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Alternatives FleischNicht vegan, nicht vegetarisch: Fleisch aus dem Bioreaktor

06. Mai 2024, 14:43 Uhr

Neben pflanzenbasiertem Fleischersatz setzt die Nahrungsmittelindustrie verstärkt auf Fleisch aus dem Bioreaktor. Wiesenhof investiert kräftig in diese Technologie. Ein deutsches Start-up meldete Wurst für Hot Dogs bei der EU-Zulassungsbehörde an. In anderen Ländern ist Laborfleisch bereits im Handel. Wie funktioniert die Technologie? Wann kommt kultiviertes Fleisch in deutsche Supermärkte?

Wiesenhof kooperiert mit Pionier für In-Vitro-Rindfleisch

Mitte April informierte das deutsche Unternehmen PHW/Wiesenhof, sich mit einer Millionensumme an der niederländischen Firma Mosa Meat zu beteiligen. Auf den ersten Blick stellt sich die Frage, weshalb Wiesenhof als Spezialist für Geflügel und pflanzenbasierte Ersatzprodukte bei einer Firma einsteigt, die das künstliche Rindfleisch erfunden hat. Mosa Meat stellte 2013 den ersten Hackfleisch-Burger aus dem Labor vor, Stückpreis damals etwa 300.000 Dollar.

Mark Post von der Uni Maastricht stellte 2013 den ersten Burger mit im Labor gezüchtetem Rindfleisch vor. Bildrechte: Mosa Meat

Es geht um im Bioreaktor gezüchtetes sogenanntes kultiviertes Fleisch. Dabei werden aus Stammzellen gewachsene Muskelfasern mit ebenso gezüchteten Fettzellen gemischt und gewürzt. Dieses auch Clean Meat genannte Fleisch erreicht jedoch bislang nicht die übliche Fleischstruktur und wird daher eher zu Hackfleisch, Nuggets oder Wurst verarbeitet. Weltweit wird geforscht, möglichst naturnahe Fleischstrukturen zu erzielen, auch mit Schweine- und Hähnchenfleisch oder Fisch.

Milliardenmarkt alternative Proteinquellen

Der Vorstand von PHW/Wiesenhof, Marcus Keitzer, sieht das Investment bei Mosa Meat als weitere strategische Partnerschaft. Er sagte MDR AKTUELL, Wiesenhof sei schon seit 2018 bei einem israelischen Start-up engagiert, das auf kultiviertes Hähnchenfleisch spezialisiert sei. Mit Mosa Meat als einem der Marktführer für In-vitro-Rindfleisch wolle man sich breiter aufstellen im Geschäftsfeld alternative Proteinquellen. Neben konventionellem Geflügelfleisch und Wurst setze Wiesenhof auch weiterhin auf vegane Produkte.

Die PHW-Gruppe beteiligt sich Keitzer zufolge damit an der zurzeit noch vergleichweise teuren Herstellung von Fleisch aus dem Fermenter. Wenn dann möglicherweise in drei oder vier Jahren In-vitro-Fleisch in den Handel komme, wolle die PHW-Gruppe zusammen mit Mosa Meat dabei sein. Keitzer zufolge ist es schwer abzuschätzen, wie lange das EU-Zulassungsverfahren für diese neuartigen Lebensmittel (Novel Foods) dauern werde. Wie sich dann der Markt entwickle, entschieden die Verbraucher. Nahrungsmittelindustrie und Investoren rechnen weltweit mit Milliardenumsätzen.

Bildrechte: Statista 2024

Wie wird In-Vitro-Fleisch hergestellt? 

Züchtung von Fleischzellen in einer Petrischale. Bildrechte: imago images/UIG

Sogenanntes kultiviertes Fleisch (auch In-Vitro-Fleisch, Laborfleisch, Reaktorfleisch, Clean meat genannt) wird aus Zellkulturen von Nutztieren im Labor hergestellt. Dabei werden Stammzellen aus Muskel- und Fettgewebe per Biopsie von lebenden Tieren entnommen und in einem Nährmedium vermehrt. Es entstehen Fasern, die auf einer Gerüstsubstanz (etwa Chinin oder Kollagen) ein Stück Fleisch bilden. Technisch kann die Zellteilung und das Wachstum beschleunigt werden. Anstatt Rinder, Schweine oder Geflügel in Großställen zu halten und dann zu schlachten, wächst das Fleisch im Bioreaktor.

Als Nährlösung für das Retortenrindfleisch setzten bislang viele Start-ups auf Kälberserum. Dazu brauchte man Herzblut aus den Föten trächtiger Kühe, Kalb und Muttertier sterben. Jedoch wird nach Alternativen aus Algen, Pilzen oder Hefen gesucht. Mosa Meat entwickelte ein patentiertes Verfahren, bei dem keine Tiere sterben müssen. Es werden zwar weiter Tiere als Stammzellspender benötigt, aber im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung deutlich weniger. Somit kann Tierleid reduziert werden.

Welche Vorteile bringt kultiviertes Fleisch?

Die Branche hofft, mit kultiviertem Fleisch den weltweit wachsenden Fleischbedarf besser decken zu können. Reaktor-Fleisch verringert die Umweltbelastungen. Es wird weniger Fläche für die Nutztiere und Futterproduktion benötigt. Einer Studie zufolge sinkt beim Rindfleisch der CO2-Fußabdruck um bis zu 92 Prozent.

Schweine in Massentierhaltung Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

Ein weiterer Vorteil wäre, dass im Labor kreiertes Fleisch in der Zusammensetzung genau kontrolliert werden kann, etwa der Fett- und Proteinanteil. Es ließe sich der Einsatz von Medikamenten wie Antibotika in der konventionellen Tierhaltung reduzieren. Auch könnte Fleisch aus dem Bioreaktor Risiken der Übertragungen von Krankheiten von Tieren auf Menschen reduzieren. Als Nachteil der Technologie wird der hohe Energieverbrauch gesehen.

Labor-Hähnchenfleisch ist bereits im Handel

Die Technologie hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, mittlerweile müssen für Fleisch aus dem Bioreaktor auch keine Tiere mehr sterben. Die Kosten für einen Burger werden bei industrieller Massenproduktion mittlerweile auf rund zehn Euro geschätzt. Das ist immer noch relativ teuer. Und in Europa sind diese neuartigen Lebensmittel (Novel Food) auch noch nicht erlaubt, ein erstes Zulassungsverfahren ist in Vorbereitung.

Konzeptverpackung für kultiviertes Hühnerfleisch. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

In Singapur wird seit 2020 Hühnerfleisch aus dem Labor verkauft, allerdings gestreckt mit pflanzlichen Proteinen. Das US-Landwirtschaftsministerium genehmigte 2023 zwei Firmen den Verkauf von kultiviertem Hähnchenfleisch. Auch die ersten Fischfilets werden bereits versuchsweise aus Stammzellen gezüchtet. Mosa Meat bereitet derzeit die Massenproduktion von gezüchtetem Rindfleisch vor.

Alternative zur konventionellen Tierhaltung

Verbraucherinnen und Verbraucher sind noch unsicher, was das Retortenfleisch bringt. Akzeptanzstudien zeigen, dass In-vitro-Fleisch von vielen als unnatürlich und weniger gut für die Gesundheit bewertet wird. Es könnte Proteste wie bei Gen-Food geben. Dennoch können sich laut Umfragen mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland vorstellen, kultiviertes Fleisch zu probieren. Die Hersteller versprechen, dass es geschmacklich konventionellem Fleisch sehr nah kommt. Sie forschen daran, eine Konsistenz und Textur ähnlich einem Steak oder Filet zu erreichen.

Die israelische Firma Aleph Farms experimentiert mit Laborfleisch, das die Struktur von Steaks haben soll. Bildrechte: picture alliance/dpa | Tsafrir Abayov

Die Bioökonomin Ramona Weinrich vom Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre der Uni Hohenheim sieht In-vitro-Fleisch als Ergänzung zu den aktuellen Angeboten für Menschen, die neben traditionell hergestelltem Fleisch eine Alternative suchen.

Auch Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft, fordert eine "Strategie für Proteine der Zukunft". Sie sagte in einer Veröffentlichung zur Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag, Deutschland dürfe den Anschluss nicht verlieren. Ihre Fraktionskollegin Zoe Mayer erwartet: "Die Frage ist nicht, ob zellkultiviertes Fleisch kommt, sondern wie." Im Bundeshaushalt 2024 stehen 38 Millionen Euro zur Förderung von alternativen Proteinquellen bereit.

Weiter Weg bis zu EU-Regelung und Kennzeichnung

Noch gibt es kaum Daten zu den gesundheitlichen Folgen für Verbraucher durch Zellkulturfleisch. Ob es möglicherweise gesünder ist als herkömmliches Fleisch oder Risiken gibt, ist unklar. Als erstes Land in Europa haben die Niederlande 2023 die Verkostung von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten aus dem Bioreaktor genehmigt. Unter bestimmten Bedingungen in kontrollierter Umgebung dürfen Hersteller Praxistests durchführen.

Im Labor gezüchtete Wurst aus Schweinefleisch mit Kennzeichnung Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Das deutsche Start-up The Cultivated B (TCB) startete im September 2023 bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Vorgespräche für die Zulassung einer Hybridwurst aus kultiviertem Fleisch mit zugesetzten pflanzlichen Proteinen. Das mit dem Schwesterunternehmen The Family Butchers entwickelte Produkt ähnelt Brühwurst wie Wiener Wurst für Hot Dogs. Die EU-Behörde muss nun die Sicherheit dieser Novel Foods klären und und sie dann gegebenenfalls zulassen.

Daneben fordern Verbraucherschützer eine transparente Kennzeichnung für Fleisch oder Fisch aus dem Bioreaktor sowie verständliche Informationen. Der generelle Nutzen, die Unbedenklichkeit und der Gesundheitswert müssten deutlich werden. Kritiker befürchten durch die zelluläre Landwirtschaft eine Abkehr von natürlichen Kreisläufen, nur damit der Fleischkonsum nicht reduziert werden muss.

Dieses Thema im Programm:3sat | Wissen hoch 2 | 25. April 2024 | 20:15 Uhr

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