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FachkräftemangelExperte: Abbau von Fachkräftemangel auch durch fehlende Fachkräfte in den Behörden erschwert

18. August 2023, 06:45 Uhr

Ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll bürokratische Hürden abbauen. Dazu sind neue Regeln und Formulare geplant. Dann müsse jedoch auch das Personal in den Behörden geschult sein, um diese schnell anwenden zu können, gibt Wirtschafts-Experte Achim Dercks zu bedenken. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Wir haben mit ihm über die Herausforderungen gesprochen, vor denen Unternehmen stehen, die Fachkräfte aus dem Ausland einstellen wollen.

von Carmen Brehme, MDR Wirtschaftsredaktion

Wie ist die Lage für Unternehmen mit Blick auf den Fachkräftemangel?

Achim Dercks: Der Fachkräftemangel ist für die Unternehmen ein zentrales Geschäftsrisiko. Gut 60 Prozent der Unternehmen benennen das in unserer jüngsten Konjunkturumfrage als Risiko. Das ist der höchste Wert aller Zeiten, aber zugleich  eine Entwicklung, die wir schon seit vielen Jahren sehen – mit Ausnahme der Corona-Zeit . Wir gehen davon aus, dass der Fachkräftemangel auch eine zentrale Herausforderung bleiben wird. In den nächsten Jahren werden im Schnitt 400.000 Menschen jedes Jahr mehr in Rente gehen als aus der Schule nachkommen. Wir reden dabei nicht nur über Hochqualifizierte. Wir reden vor allem über beruflich Qualifizierte, aber auch zunehmend über ungelernte Kräfte. Denn auch die sind inzwischen am deutschen Arbeitsmarkt knapp.

Wir reden dabei nicht nur über Hochqualifizierte. Wir reden vor allem über beruflich Qualifizierte, aber auch zunehmend über ungelernte Kräfte.

Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)

Fachkräfte werden in und außerhalb der EU gesucht. Was ist die Herausforderung?

Achim Dercks: In den letzten Jahren sind tatsächlich sehr viele Menschen aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland gekommen. Das war ein wichtiger Baustein für den starken Beschäftigungszuwachs, den wir jetzt über viele Jahre erlebt haben – sodass wir hier derzeit in Deutschland bei einer Rekordbeschäftigung sind. Aber in den europäischen Nachbarländern gibt es zwei Faktoren, die inzwischen bremsen.

Erstens ist die wirtschaftliche Situation auch dort in den vergangenen Jahren besser geworden, zweitens schlägt sich eigentlich flächendeckend die Demografie nieder. Der Fachkräftemangel ist daher keine Besonderheit Deutschlands. Viele unserer Nachbarn stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Das ist der Grund, warum Unternehmen immer mehr in Drittstaaten schauen, obwohl das natürlich mit größeren Herausforderungen verbunden ist. Nicht nur wegen der gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch, weil der Aufwand größer ist, als wenn sich jemand aus einem Nachbarland ins Flugzeug oder in den Zug setzt, um nach Deutschland zu kommen.

Achim Dercks ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Bildrechte: IMAGO / Mauersberger

Was ist beim neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus Sicht der Unternehmen die wichtigste Änderung?

Achim Dercks: Ein wichtiges Element der neuen Gesetzgebung ist, dass Menschen auch ohne in Deutschland anerkannte Qualifikation zu uns kommen können, wenn sie mindestens 40.000 Euro brutto oder mehr verdienen. Zugleich sind 40.000 Euro für manche Wirtschaftszweige wie Gastronomie und Einzelhandel als Einstiegsgehalt immer noch hoch. Leider können Unternehmen davon nur abweichen, wenn das in Tarifverträgen geregelt ist. Das gibt es jedoch gerade in kleineren und mittleren Unternehmen oft nicht. Dadurch ist die Anwendbarkeit dieser an sich guten Regelungen in der Praxis wahrscheinlich doch eingeschränkt. Darüber hinaus gibt es an vielen Stellen einzelne Verbesserungen, die ebenfalls richtig sind. Das Kernthema ist jetzt, dass ein gutes Gesetz noch nicht gleichbedeutend ist mit einer guten Umsetzung. Da machen wir uns dann doch noch größere Sorgen.

