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Bildrechte: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Pflegeheim-ReportDas Kosten-Dilemma: Hilfe zur Pflege im Heim geht an vielen vorbei

14. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Der RWI-Pflegereport sieht in den letzten Jahren eine stabilere finanzielle Lage vieler Pflegeheime. Beim Eigenanteil der Patienten gibt es ab 2024 neue Entlastungen. Doch die Kosten insgesamt steigen ungebremst und es fehlen weiter Pflegekräfte. Jüngste Gesetzesänderungen werden von allen Seiten als ungenügend kritisiert. Ohne große Reform droht ein Kollaps. So ist die Lage in Mitteldeutschland.

Der neue Pflegeheim-Report des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung sieht eine leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage von Pflegeheimen für den Untersuchungszeitraum 2019 bis 2021. Ein Grund für die zwischenzeitliche Entspannung waren auch staatliche Corona-Hilfen. Zugleich warnt die Studie für die Zeit danach vor Finanzierungsproblemen infolge steigender Löhne und Sachkosten in der Pflegebranche sowie wegen anhaltender Personalknappheit.

Die Kernaussagen:

  • Ambulante und stationäre Pflege in Deutschland hatte 2021 ein Marktvolumen von rund 72 Milliarden Euro, der Anteil am gesamten Gesundheitsmarkt lag bei 15,2 Prozent, nur Krankenhäuser waren teurer.
  • Der Anteil ambulanter Pflegeleistungen erhöhte sich auf knapp ein Viertel, die Anzahl stationär gepflegter Menschen sank erstmals.
  • Die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime war in den fünf Ostbundesländern sowie Hessen am besten, in Norddeutschland und Baden-Württemberg am schlechtesten.
  • Der Trend zur Privatisierung setzt sich fort, private Anbieter arbeiten kostengünstiger als öffentlich-rechtliche oder freigemeinnützige Heime.
  • In der ambulanten und stationären Pflege waren im Jahr 2021 insgesamt 1,26 Millionen Vollzeitkräfte beschäftigt, davon knapp ein Viertel Fachkräfte. Die bestehenden Defizite insbesondere bei Fachkräften drohen zu wachsen.  

Etwa 30.000 Menschen in Mitteldeutschland beziehen Hilfe zur Pflege

2021 lebten in Deutschland knapp fünf Millionen pflegebedürftige Menschen. Für sie gibt es aktuell etwa 11.750 vollstationäre Alten- und Pflegeheime mit 922.000 Plätzen. Die Pflegeversicherung trägt aber nur einen Teil der Kosten, je nach Pflegegrad. Den Rest müssen die Pflegebedürftigen selbst zahlen, oft sind sie dazu nicht in der Lage. Hunderttausende Menschen haben Anspruch auf sogenannte Hilfe zur Pflege. Die Sozialleistung wird gewährt, wenn Pflegebedürftige ihren Eigenanteil nicht selbst aufbringen können. Ende 2022 erhielten deutschlandweit knapp 300.000 Menschen Hilfe zur Pflege, 82 Prozent davon in Pflegeheimen. Dabei gilt ein Schonvermögen für Pflegebedürftige von 10.000 Euro.

In Ostdeutschland mit Berlin waren es insgesamt 58.870 Personen, davon 77 Prozent stationär. In Mitteldeutschland war die Lage unterschiedlich: In Sachsen gab es insgesamt 13.830 Fälle von Hilfe zur Pflege, davon 82,5 Prozent in Heimen. In Sachsen-Anhalt (30. Juni 2023: 7.889 Personen) und Thüringen (für 2023: etwa 9.100) dagegen entfielen mehr als 90 Prozent auf stationäre Pflege. Das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt teilte dem MDR mit, die Tendenz der Leistungsempfänger sei steigend.

Was viele nicht wissen: Pflegegeld gibt es auch für die Pflege zu Hause, etwa für ambulante Pflegedienstleister oder eine Angehörige oder Nachbarin, die die Pflege übernimmt. Das gilt auch für Kurzzeitpflege oder teilstationäre Tages- oder Nachtpflege in einem Heim.

2024 steigt der Zuschlag zu Eigenleistungen – doch nur wenige profitieren

Bundesweit sank die Hilfe zur Pflege laut Destatis-Datenbank 2022 binnen Jahresfrist um 5,9 Prozent – vor allem in Heimen. Grund dafür ist die Pflegereform zum 1. Januar 2022: Die Kosten für vollstationäre Pflege (Pflegegrade 2 bis 5) werden jetzt mit Zuschlägen von aktuell bis 70 Prozent des Eigenanteils aus der sozialen Pflegeversicherung bezuschusst. 2024 gibt es eine weitere Anhebung.

