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Am Sonntag wurde erstmals in Deutschland ein AfD-Politiker zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Bildrechte: MDR/André Damm - DPA

AfD-Politiker wird BürgermeisterKommentar zur Wahl in Raguhn-Jeßnitz: Ein schmerzlicher Denkzettel

04. Juli 2023, 10:04 Uhr

In Raguhn-Jeßnitz hat Hannes Loth von der AfD die Stichwahl um den Chefposten im Rathaus von Raguhn-Jeßnitz gewonnen. Damit ist zum ersten Mal in Deutschland ein Politiker der AfD zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt worden. Für die übrigen Parteien ist es ein schmerzlicher Denkzettel, meint MDR-SACHSEN-ANHALT-Reporter André Damm.

Nach Sonneberg in Thüringen nun Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Nach dem Landratsposten nun die Stelle als hauptamtlicher Rathauschef. Die AfD hat in Mitteldeutschland nacheinander zwei kommunale Spitzenämter kassiert. Das hat mich nicht überrascht. Denn die AfD präsentiert sich seit Jahren mit einigem Auf und Ab als Partei, die zuverlässig stabile Wahlergebnisse einfährt.

In einigen Gegenden im Osten hat sie die sogenannten großen Parteien längst schrumpfen lassen. Die erfolgreiche Bürgermeisterwahl in Raguhn-Jeßnitz bestätigt diesen Trend, der sich zuletzt verstärkt hat. Je größer die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik, desto größer der Zuspruch für die selbst ernannte Protestpartei. Der Ärger über Ukraine-Krieg, Inflation und Heizungsgesetz findet durch die AfD ein Ventil. Hier können wir unseren Frust ablassen. Hauptsache Protest.

Der Kandidat als netter Nachbar von nebenan

Immer wieder ist in der Bevölkerung zu hören, dass früher alles besser war, dass die Politik ein klägliches Bild abgibt und dass die da oben sich ohnehin nur die Taschen füllen. Deshalb wird das Kreuz bei der AfD gemacht. Wenn dann noch der Fall eintritt – wie in Raguhn-Jeßnitz – dass der Kandidat aus der Gegend kommt, in Vereinen und im Stadtrat verwurzelt ist und wie ein netter Nachbar wirkt, dann werden die Berührungsängste immer kleiner.

Da stört dann auch nicht, dass die AfD in Teilen ausländerfeindlich, völkisch und demokratiefeindlich daherkommt und bisher noch nie etwas zu Problemlösungen beigetragen hat. Doch diese Vorbehalte perlen ab. Und noch mehr: Ich finde, wenn den ostdeutschen AfD-Wählern der Stempel "rechtsradikal" verpasst wird, gibt es diese "Jetzt-erst-recht"-Reaktion. Wir sind freie Bürger, wir können selbst entscheiden, wenn wir wählen. Und: Wir sind keine Nazis.

Erinnerungen an PDS-Erfolge in den Neunzigern

Mich erinnert die Situation an die 1990er-Jahre, als die PDS in Ostdeutschland von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilte. Sind die Ossis verrückt, hieß es im Westen. Wieso wählen die die Nachfolgepartei der verhassten SED? Doch je größer die Kritik wurde, desto größer waren die Erfolge – am Ende standen Regierungsbeteiligungen in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg. In Thüringen gibt es sogar einen Ministerpräsidenten von der Linkspartei.

Doch inzwischen haben die Linken an Strahlkraft verloren, wirken saft- und kraftlos. Der Protest wird nun von der AfD eingefangen. Für die sogenannten großen Parteien ist das ein schmerzlicher Denkzettel. Sie müssen nun um Vertrauen werben – und endlich gute Arbeit leisten – und sie dürfen dabei den Osten nicht vergessen. Sonst wird die AfD noch weitere politische Spitzenämter erobern.

Mehr zum Thema: AfD-Politiker wird Bürgermeister in Sachsen-Anhalt

MDR (André Damm) | Erstmals veröffentlicht am 03.07.2023

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Juli 2023 | 08:00 Uhr

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