Schatzkammern der MuseenWie die Arbeit der Museen in ihren Depots aussieht
Was passiert im Museum, wenn geschlossen ist, beispielsweise jetzt im Corona-Lockdown? Endlich Arbeit im Depot, sagen viele Museumsleute. Denn dort lagern die Schätze, die für Ausstellungen ans Licht geholt werden. Sicher und wohltemperiert im besten Fall. Die Schätze zu bewahren, ist eine der vornehmsten Aufgaben. Wie Museen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen ihr nachkommen können, haben wir nachgefragt. Fest steht: Angesichts immer weiter wachsender Sammlungen bleibt die Depot-Frage neben der Digitalisierung das Dauerthema.
Abgeriegelt auf einem ehemaligen Militärkomplex am Stadtrand von Halle befindet sich das Zentraldepot des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Der Ort, aus dem das Museum für Vorgeschichte Halle seine Schätze für die großen Ausstellungen holt, verströmt nicht so viel Glanz wie die weltberühmte Himmelsscheibe, die das Haus berühmt machte. Den Archäologen Veit Dresely begeistert dafür die Vielfalt der Artefakte, die ohne gute Logistik nicht zu überblicken wäre. Ein modernes Inventarisierungs- und Datenbanksystem, das erst nach dem Hochwasser 2013 eingeführt wurde, hilft, sich zu orientieren in einer der größten europäischen Sammlungen für archäologisches Fundgut: "Nach 200 Jahren weiß keiner mehr, wieviele Stücke wir haben. Wir gehen von 16 Millionen Fundkomplexen aus." Gelagert werden die mit Barcode versehenen Objekte nach Material, Gewichtsklasse und Größenordnung in drei mehrgeschossigen Lagerhallen, deren Regalmeter kämen aneinandergereiht auf 20 Kilometer Länge.
Sachsen-Anhalt: Funde zum Gruseln und Staunen
Da stehen beispielsweise hunderte ähnlich aussehende Keramiktöpfe, die erst beeindrucken, wenn der Abteilungsleiter eins der Tongefäße herausgreift und sagt: "Dieser Krug ist 7.000 Jahre alt." Im Schwerlastbereich schlummern Reste aus Tagebaugebieten, die sich zurückdatieren lassen bis ins Pleistozän, als es in der Gegend eine Megafauna und auch sehr große Tiere, etwa Mammuts und Waldelefanten, gab. Sogar Menschenknochen werden im Zentraldepot unter besonderen klimatischen Bedingungen gelagert.
Nicht gruselig, sondern spannend, findet das Dresely. Denn die Skelette seien eine hoch interessante historische Quelle. Richtig nutzen lasse sie sich aber erst seit 15 Jahren, seit es die Möglichkeit gibt, auch die darin schlummernde DNA zu untersuchen: "Das wäre nicht möglich, wenn wir die Proben nicht hätten. So können wir rekonstruieren, wie Wanderungsbewegungen und Bevölkerungsverschiebungen in den letzten Jahrtausenden abliefen", erklärt Dresely weiter. Das Material liege eingeschlossen in den Funden, im Depot als Museumsschatz.
"Der Leidensdruck ist hoch"
Doch die schiere Masse der sich immer weiter vergrößernden Sammlungen stellt neben der Digitalisierung die zweite große Herausforderung dar. "Es wird gebaut", kommentiert Susanne Kopp-Sievers als Geschäftsführerin des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt. Aber primär zur Instandsetzung bestehender Museumsgebäude. Ein von der Landesregierung 2016/2017 aufgelegtes Programm habe neue Förderwege eröffnet, etwa für das Museum Schloss Bernburg oder das Filmmuseum Wolfen. Es ziele darauf, die baulichen Voraussetzungen für Ausstellungen zu verbessern und damit die kulturelle und touristische Nutzung der Häuser. Wie in Bernburg werde auch im Bördemuseum Burg Ummendorf eine neue Dauerausstellung geplant. In diesem Zusammenhang gebe es neue Möglichkeiten für das Archiv, teilweise für das Depot. Auch werde der gesamte Gebäudekomplex des Jahn-Museums in Freyburg saniert, dabei entstehe ein kleiner Neubau für Service und Depot.