Ab 1. Januar 2024 höherer Pflegekassenzuschuss zu Eigenanteilen an vollstationärer Pflege (Pflegestufe 2-5) in einem Heim – abhängig von der Aufenthaltsdauer:

Neuer Pflegekassenzuschuss zu Eigenanteilen an vollstationärer Pflege (Pflegestufe 2-5)
HeimaufenthaltLeistungszuschlag bis 31.12.2023Leistungszuschlag ab 1.1.2024
0 bis 12 Monate5 Prozent15 Prozent
13 bis 24 Monate25 Prozent30 Prozent
25 bis 36 Monate45 Prozent50 Prozent
länger als 36 Monate70 Prozent75 Prozent

Doch viele Pflegefälle profitieren kaum davon, weil die Belegzeiten in Pflegeheimen – auch aufgrund hoher Kosten und Eigenanteile – sinken. Viele Pflegebedürftige ziehen erst in die vollstationäre Einrichtung ein, wenn die häusliche Pflege nicht mehr zu schaffen ist. Den Wohlfahrtsverbänden zufolge liegen die Verweildauern im Schnitt nur noch bei einem Jahr, weil viele Insassen relativ schnell sterben.

Kostenexplosion in der Pflege

Seit Jahren steigen die Kosten für einen Platz im Pflegeheim und damit der Eigenanteil, den die Pflegebedürftigen selbst tragen müssen – zuletzt besonders deutlich. Im Januar 2023 belief sich der durchschnittliche Eigenanteil für einen Heimplatz in Deutschland auf 2.610 Euro. Dabei gibt es große regionale Unterschiede.

In Sachsen sind es aktuell im Schnitt 2.184 Euro, in Sachsen-Anhalt sind es 2.047 Euro, in Thüringen 2.304 Euro. Im Westen Deutschlands sind Pflegeheimplätze oft noch viel teurer. Spitzenreiter ist Baden-Württemberg mit einem durchschnittlichen Eigenanteil von knapp 3.000 Euro. Hauptgründe für Kostenexplosion sind steigende Personal- und Nebenkosten.

Pflegequote ist in ostdeutschen Bundesländern am höchsten

Für die Zukunft drohen die Pflegekosten aus dem Ruder zu laufen. Das liegt auch am Personalmangel. Höhere Löhne sollen den Pflegeberuf attraktiver machen, machen Pflege aber zugleich teurer. Dazu kommen noch Besonderheiten in Ostdeutschland: Hier ist der Anteil der Pflegebedürftigen mit 7 bis 8 Prozent an der Gesamtbevölkerung wegen der älteren Bevölkerung deutlich höher als im Westen. Andererseits ist die Quote bei Heimpflege im Osten geringer.

Markus Sutorius vom Pflegeschutzbund BIVA erwartet, dass in den nächsten Jahren immer mehr Pflegefälle ihren Eigenanteil nicht bezahlen können und Hilfe zur Pflege benötigen werden. Der Jurist geht von 35 bis 40 Prozent der Pflegebedürftigen aus, die staatliche Hilfen benötigen. Auch Bundesländer und Kommunen sind betroffen, denn Hilfe zur Pflege ist eine Sozialleistung, die vom Land getragen und über die Sozialämter verwaltet wird.

Die Vizegeschäftsführerin des Sächsischen Landkreistags, Veronika Müller, sagte dem MDR, dass die Landkreise pro Jahr etwa 80 Millionen Euro für den Zuschuss zu den Pflegekosten bereitstellten. Nach Angaben des Sozialministeriums Sachsen-Anhalt erhöhten sich die Ausgaben seit 2017 von 39,7 auf geschätzt 76,3 Millionen Euro im Jahr 2023. Daher wird der Ruf nach einer Reform der Pflegeversicherung auf Bundesebene lauter. Müller sieht dabei ganz klar die Pflegekassen in der Pflicht.

Kritik: Pflegeunterstützungsgesetz ist Tropfen auf den heißen Stein

Das neue Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (kurz: PUEG) sieht vor, die Pflege zu Hause zu stärken, pflegende Angehörige zu unterstützen, Leistungen zu verbessern und finanzielle Belastungen zu begrenzen. Doch von der Pflegebranche, Sozialverbänden und Opposition gibt es massive Kritik: Die finanziellen Verbesserungen hielten mit der Inflation nicht Schritt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte: "Nach sechs Jahren Stillstand liegt die häusliche Pflege der vier Millionen betroffenen Menschen am Boden." Doch das Entlastungsbudget komme erst im Juli 2025.

Die Sozialministerien in Thüringen und Sachsen-Anhalt forderten bei MDR AKTUELL eine grundsätzliche Reform der Pflegeversicherung und der Finanzierung. Hierzu wäre es sinnvoll, die Eigenanteile zu begrenzen. Außerdem sollte eine Pflegevollversicherung das Teilleistungsprinzip ablösen. Die Länder setzen sich demnach in den Bund-Länder-Gremien für eine umfassende Reform ein.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 11. Dezember 2023 | 19:30 Uhr

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