WintersportZusatzstoffe im Kunstschnee: Dubiose Studien und gesetzlicher Flickenteppich
Mit chemischen und biologischen Zusatzstoffen kann man auch bei höheren Temperaturen beschneien, weil das Wasser schneller gefriert. Wo die einen eine Zukunft für vom Klimawandel gebeutelte Skigebiete wittern, sorgen sich andere um die Folgen für Umwelt und Menschen. Wo Zusätze wie "Snomax" erlaubt sind, was man über ihre Auswirkungen weiß und welche Bedeutung sie für die Mittelgebirge in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben.
- Erlaubt sind die Zusätze beispielsweise in Tschechien und der Schweiz, in Deutschland sind etwaige Verbote durch die Bundesländer geregelt.
- Es gibt kaum unabhängige, gut zugängliche Studien zu den Auswirkungen von Snowmax und anderen Beschneiungszusätzen.
- Vorhandene Studien und Untersuchungen legen Auswirkungen auf Vegetation und Menschen nah.
Wärmster Jahresanfang seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, viel Nässe und Wind: Im Winter 2022/23 hat sich die Wintersport-Saison für die Skigebiete in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eher schwierig gestaltet. So war nach einem Wintereinbruch Mitte Dezember am Fichtelberg acht Tage später schon wieder Schluss, als das Thermometer plötzlich fast 20 Grad mehr anzeigte. Es war einfach zu warm. Zu warm für echten Schnee und zu warm für Schnee aus der Kanone.
Damit die technische Beschneiung, wie die Arbeit der Schneekanonen in den Skigebieten genannt wird, gelingt, braucht es je nach Luftfeuchtigkeit zwischen Minus zwei und Minus fünf Grad. Zumindest, wenn man, wie in deutschen Skigebieten gern beworben, nur "Wasser und Luft" für die Beschneiung verwendet. Mehr Spielraum hat, wer abgetötete Bakterien oder chemische Zusatzstoffe ins Wasser mischt. Denn deren Beigabe macht die Schneeproduktion auch bei höheren Temperaturen möglich.
Gesetzlicher Flickenteppich: Verbot von Zusatzstoffen in Deutschland
Verarbeitet werden diese Bakterien oder chemischen Zusatzstoffe in Produkten wie "Snomax" und "Drift". "Snomax" macht sich die Wirkung des Bakteriums Pseudomonas syringae zunutze, das dafür sorgt, dass Wasser beim Beschneien schon bei minus zwei Grad Celsius gefriert. In "Drift" ist polyethermodifiziertes Siloxan verarbeitet, ein Stoff der sonst beispielsweise in Kosmetika oder Reinigungsmitteln verwendet wird. Wie die Bakterien in "Snomax" sorgt auch dieser Stoff dafür, dass Wasser schneller gefriert und so bereits bei Minus zwei Grad beschneit werden kann.
In Deutschland gibt es laut Umweltbundesamt keine bundesweite Regelung zur Verwendung solcher Produkte bei der Beschneiung. Stattdessen sind etwaige Verbote auf Landesebene geregelt und das auch auf unterschiedliche Art. So steht etwa im Thüringischen Wassergesetz: "Zur Beschneiung darf nur Wasser ohne Zusätze verwendet werden". In Sachsen-Anhalt besteht dagegen laut dem Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz & Umwelt kein generelles Verbot für den Einsatz von Zusatzstoffen, zumindest aus wasserrechtlicher Sicht. So auch in Sachsen: Hier ist das Verbot durch die Unteren Wasserbehörden geregelt. Diese haben, dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie zufolge, Beschneiungs-Zusätze untersagt, um zu verhindern, dass die Stoffe bei der Schneeschmelze in Gewässer gelangen.
Während auch in Österreich der Einsatz von Zusatzstoffen beim Beschneien verboten ist, sieht es in der Schweiz schon wieder anders aus: Hier darf und wird "Snomax" bei der Beschneiung in den alpinen Ski-Gebieten eingesetzt. Auch in Tschechien sind "Snomax" und Co. erlaubt. Auf Anfrage von MDR SACHSEN teilte das tschechische Umweltministerium mit, dass der Einsatz solcher Zusatzstoffe nur in besonders geschützten Regionen, wie Nationalparks, verboten sei.
Die Gerüchte, dass man im tschechischen Wintersportgebiet Klinovec, nur vier Kilometer vom Fichtelberg entfernt, solche Zusätze einsetze, dementierte der Manager des Gebiets, Martin Koky gegenüber MDR SACHSEN: "Wir haben mit Sicherheit noch nie irgendwelche Zusätze bei der Beschneiung verwendet." Neben den ökologischen Aspekten mache es auch wirtschaftlich keinen Sinn.
Schlechte Studienlage: Alles nur gekauft?
Welche Auswirkungen chemische und biologische Zusätze wie "Drift" und "Snomax" auf Umwelt und Menschen haben, ist Carmen de Jong zufolge sehr schlecht erforscht. Die Hydrologin lehrt an der Universität Straßburg und forscht schon seit Jahren zu den Umweltauswirkungen künstlicher Beschneiung. Sie erklärt, die Studien seien zum einen oftmals veraltet und zum anderen häufig von den Produzenten der Zusätze selbst in Auftrag gegeben: "Diese Publikationen sind weder unabhängig noch wissenschaftlich. Da schreibt eine 'Snomax'-Vertretung aus den USA einen Brief an die Vertretung in der Schweiz, in dem sie erklärt, dass 'Snomax' unbedenklich sei. Und das wars."
De Jong erzählt noch von einem weiteren Phänomen: Einige Studien, die sich mit den Auswirkungen von "Snomax" auf die Vegetation beschäftigen, seien aus dem Internet verschwunden. "Diese Studien haben gezeigt, dass durch die Beschneiung mit 'Snomax' auch die Vegetation gefriert. Empfindliche Organismen wie Pilze gehen dadurch ein." Hunderte von Pilzarten seien davon betroffen.
Die Studien, die dies beweisen, hat man de Jong zufolge vor zehn Jahren noch im Internet finden können, inzwischen jedoch nicht mehr. "Die Autoren der Studien antworten mir nicht, wenn ich ihnen schreibe", erzählt die Wissenschaftlerin und schiebt nach: "Viele von ihnen arbeiten inzwischen für Skigebiete in Tirol."
Warum aber gibt es keine neueren Forschungsprojekte, die sich mit den chemischen und biologischen Zusatzstoffen beschäftigen? Laut Carmen de Jong liegt das am aktuellen Zeitgeist in der EU: "Für EU-finanzierte Projekte möchte man immer Positivbeispiele, die zeigen, wie man die Umweltprobleme in den Griff bekommt." Projekte mit potenziell negativen Aussagen würden nicht so gern finanziert.
Auswirkungen auf den Menschen
Nach Aussage von Carmen de Jong gibt es keine Langzeitstudien, die die Auswirkungen von "Snomax" auf Menschen direkt an einer menschlichen Versuchsgruppe untersucht hätten.
2010 zeigte eine Studie des französischen Umweltministeriums, dass die abgetöteten Bakterien in "Snomax" die Vermehrung anderer Bakterien begünstigen, die für den Menschen schädlich sind, E.coli-Bakterien zum Beispiel. Dies geschehe dann, wenn man mit "Snomax" angereichertes Wasser vor dem Beschneien zu lange lagere. Die Wissenschaftler empfahlen, das Wasser nicht länger als 24 Stunden "stehen zu lassen".
Bei "Drift" seien die Auswirkungen klarer, erzählt de Jong: "Mich haben Menschen aus New Mexico kontaktiert, in deren Region "Drift" verwendet wird und das ist echt eine einzigartige Umweltkatastrophe dort." Das Mittel sei in Flüsse und Grundwasser gelangt, habe die Ernte geschädigt und Auswirkungen auf die Tierwelt gehabt. "Und das auch noch 20 Kilometer unterhalb des Skigebiets."
Beschneien in Mitteldeutschland
In den mitteldeutschen Skigebieten sind Zusatzstoffe wie "Snomax" derzeit kein großes Thema. Das sähe jedoch anders aus, wenn sie klar erlaubt wären: Wenn Zusatzstoffe erlaubt wären, würden wir natürlich auch mal testen, ob sie halten, was versprochen wird", sagt der Geschäftsführer der Fichtelberg Schwebebahn, René Lötzsch. Aber natürlich dürfe dies nicht auf Kosten der Natur erfolgen. Einen ähnlichen Standpunkt vertreten auch Axel Müller von der Skiarena Silbersattel in Steinach und Fabian Brockschmidt von der Wurmbergseilbahn im Harz.
Mit oder ohne Zusatzstoffe: Über die Zukunft des Wintersports macht man sich zumindest bei der Wurmbergseilbahn und der Fichtelberg Schwebebahn keine großen Sorgen. "2020/21 hatten wir einen Jahrhundertwinter, so viel Naturschnee wie schon lange nicht, und auch jetzt, Minus sechs Grad in der Früh", sagt Fabian Brockschmidt. Letztlich habe der Klimawandel die Saison nur nach hinten verschoben, vom Dezember und Januar in den Februar und März. René Lötzsch verweist auf eine Klimastudie, die gezeigt habe, dass auch in den nächsten Jahren noch Temperaturen herrschen werden, die Wintersport möglich machen.
In Steinach dagegen macht man sich Axel Müller zufolge schon seit 15 Jahren Gedanken über Alternativen zum Wintersport und baut diese auch Stück für Stück aus. "Ich glaube es gibt keine Skigebiete mehr in den Mittelgebirgen - es gibt multifunktionale Freizeiteinrichtungen, die im Winter eben auch Skifahren anbieten und im Sommer andere Aktivitäten". Diesen Mix werde es auch in den nächsten 20 Jahren noch geben. "In welchem Verhältnis, das wird sich zeigen".
MDR (win)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 25. Januar 2023 | 09:00 Uhr
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