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Hannes Lötzsch, Kreissprecher der Grünen im Erzgebirge Bildrechte: Marius Dahmen/MDR

Reportage aus dem ErzgebirgeWie sich der Hass auf die Grünen in der Kommunalpolitik bemerkbar macht

21. März 2024, 14:32 Uhr

Ein Sicherheitsgipfel in Thüringen, ein neuer Straftatbestand "Politiker-Stalking" in Sachsen, eine Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger: Mit zunehmenden Angriffen steigen auch die Bemühungen, politisch engagierte Menschen besser zu schützen. MDR AKTUELL war zu Besuch bei einem, der sich mit Anfeindungen auskennt: Hannes Lötzsch ist Kreissprecher bei den Grünen im Erzgebirge, dort wo eine "grüne Gesinnung" oft lieber verschwiegen wird.

"19 Stimmen wurden abgegeben. 19 Stimmen dafür, kein Nein, keine Enthaltung. Damit ist Sigrid gewählt." Listenwahl beim Kreisverband der Grünen im Erzgebirge. Es wird entschieden, wer bei den Kommunalwahlen im Juni für Kreistag und Stadt- und Gemeinderäte kandidiert. Hannes Lötzsch, 27, Co-Sprecher, verliest die Abstimmungsergebnisse.

Überraschungen, Nein-Stimmen oder Gerangel um die Listenplätze gibt es nicht. Im Erzgebirge ist man froh, wenn sich überhaupt jemand für die Grünen aufstellen lässt. "Dass alle im Dorf lesen können, man steht auf der grünen Liste – das muss man schon wollen", sagt Dunja Schulze, die zweite Hälfte des Sprecherinnen-Duos.

Dunja Schulze (Mitte) ist Kreissprecherin der Grünen im Erzgebirge. Bildrechte: MDR/Ronny Junghans

Gewollt haben es dann doch einige. 33 Personen stehen am Ende des Tages auf der Liste, kandidieren für den Kreistag im Erzgebirge. Für alle Wahlkreise hat sich jemand gefunden. Dunja Schulze ist zufrieden. Dass es so gut aussehen würde, war lange nicht klar. "Wir haben lange gekämpft, wir wissen ja, es ist schwierig, sich zu outen." In den vergangenen zwei Wochen habe man mit vereinten Kräften dann aber doch "ganz schön was zusammengekriegt".

Für die politische Einstellung angefeindet und bedroht

Sich "als Grüner outen" – davon ist an diesem Samstag in der Zwönitzer Gaststätte "Moosheide" immer wieder die Rede. Auch davon, dass es dafür Mut braucht. Warum? "Weil man als Person mit der politischen Einstellung, die man hat, nicht nur nicht willkommen ist, sondern eben auch angefeindet und bedroht wird", erklärt Christoph Deike, Kandidat für den Gemeinderat in Amtsberg.

Christoph Deike kandidiert für den Gemeinderat in Amtsberg. Bildrechte: Ronny Junghans

Deike ist einer von denen, die sich "geoutet" haben. Der Lehrer erzählt, er habe das Glück, zumindest von seiner Arbeitsstelle keine negativen Konsequenzen fürchten zu müssen. Doch es gibt auch Mitglieder im Kreisverband, die ihren Namen auf keinen Fall im Zusammenhang mit den Grünen in den Medien sehen wollen – aus Angst, ihre Lebensgrundlage zu verlieren.

Jacob etwa, der eigentlich anders heißt, berichtet, Kunden hätten ihn nicht mehr auf der Baustelle haben wollen, als er erklärt habe, er sei nicht gegen Windkraft. "Nur deswegen. Die wussten nicht mal, dass ich bei den Grünen bin." Ein anderes Mitglied, ein selbstständiger Unternehmer, erzählt, er hätte eigentlich gern für den Gemeinderat in seinem Ort kandidiert: "Aber dann kann ich meine Firma gleich zumachen." Zu groß sei bei seinen Kunden der "Hass auf die Grünen".

In Leipzig wohnen, im Erzgebirge Kommunalpolitik machen

Co-Sprecher Hannes Lötzsch hätte es leichter haben können. Er wohnt in Leipzig. Hier haben die Grünen mehr als 1.000 Mitglieder. Bei der letzten Stadtratswahl holten sie 20,7 Prozent der Stimmen und landeten damit auf Platz zwei – nach der Linken. Im Erzgebirgskreis wiederum haben die Grünen 68 Mitglieder und fuhren bei der Bundestagswahl 2021 eines ihrer zehn schlechtesten Ergebnisse deutschlandweit ein.

Trotzdem war für Lötzsch von Anfang an klar, dass er sich im Erzgebirge engagieren würde, als er 2017 bei den Grünen eintrat: "Im Erzgebirge kann man gerade wegen der kleineren Mitgliederzahlen mehr bewirken. Und außerdem bin ich ja im Erzgebirge geboren und aufgewachsen. Das heißt, ich bilde mir ein, bisschen zu wissen, was da so abgeht."

Hassnachrichten sind in den letzten Jahren vor allem im Netz auf uns eingeprasselt.

Hannes Lötzsch | Co-Sprecher des Grünen-Kreisverbands Erzgebirge

Inmitten von DDR-Möbeln, Grünpflanzen und Reisefotos sitzt Hannes Lötzsch in einem Wismut Aue Pullover in seinem sonnendurchfluteten Leipziger Wohnzimmer und erzählt, wie das so ist – als Grüner im Erzgebirge. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem digitalen und dem echten Leben. Hassnachrichten sind in den letzten Jahren vor allem im Netz auf uns eingeprasselt." Daher habe man immer Befürchtungen, auf der Straße denselben Hass zu erleben. Das passiere dann aber doch recht selten. Aber es passiert.

