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Die Wörlitzer Synagoge wurde zwischen 1789 und 1790 errichtet. Bildrechte: picture alliance / dpa-Zentralbild | Stephan Schulz

Großvater von Dieter HallervordenWie Hans Hallervorden 1938 die Wörlitzer Synagoge rettete

09. November 2023, 14:37 Uhr

In diesen Tagen wird wie in jedem Jahr der Opfer der Pogromnacht vor 85 Jahren gedacht – als in Nazideutschland überall Synagogen brannten und jüdische Geschäfte geplündert und zerstört wurden. Auch in der kleinen Parkstadt Wörlitz wüteten damals braune Täter. Doch dank eines unerschrockenen Mannes wurde die Wörlitzer Synagoge als eine der wenigen in ganz Deutschland gerettet.

Eine lange und anstrengende Dienstreise liegt hinter Hans Hallervorden und eigentlich will er nur ins Bett. Doch der Gartendirektor ist pflichtbewusst und unternimmt wie jeden Abend einen Kontrollgang durch seinen Park. Ein ungutes Gefühlt beschleicht ihn, denn in der Synagoge brennt noch Licht. Es ist der 10. November 1938 gegen 23 Uhr. "Er kam hierher, da rannte einer weg, der vor der offenen Tür scheinbar Wache gehalten hat und der ruft noch: 'Sind noch zwei drin'", erzählt der Dessauer Pfarrer Dietrich Bungeroth. "Hallervorden schaut in die Synagoge und an der Holztreppe zur Frauenempore sitzen zwei Personen und haben Hobelspäne auf der Treppe ausgebreitet und haben einen Kanister dabei und Hallervorden fragt, was sie da machen und die sagen: "Ja, das muss hier weg, das ist hier nicht mehr gewünscht."

Brandstifter eingeschlossen

Dietrich Bungeroth hat die Aufzeichnungen des Gartendirektors Hans Hallervorden gelesen, die dieser sieben Jahre nach dem Vorfall angefertigt hat. Detailliert beschreibt Hans Hallervorden darin, wie er versucht hat, mit den Eindringlingen zu sprechen. "Er hat die jungen Männer darauf hingewiesen, dass das Eigentum des Parkes ist. Sie hätten das zu unterlassen. Die haben aber nicht aufgehört und waren kurz davor zu zünden. Und da ist er raus zur Männertür und hat die von außen zugeschlossen und die Jungs saßen drin und haben überlegt, was passiert, wenn es brennt und sie nicht raus können."

Die Synagoge steht im Wörlitzer Park. Bildrechte: picture alliance / ZB | Jens Wolf

Retter wird entlassen

So wird die Synagoge in Wörlitz in jener Nacht nicht brennen. Den jungen Männern gelingt wenig später die Flucht. Hans Hallervorden organisiert für den Rest der Nacht sicherheitshalber noch eine Wache und stellt die Verantwortlichen zur Rede. Zwei Wochen später wird der Direktor der Wörlitzer Gartenanlagen, Hans Hallervorden, auf Druck der Nazis von seinem Arbeitgeber, der Joachim-Ernst-Stiftung, entlassen, so Bungeroth. Die Begründung damals ist dreifach: Er habe sich kritisch zum Brand der Dessauer Synagoge geäußert. Er habe behauptet, die Juden hätten Kultur. Und er habe drittens unerlaubt Kritik geübt.

Enkel stolz auf "Heldentat" des Opas

Hans Hallervorden geht vorzeitig in den Ruhestand und zieht in den Harz. Wenn sein Enkel, der Schauspieler Dieter Hallervorden, die Geschichte seines Großvaters erzählt, dann schwingt Stolz in seiner Stimme mit: "Der Opa war jemand, also untadelig und er hatte Werte, die er mir mitgegeben hat. Für mich ist das eine Heldentat gewesen, zu dem Zeitpunkt, wo man mal ganz schnell nicht nur ins Gefängnis wanderte, sondern auch gleich ganz verschwunden war. Das gewagt zu haben, fand ich toll."

Über 3.000 Menschen besichtigen jährlich die Wörlitzer Synagoge. Bildrechte: picture-alliance / ZB | Waltraud_Grubitzsch

Erinnerungsort für jüdische Kultur

Sein Opa habe selbst nie über die Nacht in Wörlitz gesprochen, so Dieter Hallervorden. Er selbst habe die Geschichte erst viel später erfahren. Heute ist die kleine Synagoge im Wörlitzer Park Erinnerungsort. Mit einer Ausstellung zur jüdischen Geschichte Anhalts. Mehr als 3.000 Menschen besichtigen jährlich das Gebäude am Rande des Parks. Es ist neben der Synagoge in Gröbzig das einzige noch erhaltene jüdische Gotteshaus in ganz Sachsen-Anhalt. Auf einem Pult in der Synagoge liegt das Gästebuch. Am 30. Mai 2008 findet sich dort folgender Eintrag: "Beeindruckend, in Wänden zu stehen, die ohne das mutige Eingreifen meines Großvaters so nicht mehr existieren würden. Der stolze Enkel Dieter Hallervorden."

Mehr zum Thema: Jüdisches Leben und Antisemitismus

MDR (Susanne Reh, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. November 2023 | 06:30 Uhr

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