Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Nach mehreren Angriffen durch Wölfe gibt Silvio Hein nach 32 Jahren seinen Beruf als Schäfer auf. Bildrechte: MDR/André Damm

Elster bei WittenbergNach vier Wolfsangriffen: Schäfer verkauft seine Herden

13. November 2023, 10:19 Uhr

Nach vier Wolfsangriffen auf seine Schafe gibt Silvio Hein auf. Der Schäfer aus Elster im Landkreis Wittenberg musste einen rein materiellen Schaden in Höhe von mehreren zehntausend Euro verkraften, dazu kam ein Streit mit den Behörden wegen möglicher Entschädigungszahlungen. Davon hat der Mann jetzt genug. Nach 32 Jahren hängt er seinen Beruf an den Nagel. Vorher sucht er für die verbliebenen 340 Schafe neue Besitzer.

Der Elbe-Deich in Schützberg bei Jessen. Die Wind hat gerade die Wolken weggepustet, die Sonne kommt kurz zum Vorschein. Am grünen Deich grasen friedlich dutzende Schafe. Ein junger kaukasischer Schäferhund, der auf den Namen Krümel hört, steht aufmerksam am Zaun. Das wirkt fast wie eine Postkartenidylle. Doch der Schein trügt. Hier ist gar nichts in Ordnung.

Aus Silvio Hein, dem Schäfer aus Elster, sprudelt es heraus: "Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Keine Ahnung, wie es weitergeht." Der kräftige, groß gewachsene Mann hat wieder einmal eine Wolfsattacke auf eine seiner drei Schafherden erleben müssen. Der jüngste Angriff ereignete sich in einem Solarpark in Elster. Die Schafe sollen zwischen den aufgestellten Modulen alles Grüne fressen.

Wölfe im Blutrausch?

Der gesamte Photovoltaik-Standort ist durch robuste, mehr als zwei Meter hohe Zäune gesichert. Doch die Wölfe haben sich einfach unter dem Zaun durchgegraben. Als Hein gerufen wurde, erlebte er ein Bild des Schreckens: 19 Schafe der Rassen Merino und Schwarzköpfiges Fleischschaf wurden getötet, vier weitere waren schwer verletzt und übel zugerichtet worden. Sie starben wenige Tage später.

"Die meisten Tiere erlegt der Wolf mit einem Kehlbiss, manchmal reißt er aber nur ein Stück Fleisch oder Organe heraus. Da muss man schon einiges aushalten können, diesen Anblick zu ertragen. Gerade, wenn Mutterschafe aufgerissen und liegen gelassen werden." Für Schäfer Hein steht fest, dass es einen sicheren Schutz vor Wölfen nicht gibt. Wölfe, sagt er, ließen sich nicht aufhalten, wenn sie an ihre Beute kommen wollen.

Schafe in Sachsen-AnhaltWie das Statistische Landesamt auf Anfrage mitteilte, hat sich der Schafbestand in Sachsen-Anhalt deutlich reduziert. Derzeit werden nicht einmal mehr 56.000 Schafe hierzulande gehalten – ein Minus innerhalb von zehn Jahren um 30 Prozent.

Diese Haltung bringt Hein regelmäßig Ärger mit dem Wolfskompetenzzentrum Iden ein. Denn die fünf Experten aus der Altmark und ihre ehrenamtlichen Helfer rücken bei jeder Wolfsattacke aus, sichern Spuren, Kotproben und stellen fest, ob die Voraussetzungen für einen Herden-Mindestschutz erfüllt sind.

Ines Wahls vom Landesamt für Umweltschutz kümmert sich um die Presseanfragen. "Der Mindestschutz variiert nach Tierarten. Bei Schafen ist es so, dass die Herde durch einen 90 Zentimeter hohen Elektrozaun geschützt werden muss. Außerdem muss ein Untergrabeschutz vorhanden sein." An der betroffenen Weide von Schäfer Silvio Hein gab es so einen Untergrabeschutz nicht – ein Versäumnis seitens des Betreibers der Anlage.

Schäfer Hein will nicht mehr

Hein empfindet die Vorgaben als belastend. Diese seien teuer, extrem zeitaufwendig und wenig sinnvoll. Daher hat er bislang nur geringe Entschädigungszahlungen erhalten. Deshalb versucht er eine Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt anzustrengen. Die Aussichten sind – das weiß er auch – bestenfalls mäßig, aufgrund des fehlenden Untergrabeschutzes. Für Silvio Hein, der eigentlich gelernter Fleischer ist, aber seit 1991 als Schäfer arbeitet, ist es nach eigener Aussage Zeit, das Kapitel Landwirtschaft zu beenden. In einer Wolfsregion, dazu gehören der Landkreis Wittenberg und die Altmark, mache eine Schafzucht keinen Sinn mehr.

Der kaukasische Schäferhund Krümel hat die Lage momentan im Griff. Bildrechte: MDR/André Damm

Auf der einen Seite sei man bei Wind und Wetter draußen, müsse sich um die Tiere kümmern, die Krallen schneiden, die Wolle scheren und sich um frisches Wasser kümmern. Und jeden dritten Tag wird umgekoppelt, damit die Herde einen neuen Standort begrasen kann. Auf der anderen Seite bringe der Beruf immer weniger ein. Und dazu kämen noch die Wolfsangriffe. Hein beziffert die Schäden in den vergangenen Jahren auf mehrere zehntausend Euro. Deshalb sucht er für die verbliebenen 340 Schafe nun Käufer, die einen fairen Preis zahlen: "Verramschen werde ich meine Schafe nicht."

Gegen den Wolf mit einem Bündel von Maßnahmen

Beim Schafzüchterverband Sachsen-Anhalt ist nicht bekannt, wie viele Schäfer – aus welchen Gründen auch immer – in den vergangenen Jahren aufgehört haben, sagt Geschäftsführerin Elisabeth Baurichter. Der Verband betreut 220 Mitglieder, die Hälfte davon züchtet Schafe. "Über Betriebsaufgaben führen wir hier keine Strichliste, aber unter den Schäfern ist schon eine gewisse Resignation zu spüren. Und diese hat auch mit den verstärkten Wolfsvorkommen zu tun." Seit langem werde vom Verband deshalb ein gezielter Wolfsabschuss gefordert, damit die Population nicht überhandnimmt.

Elisabeth Baurichter sagt aber auch, dass ein Abschuss nicht die Lösung sein könne. "Weiterhin muss auch der Herdenschutz  finanziell gefördert werden, wie Koppeln und Schutzhunde. Auf die Kombination komme es an." In der Praxis haben viele Schafhalter, so die Verbandschefin, schon auf die Wolfsangriffe reagiert. Auf die Landschaftspflege – wie das Abgrasen von Deichen – werde immer öfter verzichtet. Außerdem würden viele Schafhalter ihre Herden verkleinern, hielten sie in der Nähe der Wohnbehausungen und steckten sie bestenfalls abends in einen Stall. Aber diese Möglichkeiten habe nicht jeder.

Mehr zum Thema

MDR (André Damm, Hannes Leonard) | Erstmals veröffentlicht am 10.11.2023

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 08. November 2023 | 08:10 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen