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Knapp 40 Prozent der Wahllokale bei der Bundestagswahl sind in Sachsen-Anhalt nicht barrierefrei. Bildrechte: IMAGO / Köhn

#MDRklärtBundestagswahl: Nur 60 Prozent der Wahllokale in Sachsen-Anhalt barrierefrei

25. September 2021, 11:32 Uhr

Rampe dran und fertig? Nicht ganz: Ein Wahllokal gilt nicht automatisch als barrierefrei, wenn man eine Rollstuhlrampe vor den Eingang stellt. Nein, es braucht meistens viel mehr. #MDRklärt hat mit der Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalt über die Barrierefreiheit der Wahllokale zur Bundestagswahl gesprochen.

von MDR SACHSEN-ANHALT

Im Prinzip ist es ganz einfach: Wer nicht schon per Brief gewählt hat, geht am 26. September in das für ihn bestimmte Wahllokal, setzt dort seine zwei Kreuze – und spaziert nach drei Minuten wieder heraus. Kurz und schmerzlos.

Nur 60 Prozent der Wahllokale barrierefrei

Wären alle Wahllokale in Sachsen-Anhalt barrierefrei, wäre der Artikel nach diesem Satz beendet. Doch zur Bundestagswahl werden in Sachsen-Anhalt nur 60,9 Prozent der Wahllokale barrierefrei sein. Das teilte die Landeswahlleitung MDR SACHSEN-ANHALT mit. In Zahlen bedeutet das: 1.374 von insgesamt 2.256 Wahllokalen werden barrierefrei sein.

Immerhin: Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 ist das eine Steigerung. Damals waren in Sachsen-Anhalt 54,1 Prozent der Wahllokale barrierefrei – das waren 1.238 von insgesamt 2.290 Wahllokalen.

Der Anstieg ist kein Grund für Lob

Der minimale Anstieg ist allerdigs kein Grund für Lob. Denn in der UN-Behindertenrechtskonvention steht schon seit 2009 geschrieben, dass Menschen mit Behinderungen ein barrierefreier Zugang zu Wahlen ermöglicht werden muss. Die Konvention sollte Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben eigentlich garantieren.

UN-Behindertenrechtskonvention | Artikel 29

Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

(1) Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen.

Auch Sachsen-Anhalt hat genaue Gesetze verfasst, die Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zutritt zu politischen Aktivitäten ermöglichen sollen.

So steht im Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt, dass sichergestellt werden muss, dass Verfahren, Einrichtungen und Materialien für die Wahlen auch für Menschen mit Behinderungen geeignet, zugänglich sowie leicht zu verstehen und zu handhaben sind.

Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt | Artikel 12

Herstellung von Barrierefreiheit bei der Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

(1) Die Träger der öffentlichen Verwaltung stellen sicher, dass die Verfahren, Einrichtungen und Materialien für die Wahlen zu den Volksvertretungen auch für Menschen mit Behinderungen geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind.

(2) Die Träger der öffentlichen Verwaltung schützen das Recht von Menschen mit Behinderungen, ein Amt wirksam innezuhaben und alle öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen, indem sie bei Bedarf die Nutzung unterstützender Technologien erleichtern sowie die erforderliche Assistenz sicherstellen.

Landeswahlleiterin für Barrierefreiheit zuständig

Knapp 40 Prozent der Wahllokale müssen also in Zukunft noch barrierefrei werden. Dafür ist Christa Dieckmann zuständig. Sie ist seit 2014 Landeswahlleiterin und unterstützt die Kommunen vor der Wahl beim Durchführen ihrer Aufgaben und dem Gewährleisten der Barrierefreiheit.

Es werden Hinweise und Informationen zum Gestalten der Wahlbenachrichtigung, zu Stimmzetteln und Stimmzettelschablonen, aber auch zum Errichten und Ausstatten des Wahlraumes erteilt, erklärte Dieckmann MDR SACHSEN-ANHALT.

Checkliste für barrierefreie Wahllokale

Wie ein barrierefreies Wahllokal auszusehen hat, wird nicht jeder Gemeinde selbst überlassen. Laut Dieckmann wird den Gemeinden ein abgestimmter Kriterienkatalog mit Hinweisen für ein barrierefreies Wahllokal – die sogenannte Checkliste "Barrierefreie Wahllokale" – zugeschickt.

