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Vor Stefan Schmidtke und seinem Team liegt eine spannende Zeit: Er bereitet die Stadt Chemnitz auf das Kulturhauptstadt Jahr 2025 vor. Bildrechte: Philipp Köhler

Kulturmanager Stefan Schmidtke im GesprächChemnitz: Das Kulturhauptstadtjahr 2025 rückt Fragen des Zusammenlebens in den Fokus

10. Januar 2022, 04:00 Uhr

Chemnitz wird 2025 die vierte europäische Kulturhauptstadt aus Deutschland sein. Seit dem 1. Dezember 2021 ist Stefan Schmidtke Leiter der Kulturhauptstadt GmbH in Chemnitz. Er möchte in diesem Rahmen Menschen zusammenbringen, Verbindungen schaffen. Auf welche Projekte der aus Döbeln stammende Kulturmanager sich besonders freut und warum er sich als "Weiter-Leiter" versteht, hat er im Radiogespräch bei MDR KULTUR trifft erzählt.

MDR KULTUR: Ihnen ist die Stadt Chemnitz schon aus der Kindheit vertraut. Sie waren lange weg, zuletzt in Düsseldorf. Was haben Sie Unbekanntes entdeckt, seit Sie nach Chemnitz zurückgekehrt sind?

Stefan Schmidtke: Ich bin erst sehr kurz da und habe so Tagesimpressionen. Die beginnen bei mir da, wo ich wohne. Am Sonnenberg im Haineck, wo man sich nachts um eins noch einen Döner holen kann und man anfängt, mit irgendwelchen Leuten zu reden, die da warten und zu fragen: Wie findet ihr denn eigentlich Kulturhauptstadt? Von Schulterzucken bis "Finden wir super", gibt es da alles.

Es gibt unglaublich skurrile Begegnungen. Als ich das erste Mal nach Chemnitz gekommen bin, bin ich durch Zufall in einer Galerie gelandet, wo die gesamte Kunstszene versammelt war. Die wussten noch gar nicht, dass ich dort anfange zu arbeiten, weil die Bekanntgabe erst am nächsten Morgen war. Ich habe mit allen geredet, mich unglaublich wohlgefühlt und gedacht: Wow, ein Glück, dass ich mich dafür entschieden habe. Die Leute sind einfach sehr aufgeschlossen. Vielleicht nicht so wahnsinnig redegewandt, würde ich mal sagen, aber immer auf den Punkt.

Die Bilder, mit denen Chemnitz bisher zu großer medialer Aufmerksamkeit gefunden hat, zeigen, dass es kein einfaches Umfeld ist. Wir leben in einer Zeit, in der viele von gesellschaftlicher Spaltung reden, wo es Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten gibt. Auch aus Chemnitz haben uns solche Bilder erreicht. Was bedeutet dieser Kontext für Ihre Arbeit?

Ja, der Kontext ist der Ursprung der Bewerbung, um es deutlich zu sagen. Dass eine Stadt und die Zivilgesellschaft so überfahren wird – da hat das Konzert "Wir sind mehr" gezeigt, dass die Zivilgesellschaft überhaupt nicht bereit ist, so etwas zu akzeptieren. Ich bin lange unterwegs gewesen und war zu dieser Zeit nicht in Chemnitz. Aber die Leute wussten schon, dass ich aus Sachsen bin, und ich musste mir viel anhören. Das war auch ein wichtiger Punkt, nach Chemnitz zu gehen.

Letzten Endes ist die Kunst und die Kultur ein Raum, der dazu da ist, um verschiedene Verspannungen, Versperrungen und politische Konflikte mit anderen Mitteln anzugehen und aufzulösen. Als Kunst und Kultur sind wir in erster Linie Zivilgesellschaft. Was wir mit der Politik teilen, ist Öffentlichkeit. Wir sind aber nicht Politik. Wir sind eine andere Sprache und wir wollen den Menschen helfen, dass die Zivilgesellschaft in unserem Land einen großen Raum einnimmt, um ganz viele Konflikte selbst zu lösen.

