Kroatiens. Schon 1949 wurde der Nationalpark gegründet, um die einzigartige Landschaft zu schützen. In der fast unberührten Natur des ca. 300.000 ha großen Parks gibt es viele seltene Pflanzen, in den Wäldern des Parks leben Bären und Wölfe.
Achtung, Lebensgefahr!
Zwischen 1991 bis 1995 war es allerdings lebensgefährlich, den Park zu betreten. Denn als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens von Jugoslawien kam es im Frühjahr 1991 im Nationalpark zu Auseinandersetzungen zwischen serbischen Aufständischen und kroatischen Spezialeinheiten. Die einzigartigen Wasser-Terrassen wurden damals vermint und waren dadurch von Sprengung bedroht. Nach dem Krieg wurden die Plitvicer Seen zwar als erstes Gebiet von Minen geräumt, doch noch heute gibt es vereinzelt Stellen, an denen vor Minen gewarnt wird.
"Winnetourismus"
Seit Anfang 2000 kommen auch die Winnetou-Fans wieder in die kroatischen Nationalparks Plitvicer Seen und Paklenica, wo einst der Häuptling der Apachen und sein Blutsbruder Old Shatterhand vor der Filmkamera für Gerechtigkeit kämpften, und wollen auf Winnetous Spuren wandeln. Sandro Florit aus der Nähe von Köln hat sich im September 2000 ein Lebenstraum erfüllt, als er mit seiner Familie zum "Silbersee" reiste. "Ich habe mich in die Drehorte verliebt, ich bin infiziert und es gibt kein Gegengift", sagt er. Jedes Jahr fährt er mit seinen Freunden Ulrich Wirsing und Gerhard Binder nach Kroatien und sucht die Originaldrehschauplätze auf. "Wir haben Sreenshots aus den Karl-May-Filmen dabei und versuchen dann an den Drehorten die genauen Kameraeinstellungen zu rekonstruieren. Irgendwie muss man seinen Urlaub ja rumkriegen", erzählt er. Gemeinsam mit seinem Freund Ulrich Wirsing hat er außerdem begonnen, Szenen mit Kostümen nachzustellen, einmal sind sie sogar als Winnetou und Old Shatterhand auf Pferden durch die kroatischen "Prärie" geritten. Im Sommer 2012 haben die Beiden mit zwei anderen "Hardcore"-Fans für alle Winnetou-Freunde ein Fest zum Jubiläum 50 Jahre "Der Schatz im Silbersee" organisiert. Mehr als 120 Fans aus elf Nationen kamen, auch wegen Winnetou-Darsteller Pierre Brice.
Und auch die kroatische Tourismus-Branche entdeckt die Winnetou-Liebhaber als Zielgruppe. Es gibt Jeeptouren oder Reiterferien auf Winnetous Spuren durch Kroatien. Und so manche Pension wirbt mit Karl Mays Helden. Im Hotel Alan in Starigrad Paklenica, direkt an der kroatischen Adria, wo die Filmcrew während der Dreharbeiten zum letzten Winnetou-Film untergebracht war, gibt es ein kleines Winnetou-Museum mit einigen Originalrequisiten und vielen Fotos von Filmszenen aus den verschiedenen Karl-May-Verfilmungen.
"Winnetou Ost" trifft auf "Winnetou West "
Bei drei der westdeutschen Karl-May-Verfilmungen war auch der Jugoslawe Gojko Mitic, der spätere "Winnetou des Ostens", mit von der Partie. Jugoslawische Sportstudenten waren damals beliebte Komparsen für Massenszenen. Mitic fiel den Regisseuren auf, weil er nicht nur gut aussah, sondern auch im Sattel blieb, während andere schon den Abgang machten.
Der große Erfolg der westdeutschen Karl-May-Filme war der DDR ein Dorn im Auge. Um den Winnetou-Filmen Konkurrenz zu machen, begann die DEFA noch in den 1960er-Jahren ebenfalls Indianerfilme zu drehen. Man wollte der wirklichkeitsfernen Sentimentalität der Karl-May-Filme eine historisch-materialistische Ideologie entgegensetzen. Der "Winnetou des Ostens" wurde der junge Serbe Gojko Mitic, wenngleich er im Film nie die Figur des Winnetous spielte. Seine erste Hauptrolle bekam er 1966 als Häuptling Tokei-ihto in "Die Söhne der Großen Bärin".
Gojko Mitic wurde ebenso wie Pierre Brice zur Kultfigur für die nicht wenigen Indianerfans in der DDR. Und ebenso wie Brice gelang es Mitic kaum, sein Indianer-Image loszuwerden Er trat als Sänger auf, schrieb Drehbücher und arbeitete als Regisseur und Moderator ("Ein Kessel Buntes"), doch wollten alle immer nur den Indianer. Und weil das "nicht die schlechteste Schublade" ist, wie Mitic meint, zog er auch nach der Wende die Mokassins wieder an und spielte endlich den Winnetou - zwar nicht im Film, aber auf der Freilichtbühne in Bad Segeberg. 1992 übernahm er vom "echten" Winnetou Pierre Brice die Rolle und spielte sie bis 2006. 2013 stand der damals 73-Jährige erneut in Bad Segeberg auf der Bühne - diesmal als Winnetous Vater Intschu-tschuna. "Einmal Indianer – immer Indianer".
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "LexiTV"26.06.2018 | 15:00 Uhr