MDRfragtDeutliche Mehrheit für Rückkehr der Wehrpflicht
Seit dem 1. Juli 2011 ist die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt. Ihre Rückkehr wird mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine immer wieder diskutiert und stößt in der MDRfragt-Gemeinschaft auf großen Zuspruch. Die meisten sind der Meinung, dass die Wehrpflicht diesmal sowohl für Männer als auch für Frauen gelten sollte. Bei den Jüngsten zeigt sich hingegen ein völlig anderes Meinungsbild.
- Die deutliche Mehrheit spricht sich für eine Rückkehr der Wehrpflicht aus – die jüngsten Befragten denken jedoch anders.
- Jeder Zweite befürwortet neuerliche Wehrpflicht für Männer und auch Frauen.
- Werbung für die Bundeswehr wird durchaus positiv gesehen.
Mehrheit fordert Wehrpflicht zurück
2011 wurde die Wehrpflicht unter dem damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ausgesetzt. Damals ließ sich diese aus seiner Sicht nicht mehr sicherheitspolitisch begründen. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich die sicherheitspolitische Lage jedoch gewendet: Der amtierende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt derzeit prüfen, ob und wie die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt werden kann. Der CDU-Parteitag in Berlin hat ebenfalls für eine schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht gestimmt.
In der MDRfragt-Gemeinschaft stößt das mehrheitlich auf Zuspruch, denn das Stimmungsbild beim Meinungsbarometer MDRfragt zeigt: Die Mehrheit der fast 25.000 Befragten fordert die Wehrpflicht zurück. Mehr als ein Drittel lehnt ihre Reaktivierung hingegen ab.
Am größten fällt der Zuspruch bei denjenigen aus, welche im Zuge der Wehrpflicht oder beruflich selbst einmal bei der Armee waren oder es derzeit sind.
Hinter dem "Ja" oder "Nein" zur Wehrpflicht verbergen sich dabei oftmals sehr unterschiedliche Argumente der Befragungsteilnehmerinnen und Befragungsteilnehmer.
Solange solche Despoten wie Putin an die Macht kommen, muss man sich leider wehrhaft aufstellen.
Uwe (57) aus Leipzig
MDRfragt-Mitglied Eckhard (67) aus Schmalkalden-Meiningen kann durchaus nachvollziehen, dass die Wehrpflicht vor über 10 Jahren ausgesetzt wurde. Er schreibt: "2011 war die Entwicklung der derzeitigen Sicherheits- und Bedrohungslage so noch nicht absehbar. Man konnte schon den Eindruck haben, dass sich Staaten in Europa nicht mehr mit Armeen angreifen würden, um ihre Interessen durchzusetzen. Insoweit schien der Ressourceneinsatz an anderen Stellen sinnvoller zu sein als bei der Bundeswehr."
Doch nun hat sich das Blatt seiner Ansicht nach gewendet: "Mit der Besetzung der Krim und spätestens mit dem Überfall russischer Streitkräfte auf die Ukraine erwiesen sich diese Annahmen als falsch. Wenn ich mich auch nur schweren Herzens zu dieser Meinung durchringen kann: Deutschland und die EU kommen nicht drumherum, ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken."
Uwe (57) aus Leipzig sieht das ähnlich und argumentiert: "Solange solche Despoten wie Putin an die Macht kommen, muss man sich leider wehrhaft aufstellen."
Argument: Wehrpflicht entzieht der Wirtschaft Arbeitskräfte
Ganz anders sehen das hingegen Detlef (68) aus Magdeburg und Felix (33) aus Erfurt. So meint Detlef: "Es gibt jetzt schon zu wenige Menschen, die arbeiten und den Wohlstand in Deutschland sichern" und fragt: "Wollen wir dem System wirklich noch 20.000 Menschen entziehen?"
Felix argumentiert ähnlich und kommentiert: "Ich finde die Wehrpflicht nimmt vielen Leuten und auch der Wirtschaft wichtige Zeit und Arbeitskraft. Besser fände ich, wenn das Personal bei der Bundeswehr sinnvoll eingesetzt wird und ordentliche Bedingungen erhält."
Auch Michaela (49) aus der Börde lehnt die erneute Einführung der Wehrpflicht ab und zitiert hierfür, wie auch einige andere MDRfragt-Mitglieder, einen Song-Titel: "Nein, meine Söhne geb’ ich nicht" von Reinhard Mey.
Doch nicht allen fällt es leicht, sich bei dieser Frage eindeutig festzulegen. So ist auch Erikas (86) Meinung gespalten. Die Dresdnerin schreibt: "Eigentlich braucht Deutschland Schutz und viele Jugendliche brauchen Zucht und Ordnung. Anderseits möchte ich nicht, dass meine beiden Enkel an die Waffe gehen, andere Menschen richten."
Wehrpflicht als Erziehungsmaßnahme?
"Zucht und Ordnung": Auch damit begründen sehr viele MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer ihre Befürwortung einer neuerlichen Wehrpflicht.
Tobias (37) aus Mansfeld-Südharz ist beispielsweise der Ansicht: "Die Wehrpflicht sollte in erster Linie wieder eingeführt werden, um jungen Menschen Grundfertigkeiten zu vermitteln. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Gehorsam, Respekt." Auch Sandy (40) aus Leipzig würde eine Wehrpflicht begrüßen, weil "Männer und Frauen Dinge wie Disziplin, Ordnung und andere wichtige Eigenschaften beigebracht bekommen".
Nicht wenige befürworten die Wehrpflicht und schließen das Erlernen militärischer Kenntnisse darüber hinaus völlig aus. So findet Mathias (62) aus dem Saale-Orla-Kreis "die Wehrpflicht als Kriegsvorbereitung falsch" als "Vorbereitung für das Leben jedoch richtig". Er kommentiert: "Jeder junge Mensch sollte in der Lage sein, sein Bett zu machen und ein wenig Ordnung zu halten. Leider kommt das in vielen Familien zu kurz. Die Anwendung von Waffen soll ausdrücklich nicht geübt werden."
... bei den Jüngeren stößt erneute Wehrpflicht auf Ablehnung
Ein völlig anderes Meinungsbild zeigt sich jedoch bei den Unter-30-Jährigen, also denjenigen Befragten, welche eine Wiedereinführung der Wehrpflicht im Zweifel betreffen könnte: In dieser Altersgruppe lehnen etwa zwei Drittel die Rückkehr zur Wehrpflicht ab.
Vielen der Unter-30-Jährigen sind die Argumentationen in Richtung "bei der Bundeswehr lerne man Respekt und Anstand" durchaus bewusst. Wie auch Florian (24) aus dem Landkreis Gotha betrachten einige diese Ansicht jedoch kritisch. So fragt sich Florian: "Ist es nicht wahrscheinlicher, dass der staatliche Zwang, entschieden von alten Männern, zum Dienst in einer Armee diesen angestrebten Respekt und Anstand eher verhindert?" Bei ihm sei das durchaus der Fall, denn: "Wieso sollte man Respekt für eine Gesellschaft zeigen, die dem Individuum gegenüber genau diesen verwehrt?"
Daran anschließend kommentiert John (18) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld: "Die Wehrpflicht bringt uns keine gut ausgebildete Armee. Sie verpflichtet lediglich junge Menschen zu einem Dienst, mit denen sich viele nicht identifizieren können. Wir brauchen gute Anreize, damit wieder viele freiwillig zur Bundeswehr gehen. Eine Pflicht ist nie die Lösung und geht einfach an der Lebensrealität vorbei."
Wieso sollte man Respekt für eine Gesellschaft zeigen, die dem Individuum gegenüber genau diesen verwehrt?
Florian (24), Landkreis Gotha
Auch Jan (22) aus Halle (Saale) wertet eine erneute Wehrpflicht als "Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte und in die Selbstbestimmung" und Daniel (24) aus Mittelsachsen ist der Ansicht, dass die Wehrpflicht "nicht nur ausgesetzt, sondern aus dem Gesetz gestrichen werden sollte".
Wehrpflicht nein – Dienstpflicht ja?
Marvin (28) aus Halle (Saale) lehnt die Wehrpflicht ebenfalls ab, eine allgemeine Dienstpflicht bewertet er jedoch durchaus positiv. Er schreibt: "Kein Mensch darf zum 'Dienst an der Waffe' gezwungen werden. Eine allgemeine Dienstpflicht, also ein Jahr in einem Beruf, der die Stabilität des Staates stützt, würde ich viel eher unterstützen." Und auch Christian (31) aus Chemnitz hält eine Wehrpflicht als militärischen Dienst nicht für sinnvoll, aber für "ein Jahr im sozialen, gemeinnützigen oder ähnlichen Bereich" ist er aufgeschlossen. Auch einige ältere Befragte wie Bernd (68) aus dem Harz sehen von der Wehrpflicht ab und befürworten stattdessen eine Dienstpflicht "im sozialen Bereich wie der Pflege".
Etwa drei Viertel befürworten allgemeine Dienstpflicht
Tatsächlich wird die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht deutlich eher befürwortet, als die Reaktivierung der Wehrpflicht. Etwa drei Viertel würden dies begrüßen – bei mehr als einem Fünftel stößt eine Dienstpflicht hingegen auf Ablehnung.
Wehrpflicht sollte auch für Frauen gelten
Zurück zur Wehrpflicht: Bevor diese ausgesetzt wurde, galt sie ausschließlich für Männer. Mittlerweile können sich zwar auch Frauen als Berufssoldatinnen verpflichten lassen, ob eine erneute Wehrpflicht aber ebenfalls für Männer und Frauen zugleich gelten kann und wird, ist bislang unklar.
In der MDRfragt-Gemeinschaft tendiert die Meinung dazu bereits stark in eine Richtung. So wäre die Hälfte der Befragten dafür, dass eine erneute Wehrpflicht diesmal sowohl für Frauen als auch für Männer gelten sollte.
Noch vor einem Jahr war die Meinung hierzu eher geteilt. Im März 2023 waren jeweils 41 Prozent dafür, dass eine neuerliche Wehrpflicht sowohl für Frauen als auch für Männer – oder aber ausschließlich für Männer gelten sollte.
Freiwillige vor: Viele fordern mehr Bemühen um eine Berufsarmee
Unabhängig von der Wehrpflicht: Bis 2031 soll die Bundeswehr wieder 203.000 Soldatinnen und Soldaten beschäftigen. Laut Jahresbericht der Wehrbeauftragten für das Jahr 2022 beginnen zwar durchaus mehr Menschen ihren Dienst, die Abbrecherquote ist jedoch sehr hoch.
Aus Sicht von zwei Dritteln der Befragten sollte die Bundeswehr mehr Anstrengungen unternehmen, um Berufssoldaten und Berufssoldatinnen zu rekrutieren.
Aber wie könnten diese Anstrengungen aussehen? Kristina (77) aus Jena findet beispielsweise: "Menschen, die den Kopf für das Leben anderer hinhalten, sollten überproportional bezahlt werden und eine ausreichende Entschädigung für gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge eines Einsatzes erhalten." Rainer (74) aus Dessau-Roßlau ergänzt: "Die öffentliche Wertschätzung muss erheblich gesteigert werden, damit die Uniformträger auch stolz sein können, auf das, was sie tun."
Ähnlich, wenn auch aus einer anderen Perspektive, argumentiert Alexandra (51) aus dem Ilm-Kreis. Sie "kann es nicht verstehen, warum man zur Armee geht" und merkt an: "Schlimmstenfalls riskiert man sein Leben, um Interessen von Wenigen durchzusetzen, denen man völlig egal ist".
Werbung für die Bundeswehr
Bereits jetzt wirbt die Bundeswehr mit Plakat-Kampagnen oder Auftritten in den sozialen Netzwerken für den Dienst als Soldatin oder Soldat – und für ihr damit verbundenes Image. Auch das wird in der MDRfragt-Gemeinschaft überwiegend positiv bewertet. Knapp ein Drittel der Befragten lehnt solche Werbekampagnen jedoch ab.
Über diese BefragungDie Befragung vom 12. bis 16. April 2024 stand unter der Überschrift: "Wehrpflicht: ja oder nein?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 24.784 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Alle Ergebnisse zum Thema in der Übersicht:
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell TV | 06. Mai 2024 | 21:45 Uhr