Checkliste "Barrierefreie Wahllokale"

1. Weg zum Wahllokal – notwendig

1.1. mit öffentlichen Verkehrsmitteln
1.2. dem PKW
1.3. zu Fuß

2. Zugänglichkeit zum Wahllokal – notwendig

2.1. Ist das Wahllokal ausreichend ausgeschildert (große Buchstaben, Beleuchtung, blendfrei)?
2.2. Liegt die Lesehöhe der Ausschilderung zwischen 1,30 Meter und 1,60 Meter Höhe?
2.3. Sind genügend Parkplätze in der Nähe vorhanden? (Idealerweise Behindertenparkplätze)
2.4. Ist der Eingang ebenerdig oder sind eine Rampe (maximal 6 v. H. Steigung) oder ein Aufzug vorhanden?
2.5. Gibt es genügend optischen Kontrast zwischen Stufenkanten- und flächen beziehungsweise Treppenauf- und abgängen?
2.6. Ist an den Treppenaufgängen mindestens auf einer Seite ein Handlauf vorhanden?
2.7. Sind alle relevanten Türen mindestens 0,90 Meter breit?
2.8. Wird überall die Flurbreite von mindestens 1,50 Meter eingehalten?
2.9. Ist der Weg zum Wahllokal ausreichend ausgeleuchtet (blendfrei)?
2.10. Sind alle Wege frei von Hindernissen (Blumenkübel, Vitrinen …)?
2.11. Ist eine geeignete Kommunikation mit den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern gegeben (schallarmer Wahlraum mit heller und blendfreier Ausleuchtung)?

3. Wahlkabinen – notwendig
3.1. Sind genügend Wahlhelferinnen und Wahlhelfer für Hilfestellungen vorhanden?
3.2. Ist die Wahlkabine breit genug, um gegebenenfalls eine Assistenzperson mitzunehmen? 3.3. Beträgt die Bewegungsfläche vor der Wahlkabine 1,50 Meter x 1,50 Meter?
3.4. Ist die Wahlkabine ausreichend ausgeleuchtet?
3.5. Ist die Schreibfläche unterfahrbar und mindestens 0,80 Meter hoch?
3.6. Liegt der Spalt der Wahlurne in einer Höhe von etwa 0,90 Meter?
3.7. Gibt es genügend Sitzmöglichkeiten, sollten Wartezeiten entstehen? (wünschenswert wären diese mit Rücken- und Armlehnen)

4. Barrierefreie Sanitäranlagen – wünschenswert

Die Checkliste ist in vier Punkte gegliedert. Der Weg zum Wahllokal muss so mit ÖPNV, Auto oder zu Fuß erreichbar sein. Auch ein leichter Zugang zum Wahllokal ist darin vorgeschrieben. Das schließt beispielsweise genügend Parkplätze oder ausreichendes Licht im Gebäude ein.

Nicht als zwingend notwendig angesehen werden dafür barrierefreie Sanitäranlagen. In der Checkliste sind die lediglich als "wünschenswert" gekennzeichnet.

Wahlbescheinigung informiert über Barrierefreiheit

Menschen, die auf barrierefreie Wahllokale angewiesen sind, müssen am Wahlsonntag aber nicht zwingend mit einer unbequemen Überraschung rechnen. Laut Landeswahlleiterin Christa Dieckmann erhält jeder Wähler mit der Wahlbenachrichtigung die Angabe des Wahlraumes und seiner Barrierefreiheit.

Ebenfalls soll die Wahlbenachrichtigung enthalten, wo Wahlberechtigte Informationen über barrierefreie Wahllokale erhalten, wenn ihr Wahlraum nicht barrierefrei zugänglich ist, erklärt Dieckmann weiter.

Trotz moderner Gesetzgebung ist noch viel zu tun

Laut Website des Sozialministeriums Sachsen-Anhalt hat das Bundesland nicht nur als erstes ostdeutsches Bundesland ein Gleichstellungsgesetz verfasst, sondern hat nach eigenen Aussagen sogar das modernste in Deutschland.

Auch, wenn das Gesetz zusammen mit Menschen mit Behinderung erstellt wurde, bringt diesen Menschen das modernste Gesetz nicht viel, wenn sie schon vor dem Eingang einer der tausend nicht als barrierefrei ausgeschriebenen Wahllokale scheitern.

Trotz der Gesetze in Sachsen-Anhalt ist also noch viel zu tun, wenn es um Barrierefreiheit geht. Denn das Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt ist aus dem Jahr 2010. Seitdem sind, kommenden Sonntag eingerechnet, drei Bundestagswahlen vergangen. Die 100 Prozent scheint also noch in weiter Ferne zu sein.

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MDR/Maximilian Fürstenberg

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. September 2021 | 19:00 Uhr

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