Lötzsch macht aber auch klar, dass er sich in einer privilegierten Position sieht: "Ich habe einen guten Abstand zu dem ganzen Thema, weil ich eben in Leipzig wohne und nicht im Erzgebirge. Also ich bewundere immer unsere Mitglieder, die tagtäglich mit diesem gesellschaftlichen Klima umgehen müssen."

Grünen-Politiker am häufigsten Opfer von Angriffen

Das, was sich im Erzgebirge im Kleinen auf kommunaler Ebene abspielt, lässt sich schon länger in ganz Deutschland beobachten. 2.790 Angriffe auf Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien hat es 2023 gegeben. In 1.219 Fällen waren Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen betroffen, weit abgeschlagen, mit 478 Fällen, folgten Vertreter der AfD auf Platz zwei. Das geht aus vorläufigen Zahlen in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor.

Dass es immer häufiger Angriffe auf Amts- und Mandatsträger gibt, zeigt sich auch auf Landesebene. In Sachsen-Anhalt wurden im vergangenen Jahr 190 solcher Straftaten registriert, 44 mehr als im Jahr zuvor. Das teilte das Landeskriminalamt auf Anfrage von MDR AKTUELL mit. Mehr als doppelt so viele wie noch 2020. Auch in Sachsen wurden 2023 mehr Amts- und Mandatsträger angegriffen, als noch im Vorjahr. 379 Fälle gab es der Polizeilichen Kriminalstatistik das Landeskriminalamtes Sachsen zufolge – 64 mehr als 2022.

In Thüringen findet nun am Freitag ein Sicherheitsgipfel zum Schutz von politisch Engagierten statt. Nach übereinstimmenden Angaben aus Ausschusskreisen hat SPD-Innenminister Georg Maier angekündigt, dort unter anderem darüber sprechen zu wollen, wie Menschen, die sich in den Kommunen für die Demokratie stark machen, besser geschützt werden können.

Die Grünen – das Feindbild der Nation?

Auch der Anfang des Superwahljahres 2024 ist medial von Attacken auf Politiker und Politikerinnen geprägt. Im Zentrum der Wut: immer wieder Vertreterinnen der Grünen. Kurz nach Jahreswechsel hinderte eine wütende Menschenmasse Robert Habeck und seine Familie am Verlassen einer Urlaubsfähre, einen Monat später sagten die Grünen wegen aggressiver Proteste, bei denen Steine flogen, Autoreifen brannten und Polizisten verletzt wurden, ihre Aschermittwochsveranstaltung in Biberach ab. Noch am gleichen Abend wurde Parteichefin Ricarda Lang in Schorndorf von wütenden Menschen bedrängt.

Warum ausgerechnet die Grünen solchen Hass auf sich ziehen, darüber wird sich seitdem medial der Kopf zerbrochen. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend von Anfang März waren 41 Prozent der Befragten "gar nicht zufrieden" mit der Ampel, weitere 39 Prozent "weniger zufrieden". Doch warum scheinen diese Unzufriedenheit vor allem die Grünen abzubekommen?

Politikwissenschaftlerin Hanna Schwander sagte "t-online" dazu, die Hauptursache sei die Kommunikation rechter Parteien. Die Grünen würden für alle Konflikte verantwortlich gemacht, auch wenn sie es gar nicht seien. "Sie werden von rechten Parteien und Medien als Feindbild dargestellt, und Politiker anderer Parteien arbeiten sich an ihnen ab." Die aktuelle Gewalt sei das Ergebnis davon.

Lötzsch: Kritik für Sachen, die wirklich falsch laufen

Hannes Lötzsch sieht das ähnlich. Er ärgert sich aber vor allem darüber, wenn Falschinformationen über grüne Politik verbreitet werden. "Weil ich mich gern kritisieren lasse und auch grüne Politik gern kritisieren lasse – aber eben für Sachen, die wirklich falsch laufen."

Und Lötzsch sieht durchaus Fehler in der eigenen Partei: "Es gibt ein Informations- und Kommunikationsdefizit. Das ging mit dem Heizungsgesetz los. Und die Subventionen für den Agrardiesel zu streichen, war aus meiner Sicht auch nicht richtig." Dementsprechend habe er für den Anfang der Bauernproteste Verständnis – allein, was daraus geworden ist, könne er nicht mehr nachvollziehen.

Lötzsch erklärt, wie sehr die Kommunalebene aus seiner Sicht vom bundes- und landespolitischen Geschehen beeinflusst wird: "Wir können uns noch so abmühen, wenn ein großes bundespolitisches Ereignis einschlägt, dann sehen wir das an Ein- und Austritten und an den Wahlergebnissen." Im Erzgebirge gebe es zum Beispiel viele Mitglieder, die ein echtes Problem mit der Rüstungspolitik der Bundesregierung hätten, und der Kreisverband verzeichne auch deswegen Austritte.

Die Hoffnung: Wieder in Fraktionsstärke in den Kreistag einziehen

Für die anstehenden Kommunalwahlen hoffe man im "arzgebirg’schen" Kreisverband nun, wieder – wie erstmals 2019 – in Fraktionsstärke in den Kreistag einziehen zu können, sagt Lötzsch. Doch dafür müsse man fünf Prozent erreichen. Gleichzeitig schaut man mit bangem Blick auf die Landtagswahlen.

"Wir glauben nicht, dass wir aus dem Landtag fliegen. Aber sollte das passieren, wackeln ganz viele Finanzierungen im Kommunalen", erklärt Lötzsch. Man habe in den letzten Jahren eine Infrastruktur aufgebaut, zu der auch zwei Bürgerbüros gehörten und das hänge natürlich immer an Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die ein bisschen Geld fürs Erzgebirge übrig hätten.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 21. März 2024 | 06:18 Uhr

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