BerlinaleAndreas Dresen: Hilde Coppi zeigte Haltung auf sanfte Art
Der neue Film von Regisseur Andreas Dresen: "In Liebe, eure Hilde" läuft bei der Berlinale im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Es ist das erste Mal, dass sich Dresen filmisch einem Thema aus der NS-Zeit widmet. Hilde Coppi und ihr Mann Hans gehörten zur Roten Kapelle, wie die Gestapo Gruppen verschiedene Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialsimus zusammenfassend bezeichnete. Im MDR-KULTUR-Interview erklärt Dresen, warum er gerade diese Geschichte gewählt hat.
- Der Film macht einen Spagat zwischen historischen Fakten und einer Kinoerzählung, um die Widerstandskämpfer dem Publikum nahe zu bringen.
- Liv Lisa Fries spielt Hilde, weil sie laut Andreas Dresen das "innere Leuchten" hat, dass für die Rolle benötigt wird.
- Dresen arbeitet in seinem Film die große Menschlichkeit der Widerstandskämpfer heraus.
MDR KULTUR: Es gibt unendlich viele Geschichten, die sich mit der Nazizeit und dem Widerstand auseinandersetzen. Man hat auch das Gefühl, die Geschichte von Hilde Coppi ist schon ein paar Mal erzählt worden. Was war das Spannende, darüber einen Film zu machen?
Andreas Dresen: Dass sie so eine stille Heldin ist. Sie hätte sich wahrscheinlich nie als Widerstandskämpferin bezeichnet. Sie hat in ihren Briefen immer gesagt: Sie ist so ängstlich. Also ein stiller Mensch, ein schüchterner Mensch und ein sehr anständiger Mensch. Sie hatte einen ganz feinen Kompass dafür, was richtig und was falsch ist. Das Nahbare an ihr finde ich einfach wunderschön.
MDR KULTUR: Wie nah ist das Drehbuch an der echten Hilde Coppi? Oder war es spannender, sie zu interpretieren?
Andreas Dresen: Laila Stieler, die das Drehbuch geschrieben hat, hat natürlich einen Spagat machen müssen zwischen der historischen Realität und den belegten Fakten und dem, was man natürlich bei einem Drehbuch auch beachten muss – dass es eine Kinoerzählung sein soll, die die Leute erreicht und bewegt. Es ist eine Mischung aus Fiktion und faktisch belegten Dingen. Die wesentlichen Punkte sind natürlich alle recherchiert und belegt, aber im Kern ging es auch darum, diese sogenannten Widerstandskämpfer – das klingt immer so pathetisch – den Menschen nahe zu bringen.
Deswegen fand ich es schön, als ich die Bilder von der Roten Kapelle gesehen hab, dass das junge Menschen sind: Die sitzen am Strand, die segeln, die gehen baden, die sind verliebt. Man fühlt sich als Gefährte. Diesen Blick auf diese Zeit, auf diese Menschen, den finde ich wichtig – weil dann kann man sich mit ihnen identifizieren und sich vielleicht auch selbst befragen: Wo hätte ich gestanden?
MDR KULTUR: Wie bist du auf Liv Lisa Fries für diese Rolle gekommen?
Andreas Dresen: Tatsächlich war Liv Lisa meine erste Idee für diese Besetzung. Ich habe mich auch als Erstes mit ihr getroffen, weil ich dachte, sie hat dieses Durchscheinende, dieses innere Leuchten, das ich für Hilde ganz wichtig finde. Liv selber war gar nicht der Meinung, dass sie das spielen kann, aber sie hat diese Seite. Und was ich bei Liv wunderschön finde ist, dass man bei ihr hinter dem Gesicht die Seele sehen kann. Deswegen hat mir das die Möglichkeit gegeben, sehr lange Einstellungen zu machen und ihr zuzuschauen und den Zuschauer einsteigen zu lassen in diesen Charakter und das Seelenleben dieser Figur.
MDR KULTUR: Es gibt eine Szene, in der der Richter sie fragt, wieso sie sich von ihrem Mann zum Hochverrat hat anstiften lassen. Und sie sagt: Weil ich meinen Mann liebe. Was steckt in diesen Worten?
Andreas Dresen: Tatsächlich sind diese Worte im Gerichtsprotokoll belegt. Und das hat sowohl Laila Stieler als auch mich total berührt: dass sie auch keine Anstalten macht, sich in irgendeiner Form zu verteidigen, sondern sie benennt den Grund. Der Grund für all das, was sie getan hat, ist Loyalität – erstmal gegenüber ihrem Mann, aber auch gegenüber sich selbst: Sie war sich sicher, dass das, was sie da tut, richtig ist in einem menschlichen Sinne und auch in einem politischen Sinne.
Ich mag diese Gerichtsszene auch deshalb sehr. Auch der Richter, der ist ja nicht laut in der Szene, der ist kein Freisler (Anmerkung: Roland Freisler, bekannter Strafrichter des NS-Regimes), der da rumschreit. Sondern er will ihr ja scheinbar noch eine Brücke bauen. Und sie sagt: Nee, die kann ich nicht gehen. Jemand zeigt Haltung auf eine ganz sanfte Art.
Das Interview führte Yara Hoffmann für artour - das Kulturmagazin des MDR
Redaktionelle Bearbeitung: JB
Weitere Kulturmeldungen
- Magdeburg: Zentrum Kulturgutverluste zieht nach 10 Jahren positive Bilanz mit Video
- DDR-Star: Schauspielerin Christel Bodenstein gestorben mit Audio
- Community Art Center in Suhl: Kunst machen statt Meckern mit Audio
- Premiere in Weimar: Doppelter "Faust", nur halb gelungen mit Video
- Kunst mit Puppe: Theater in Halle holt Caspar David Friedrich auf die Bühne mit Audio
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 22. Februar 2024 | 22:10 Uhr