Kreativ zeigte sich zuletzt das Kunstmuseum Moritzburg Halle, 2017 wurde der Kuppelsaal zum provisorischen Depot für die Sammlung Kunsthandwerk und Design umfunktioniert. Die Bestände waren 20 Jahre lang nur schwer zugänglich – sowohl für den Leihverkehr als auch für die Arbeit vor Ort. So wurde der mit etwa 6.000 Objekten größte Teil des Bestandes sichtbar gemacht. Um bekannte und verborgene Schätze auch künftig bewahren und erforschen zu können, brauche man absehbar dennoch mehr Platz, heißt es auf Nachfrage. Derzeit sei die Finanzierbarkeit eines neuen Depotgebäudes in Prüfung.
Mit Blick auf die Museen im Land sagt Verbandsgeschäftsführerin Kopp-Sievers: "Der Leidensdruck ist sehr hoch." Um voranzukommen, bedürfe es aber der Anstrengungen vieler. Viel Geld würde ausgegeben für die immer wichtiger werdende Digitalisierung, man brauche aber auch welches für den Erhalt der Objekte:
Was wir uns schon seit Jahrzehnten wünschen, ist eine bundesweite Initiative zum Thema Depot.
Susanne Kopp-Sievers, Museumsverband Sachsen-Anhalt
Thüringen: Tiere unterm Dach
Nicht weit draußen in großen Hallen, sondern unterm Dach lagern die Schätze des Naturkundemuseums Gera. "Wir sind ein Archiv für die Biodiversität des gesamten Ostthüringer Raums", erklärt der Zoologe René Köhler auf dem Weg nach oben. Seit Anfang des Jahres leitet er das Museum, das untergebracht ist im Schreiberschen Haus. Das älteste Wohngebäude der Altstadt wurde 1984 das letzte Mal in größerem Stil saniert. So muss nicht nur in den Ausstellungsräumen einiges getan werden. Die Objekte im Depot sind mittlerweile ernsthaft in Gefahr, weil das historische Gebälk undicht ist und beispielsweise die Insektensammlung durch Mottenfraß bedroht.
Köhler öffnet einen Schrank und zieht eine der vielen Schubladen: Borkenkäfer in Massen, über 60 Arten: "Große, kleine, sehr akkurat gesteckt. Egal, wie alt die Leute sind, die machen das einfach perfekt." Die Borkenkäfer stammen aus dem Nachlass eines Sammlers aus der Region. Köhler findet es wichtig, auch solche Objekte für die Nachwelt zu erhalten. Denn an ihnen könne man ablesen, wie sich die Landschaft durch den Menschen verändere. So zeigten die größer werdenden Flügeln von Heuschrecken, dass ihre Futterplätze weniger würden und sie deshalb längere Strecken zurücklegen müssten.
Aber nicht nur die lebenden Eindringlinge machen den Präparaten zu schaffen, der undichte Dachstuhl und die altersschwachen Heizungen sorgen für große Temperaturschwankungen. Abgesehen davon seien die Sammlungen unter dem historischen Gebälk eine enorme Brandlast und der Boden nicht zu sehr belastbar, warnt Köhler: "Wir sollten hier nicht hüpfen. Die Schränke sind da schon an der Grenze dessen, was der hergibt." Einige mussten deswegen bereits ausgemustert und durch Regale ersetzt werden, in denen Präparate nun schutzlos stehen. Die Stadt Gera kennt die Probleme, 2021 sollen im Rahmen eines Entwicklungskonzepts Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Die Kommune ist chronisch pleite, und die Corona-Krise wird die finanzielle Situation noch verschärfen.
"Es braucht langen Atem"
Der Freistaat weiß um die Depotfrage, wie Elke Harjes-Ecker von der Thüringer Staatskanzlei versichert. Das Land, das sich akut mit den corona-bedingten Soforthilfen für die Museen beschäftigt, empfiehlt bereits in der "Museumsperspektive 2025", "interkommunale und trägerübergreifende Depotlösungen zu entwickeln", die für kleine Museen wie das Naturkundemuseum nicht gleich in Frage kommen. Der Verband stellt dazu fest, Zentraldepots müssten regional praktikabel sein und dürften nicht zur Grundvoraussetzung einer Förderung werden. Es brauche größere finanzielle Anstrengungen.