Das "Bid Book" ist ein dickes Ideenwerk, das Grundlage zur Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2025 war und inzwischen Grundlage ihrer Arbeit ist. Wollen Sie daraus konkrete Projekte entwickeln, die diese Themenlagen direkt adressieren? Oder sind Sie woanders unterwegs und stellen sozusagen Ideen zur Seite?

Ich suche da nichts aus, ich bin der "Weiter-Leiter". Wir haben 72 großartige Ideen im Buch und alle 72 Ideen werden entwickelt. Ich gehöre zu den beharrlichen Leuten, die sagen: Wenn der Weg eins nicht geht, dann nehmen wir den Weg zwei. Und wenn der Weg zwei nicht geht, dann versuchen wir einen Weg drei. Meine Aufgabe ist es immer, die Augen aufs Ziel zu richten und Arme und Beine gelenkig zu halten.

In welche Richtung gehen die Ideen? Haben Sie den Eindruck, das sind viele Projekte, die direkt politische und gesellschaftliche Fragen adressieren?

Die Chemnitzer Stadtgeschichte ist vor allem von Textilverarbeitung geprägt- Bildrechte: CWE Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH

Fragen des Zusammenlebens! Und die Macher werden selbst auswählen, ob sie die politisch oder ästhetisch ausformen. Wir haben Projekte, die Stadtgrenzen überschreiten. Wir haben Projekte, die Garagen aufmachen, sozusagen das Private ins Öffentliche bewegen. Wir haben Projekte in 34 Gemeinden um Chemnitz herum, die Kunst ins Land bringen und Menschen ins Verhältnis zu Kunst setzen will. Die Macher, die dort Industrie geschöpft haben und wo aus der Industrie auch Kunst entstanden ist.

In Chemnitz freut man sich auf das Kulturhauptstadtjahr 2025. 72 Projekte sieht das sogenannte "Bid Book" vor, mit dem sich Chemnitz damals beworben hat, um Kulturhauptstadt zu werden. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Das Geheimnis heißt "C the Unseen": Kommt uns besuchen, schaut, wer wir sind. Ich gehe davon aus, dass das "Bid Book" ungefähr 80 Prozent des Programms sind. Wir bilden ein Team, was noch 20 Prozent mehr Programm entwickelt, aus dem, was uns einfällt und was als Initiative kommt. Wir laden Menschen ein, die mit den Chemnitzerinnen und Chemnitzern ihre Ideen entwickeln.

Die konkrete Kulturarbeit fängt auch schon an. In den nächsten Monaten und dann bis in den Sommer nächsten Jahres soll schon etwas sichtbar werden. Erste Projekte laufen bereits unter der Überschrift "Kulturhauptstadt Europas". Was sind das für Projekte?

Im Projekt "We Parapom!" pflanzen wir im Frühjahr und im Herbst 4000 Apfelbäume quer durch die Stadt und verbinden damit Menschen und Regionen. Wir wollen die Friedensfahrt wieder auflegen mit dem neuen Titel "European Peace-Ride". Die soll im September als Probe-Start vollzogen werden. Ich bin heilfroh, weil Sport verbindet. Die Menschen halten in Orten an, reden mit anderen Menschen. Da geht es nicht um das Fahrradfahren, sondern um das Anhalten an der Strecke und das mit Leuten in Verbindung kommen.

Die Kultur soll nicht nur in den engen Stadtgrenzen bleiben, sondern auch in die Umgebung strahlen. Bildrechte: imago images/Rainer Weisflog

Wir wollen ein kleines Festival machen. Das heißt "Makers United", also die Macher vereinigen sich. Dabei geht es um Macherinnen und Macher aus aller Welt, die sich mit Holz, mit Werkstoffen beschäftigen, die tolle Technologien erfinden, die sich austauschen können. Also Kunst greift zusammen mit Technologie. Ganz im klassischen "Maker-Stil": selbst gelernt, selbst gemacht, erfunden für die Welt. Das ist im Zentrum des Jahres unser Ausblick auf die Perspektiven des Kulturjahres 2025.

Das Interview führte Moderatorin Ellen Schweda für MDR KULTUR.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. Januar 2022 | 11:00 Uhr