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Heute im Osten

Krimtataren kämpfen für ihre Heimat

Ebenfalls gegen den prorussischen Präsidenten der Teilrepublik Jurij Meschkow auf die Seite der Ukraine schlugen sich 1994 auch die aus der stalinschen Deportation zurückgekehrten Krimtataren, die zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen und eine immer größere Rolle spielten. Ihre Überlegungen sind leicht nachvollziehbar. Erstens stand für sie der ethnische Georgier Stalin als Inkarnation für die "russische" Deportation des Volkes 1944. Und zweitens errechneten sie sich in der im Vergleich zu Russland politisch und wirtschaftlich schwächeren Ukraine bessere Chancen aus, einen eigenen Staat zu gründen (die Absichten sind bis heute nicht aufgegeben worden).

Krimtataren als Verbündete Kiews

Nach dem Anschluss der Krim an die Russische Föderation wurden große Teile der Krimtataren, angeführt von Medschlis, ihrer Volksvertretung, zu ukrainischen Verbündeten auf der Halbinsel. Ihre politischen Aktivitäten werden allerdings Tag für Tag geringer, zumal sie unter permanentem Druck der neuen Machthaber stehen.

"Unsere Leute leben jetzt in Erwartung und Hoffnung", sagte der stellvertretende Leiter der Medschlis, Achtem Tschijgos, "aber diese sollten von der Ukraine abgefordert werden, und als Reaktion erwarten wir, dass ukrainische Behörden zu Taten schreiten, die unsere Beziehung bekunden und stärken. Was den Widerstand der Krimtataren anbelangt, muss man verstehen, dass wir wieder nach Hause zurückgekehrt sind und dafür schon einen sehr hohen Preis bezahlt haben."

Gewaltfreier Widerstand

Angesprochen auf die Ukraine, die von den Krimtataren zweifellos eine aktivere Rolle gegenüber dem russischen Establishment erwartet, fügt Achtem Tschijgos hinzu: "Wir haben gegen niemanden irgendwelche Vorwürfe erhoben, als unser Volk in der Deportation starb ... Wir konnten ohne jede Hilfe von den Knien aufstehen und nach Hause kommen, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben wir unsere Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine bekannt gegeben. Zur gleichen Zeit sagte unser nationaler Führer Mustafa Dschemiljow (Held der Krimtataren und Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, dem Russland die Einreise auf die Krim verweigert – Anm. d. Autor), dass unser Widerstand gewaltfrei bleibt und dass wir uns immer im Rahmen der internationalen Regeln und Normen bewegen werden. Wir sind nicht bereit, unter russischer Besatzung zu existieren, aber wir sind bereit, in unserer Heimat zu leben."

Solche Einstellungen würden von der Mehrheit der Krimtataren, die Medschlis unterstützen, geteilt, ist die ukrainische Journalistin Kateryna Sergazkova überzeugt: "Aber zu erwarten, dass sie einen Aufstand anzetteln und die Halbinsel in die Ukraine führen, gehört dem Reich der Fantasie an." Die krimtatarische Aktivistin Gulnara Ametova bleibt auch bodenständig: "Den Menschen muss jetzt aktiv geholfen werden, viele drängende Probleme zu lösen, und das ist schwieriger, als dem Populismus zu frönen."

BiografieViktor Timtschenko, geboren 1953, studierte in Kiew Journalistik. 1990 siedelte er nach Deutschland über und arbeitete als Redakteur der ersten unabhängigen Zeitung der DDR, "DAZ". Von 2000 bis 2005 war er Redakteur der Deutschen Welle in Köln. Seither lebt Timtschenko als freier Journalist und Autor in Leipzig. 2009 veröffentlichte er sein Buch "Ukraine. Einblicke in den neuen Osten Europas".