Gestemmt wurden mit Landeshilfe in den vergangenen Jahren Großprojekte wie das Perthes-Forum in Gotha als Zentraldepot der Stiftung Schloss Friedenstein. Auch dort lagerten Teile der Sammlungen zuvor in Schulen oder unterm Dach. Komplett gefördert worden sei aber auch das neue Zentraldepot für die Städtischen Museen Mühlhausen, wie Harjes-Ecker erklärt. In Altenburg, wo im Moment das Lindenau-Museum mit Bundeshilfe für 48 Millionen Euro saniert werde, entstehe ein Depot mit Restaurierungswerkstatt im Marstall am Rande des Schlossparks, die auch vom Schlossmuseum mitgenutzt werden solle. Denn auch daran mangele es. Insgesamt gesehen wolle man zu Kompetenzzentren kommen. Für Anfang nächsten Jahres sei ein neues Bestandserhaltungskonzept geplant, das erstmal auf Schriftgut oder Grafiken ziele.
Das Land könne nicht überall und zu 100 Prozent in die Finanzierung von Depots einsteigen. So wie derzeit in Südthüringen versuche man aber auch, Lösungen zu moderieren, etwa dass Kloster Veßra und Schloss Berholdsburg gemeinsam ein Objekt anmieteten oder ankauften. Es brauche langen Atem, so Harjes-Ecker.
Sachsen: Trachten, trocken und dunkel
Im Sorbischen Museum Bautzen wird bereits gepackt. Weniger als zehn Prozent der Sammlungen können gezeigt werden, schätzt Andrea Paulik, Kuratorin für Kulturgeschichte und Literatur. Das habe konzeptionelle, aber auch konservatorische Gründe. Die historischen Trachten beispielsweise seien sehr sensible Stücke. Selbst im Depot sei die sachgerechte Aufbewahrung höchst anspruchsvoll: "Trocken, dunkel, möglichst in säurefreiem Papier, locker liegend und ausgefüttert gelagert", so fasst Paulik die optimalen Bedingungen zusammen. Das brauche viel Platz, der kaum noch in dem Maße vorhanden sei. Glücklicherweise stehe der Umzug großer Teile der Museumssammlung ins neue Zentraldepot in Bautzen an. Gebaut werden konnte es als gemeinsames Förderprojekt des Museumsträgers, des Landkreises Bautzen, und des Kulturraumes Oberlausitz-Niederschlesien und mit Hilfe von Landesmitteln. Weitere Einrichtungen des Landkreises wie etwa das Museum der Westlausitz in Kamenz nutzten das Depot künftig mit.
Dass Depots keine Abstellkammern sind, sondern eine komplexe Aufgabe, dafür seien viele Museumsträger in Sachsen inzwischen sensibilisiert: Lagerungen auf ungedämmten Dachböden, wasserführende Rohre über Sammlungsregalen, Fenster ohne Verdunklung, mangelnder Brandschutz und fehlende Sicherheitsvorkehrungen, gehörten glücklicherweise immer mehr der Vergangenheit an", sagt Katja Mieth von der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen. Inzwischen sei meist klar, das Kulturgut brauche es nicht kuschlig, Wärme locke nur Museumsschädlinge wie Kleidermotte oder Teppichkäfer.
Nötig sei nicht immer gleich eine teure Klimaanlage. Wichtig sei es, vor der Nutzung bestehender Gebäude mit einem erfahrenen Bauphysiker die Gegebenheiten zu untersuchen und mit einfacheren Mitteln für ein gleichmäßiges Raumklima ohne extreme Schwankungen bei Temperatur oder Luftfeuchte zu sorgen. Auch Arbeitsmöglichkeiten in der Nähe seien wichtig. Die Landesstelle biete ihr Know How zur Beratung an.
Museen sind auch Treuhänder. Der Auftrag lautet, das materielle Kulturerbe für kommende Generationen zu bewahren. Die Bedingungen, die in den Magazinen oder Depots herrschen, sind da natürlich besonders wichtig, weil es ja zur Aufgabe gehört, die Dinge in möglichst gutem Zustand zu übergeben.
