Fünf Jahre nach EuromaidanDie Ungewissheit der Angehörigen
Fünf Jahre nach den Todesschüssen auf Maidan-Aktivisten warten viele Betroffene auf Ergebnisse - darunter auch Natalija Boikiw, die ihren Mann verloren hat. Die Aufklärung kommt nur stockend voran. Bei den Ausschreitungen 2014 starben mehr als 100 Menschen.
18. Februar 2014: Es ist der Tag, an dem Natalijas Mann Wolodymyr starb. Der Unabhängigkeitsplatz war ein Trümmerfeld. Der Rückzugsort der Aktivisten brannte. Natalija war damals zu Hause, verfolgte die Ereignisse auf dem Maidan im Fernsehen. Als sie die Bilder sah, versuchte sie ihren Mann zu überreden, nach Hause zu kommen.
"Ich habe ihn zum letzten Mal um zehn Uhr abends angerufen und gebeten, diesen gefährlichen Ort zu verlassen. Er sagte, er könne das nicht machen, er müsse dort bleiben. Leider waren das seine letzten Worte. Danach wurde er von einer Kugel getötet".
Fotos entlang der neu-benannten "Allee der Helden der Himmlischen Hundertschaft" erinnern heute an die vielen Opfer - auch an Wolodymyr.
Die Situation auf dem Maidan eskaliert
Wolodymyr ist einer von Dutzenden Menschen, die in der Zeit zwischen dem 18. und 20. Februar 2014 erschossen wurden. Insgesamt forderte die Revolution in der Ukraine mehr als 100 Tote - auf Seiten der Demonstranten, die mit Steinen und Brandsätzen kämpften sowie bei den Spezialkräften der Polizei.
Was als friedliche Proteste gegen die Regierung und für einen pro-europäischen Kurs der Ukraine im November 2013 begonnen hatte, endete im Februar 2014 in nackter Gewalt.
Hunderte Opfer, zwei verurteilte Täter in Haft
Der Mörder von Natalijas Mann ist bis heute nicht ermittelt. "Das ist einer der Fälle, bei denen der Ausgang noch sehr unklar ist. Wir können nicht einmal sagen, wann ein Gerichtsurteil zu erwarten ist", so Pawlo Dykan. Er ist einer von zehn Anwälten, die mehr als 200 Opfer vor Gericht vertreten. Die Aufklärung hakt, wie bei den meisten Maidan-Prozessen.
"Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Beamte und einfache Ausführende des Janukowitsch-Regimes, die Verbrechen gegen Protestierende begangen hatten, geht mittlerweile schon in die Hunderte. Zu einer Anklage kam es jedoch in nur wenigen Fällen – in vierzig bis fünfzig. Urteile gibt es nicht viele. Zu realen Haftstrafen sind bisher nur zwei Täter verurteilt worden", so der 54-jährige Anwalt
Seit dem ersten Tag der Demonstrationen beschäftigt sich Dykan mit Maidan-Fällen und beklagt vor allem eine fehlende Justizreformen im Land und Einflussnahme auf die Prozesse: "Das Hauptproblem ist, dass die Strafprozessordnung in der Ukraine nicht angemessen reformiert wurde. Auch die Reform des Strafverfolgungssystems ist meiner Meinung nach nicht zu Ende geführt. Zudem wurde keine vollständige Unabhängigkeit von Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern erreicht. Wir können nicht sagen, dass unser Strafverfolgungssystem unabhängig ist. Es gibt Anzeichen der Einmischung in die Arbeit aller an den Strafermittlungen beteiligten Behörden", so Dykan.
Doch Anwalt Dykan macht auch auf Erfolge aufmerksam: "Heute wissen wir, auf welche Weise die Verbrechen begangen wurden. In dieser Hinsicht waren die Ermittlungen recht effizient. Das größte Versäumnis ist allerdings, dass praktisch niemand bestraft wurde." Doch die könne man noch immer kriegen, betont der Anwalt und verweist bei Prozessen gegen hochrangige Politiker auf den geflüchteten Ex-Präsidenten der Ukraine Viktor Janukowitsch, der - wenn auch wegen Hochverrats - kürzlich verurteilt wurde.
Langwierige Prozesse
Natalija, die ihren Mann Wolodymyr verloren hat, engagiert sich in einem Museum für die Opfer der Revolution und hilft Betroffenen bei rechtlichen Fragen. Sie kennt die Probleme bei der Suche nach den Tätern:
"Pro Gerichts-Sitzung kann man nur zwei, maximal drei Zeugen befragen. Deshalb dauert es so lange. Ich möchte natürlich, dass es kompakter und schneller geht. Zweitens versuchen die Anwälte der Polizisten den Prozess zu verschleppen - durch angebliche Krankheiten, irgendwelche Einreichungen. Das ärgert mich am meisten." Für Natalija ist es schwer, damit umzugehen. Sie macht verschleppte Prozesse, fehlende Reformen und veraltete Strukturen dafür verantwortlich.
Ihre Arbeit im Museum und mit anderen Betroffenen hilft ihr dabei, die Vergangenheit zu bewältigen. Mit ihrer Organisation will sie den Verlauf der Ermittlungen weiter kontrollieren und das Gedenken an die Angehörigen aufrechterhalten. Noch hat Natalija Hoffnung, dass der Tod ihres Mannes aufgeklärt wird - auch wenn es ihn nicht mehr zurückbringt.
me
Über dieses Thema berichtet MDR Aktuell im TV:MDR | 15.02.2019 | 17:45 Uhr