Das Kernthema ist jetzt, dass ein gutes Gesetz noch nicht gleichbedeutend ist mit einer guten Umsetzung.

Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer vom DIHK

Sie befürchten mehr Bürokratie. Inwiefern?

Achim Dercks: Manchmal führen auch an sich gute Regelungen dazu, dass es neue Formulare gibt und neue Schleifen in der Verwaltung, die dann wiederum in der praktischen Umsetzung zu Problemen werden. Ein Arbeitnehmer muss nachweisen, dass er im Ausland einen Abschluss gemacht hat. Der muss zwar hier nicht anerkannt werden, aber er muss vorhanden sein. Und das muss wieder von einer Behörde geprüft werden. Der Arbeitgeber muss schließlich garantieren, dass er auch wirklich diesen Menschen einstellen will. Ein weiteres Formular ist erforderlich bei der Chancenkarte. Da brauchen wir zugleich eine Behörde, die die einzelnen Schritte prüft. Wir haben die Sorge, dass wir nicht die entsprechenden Fachkräfte in den Behörden haben, die solche Verfahren schnell abwickeln.

Stichwort ChancenkarteDie Chancenkarte basiert auf einem Punktesystem. Zu den Kriterien gehören "Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und Potenzial der Lebens- oder Ehepartnerinnen oder -partner", erklärt die Bundesregierung. Wer die Chancenkarte bekommt, erhält damit auch eine einjährige Aufenthaltserlaubnis, wenn noch kein konkretes Arbeitsangebot vorliegt. In Kanada gibt es ein ähnliches System.

Die Chancenkarte ist aber nur ein Weg, um wegen eines Jobs nach Deutschland zu kommen. Da ist der Aufwand des Punktesystems und weiterer Bedingungen doch sehr hoch, sodass wir vermuten, dass in der Praxis die Menschen andere Wege finden, um zueinander zu finden. Das geht heute oft auch mit Bewerbungsgespräch per Videokonferenz. Dafür braucht es wahrscheinlich in der Regel nicht die relativ komplizierte Chancenkarte.

Wir haben die Sorge, dass wir nicht die entsprechenden Fachkräfte in den Behörden haben, die solche Verfahren schnell abwickeln.

Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer vom DIHK

Schauen wir auf die Westbalkanregelung. Wie schätzen Sie die ein?

Achim Dercks: Die Westbalkanregelung ist grundsätzlich eine gute Regelung. Sie verzichtet auf Qualifikationsnachweise. Trotzdem kommen relativ viele Qualifizierte über diesen Weg. Die Herausforderung ist, dass es eine Deckelung bei 25.000 Visa gibt, die hierfür ausgegeben werden können. Das soll jetzt aber erhöht werden auf 50.000. Das ist im Kern gut. Jedoch ist es für Interessenten aufgrund der behördlichen Kapazitäten oft nicht möglich, einen Termin für eine Visa-Vergabe zu bekommen.

Stichwort WestbalkanregelungDie Westbalkan-Regelung ermöglicht es Unternehmen, Arbeitskräfte aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, der Republik Nordmazedonien, Montenegro und Serbien anzuwerben. Bisher können zu diesem Zweck jährlich 25.000 Visa bewilligt werden. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Obergrenze auf 50.000 angehoben werden. Voraussetzung für ein Visum ist ein konkretes Arbeitsangebot.

Es ist zugleich ein Losverfahren, weil es die Obergrenze gibt. So versuchen sehr viele Menschen ohne Erfolg über diesen Weg nach Deutschland zu kommen. Auch die deutschen Botschaften kommen nicht hinterher. Das erleben wir auch in vielen anderen Ländern der Welt. Fachkräfte scheitern allein daran, dass es keinen Termin für eine Visa-Vergabe in der Botschaft gibt. Es fehlen auch dort Fachkräfte. Viele Mittelständler berichten davon, dass sie sechs Monate, zwölf Monate, auf einen solchen Termin zur Visa-Vergabe warten. Wir brauchen deshalb dringend eine Digitalisierung der Verfahren.

Wir brauchen deshalb dringend eine Digitalisierung der Verfahren.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 15. August 2023 | 20:15 Uhr