Katja Mieth | Direktorin Landesstelle für Museumswesen Sachsen
Nachhaltig bauen und einlagern, Objekte aber auch zeigen
Für Kommunen sei die Spanne zwischen den Anforderungen und Möglichkeiten für bauliche Investitionen sehr groß, sagt Mieth. So helfe das Land, Projekte zu realisieren. Beispielhaft sei die denkmalgerechte Sanierung der Energiefabrik Knappenrode, die Mitte Oktober eröffnete, mit Landes- und Bundesmitteln durch den Landkreis Bautzen. Entstanden sei dabei auch ein "Warmhaus", das Ausstellungsfläche, Mitarbeiterbüros und ein Magazin mit moderner Kompaktanlage unter einem Dach vereine. Auch andere Kommunen in Sachsen investierten, wie Mieth erläutert. Gute Lösungen seien so in Görlitz, Großenhain oder Schwarzenberg gefunden worden. In Zittau würde die provisorische Einlagerung beendet und ein historisches Gebäude in Museumsnähe erschlossen. Das Stadtmuseum Pirna habe seine Bestände in einem Zentraldepot zusammengeführt, mit einem besonderen Raum zur Sammlungsbearbeitung und Präsentation. Das Textil- und Rennsportmuseum in Hohenstein-Ernstthal lasse seine Besucher nun sogar Einblick nehmen über ein Schaufenster ins Depot.
Pro und Contra Zentraldepot in Dresden und Chemnitz
Auch für große Museen wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) bleibt die Depot-Frage ein Dauerthema. Nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 mussten die unterirdischen, elbnahen Lagerstätten geräumt werden. In der Überdachung des Albertinums entstanden hervorragende Werkstatträume mit Nordlicht und modern eingerichtete Gemäldedepots. Die reichen natürlich nicht für die Bestände aller 15 SKD-Museen. Als besonders prekär gilt die Situation für einzelne Sammlungen wie z. B. das Kunstgewerbemuseum in Pillnitz, das nur im Sommer öffnet und im Winter den ganzen Bestand magazinieren muss.
Bedarf für ein neues SKD-Zentraldepot wurde angemeldet. Die Standortfrage sei noch offen und müsse politisch geklärt werden, betonte Generaldirektorin Marion Ackermann unlängst: "Natürlich könnte man sagen, aus pragmatisch-praktischen Gründen wäre es einfacher, ein Depot vor der Haustür zu haben. Ich weiß nicht, ob es in Dresden diese Orte (dafür) noch gibt. Wenn es Schloss Hubertusburg wäre, dann würden wir das auch unbedingt nutzen wollen, um damit ein Motor für die Region zu sein." Das riesige, weitgehend leer stehende Areal in Wermsdorf, rund 80 Kilometer von Dresden entfernt, war unter August III. Jagdresidenz und Ort großer höfischer Feste. SKD-Sonderausstellungen brachten das Schloss wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein. Ein Magazin mit Schaudepot würde aus SKD-Sicht das kulturelle Angebot in der Region bereichern.
Auch in Leipzig wird über ein neues Zentraldepot diskutiert. Das Chemnitzer Schlossbergmuseum sucht vor allem für seine ständig wachsende stadtgeschichtliche Abteilung eine Perspektive. Eine sammlungsnahe Lösung favorisieren auch die Staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz auf der Suche nach mehr Raum. Das Haus am Theaterplatz sei bereits vor 100 Jahren gebaut worden, betont Generaldirektor Frédéric Bußmann. In dieser Zeit sei der Umfang in allen Bereichen, ob nun Malerei, Grafik, Plastik, Kunsthandwerk oder Textil enorm gewachsen. Flächen, die ursprünglich für Ausstellungen vorgesehen waren, würden bereits als Depot benutzt.
Bußmann räumt ein, dass Zentraldepots Kosten sparen könnten. Der Nachteil sei, dass die Objekte immer wieder bewegt werden müssten, was aus konservatorischen und sicherheitstechnischen Gründen zum Problem werden könnte. Bußmann würde die Depotfrage gerne im größeren Rahmen der Entwicklung eines Kulturquartiers in der urbanen Mitte angehen. Diskutiert werde im Augenblick über einen Neubau fürs Theater: "Das wäre eine wunderbare Gelegenheit, über einen Erweiterungsbau der Kunstsammlungen nachzudenken, das heißt: angemessene Sonderausstellungsräume und genügend Depotfläche für die nächsten 100 Jahre."
Ganz neu sind diese Pläne nicht. Schon Bußmanns Vorgängerin Ingrid Mössinger klagte über Platzmangel im Haus. Sie hatte bereits Kontakt zum Schweizer Architekten Mario Botta aufgenommen, der ein Modell für einen Erweiterungsbau vorlegte. Auch in Chemnitz stehen die politischen Entscheidungen noch aus.
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Spezial "Museumsschätze in Mitteldeutschland" | 17. November 2020 | 18:05 Uhr