Arbeit im GefängnisLohnt sich Arbeit in Haft?von Katharina Gebauer, MDR SACHSEN-ANHALT
Mehr als die Hälfte der Gefangenen in Sachsen-Anhalt geht einer Beschäftigung nach. Für die meisten ist es eine angenehme Abwechslung im Gefängnisalltag. Dafür werden sie auch bezahlt, doch der Lohn muss künftig erhöht werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht Ende Juni entschieden. Die Bundesländer haben bis Mitte 2025 Zeit, den Lohn anzupassen.
- Einige Inhaftierte in Sachsen-Anhalt brauchen Unterstützung, um fit für die Arbeitswelt zu sein.
- Mehr als die Hälfte der Gefangenen in Sachsen-Anhalt geht einer Beschäftigung nach. Für die meisten ist es eine angenehme Abwechslung im Gefängnisalltag und soll in erster Linie der Resozialisierung dienen.
- Gefangenenarbeit muss sich lohnen. Das urteilte das Bundesverfassungsgericht Ende Juni. Die Bundesländer haben bis Mitte 2025 Zeit, den Lohn anzupassen. Die Landtagsfraktionen fordern unter anderem eine Beteiligung an den Haftkosten.
Tobias Eisert aus Salzwedel ist seit zwei Wochen in der arbeitstherapeutischen Maßnahme in einer Werkstatt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) "Frohe Zukunft" in Halle. Er gießt hier etwa Glocken aus Ton, die fertigen Gegenstände werden ausgestellt und von den Bediensteten der JVA gekauft. "Sonst fällt einem die Decke auf den Kopf. Ich bin froh über die Beschäftigung und den Tapetenwechsel, wenn man nicht 24 Stunden auf dieselbe Wand sieht", sagt Eisert. Deshalb sei er auch in der Musikgruppe aktiv und spiele in der Gefangenenband Schlagzeug.
Niedriger Lohn: 1,94 Cent pro Steckdosenleiste
Vor der arbeitstherapeutischen Maßnahme habe er beim Unternehmen Brennenstuhl gearbeitet, das in der JVA Halle Steckdosenleisten produziert. Pro Steckdosenleiste habe er 1,94 Cent bekommen. "Die werden dann draußen für fünf Euro verkauft, das tut schon weh, wenn man deren Verdienst erarbeitet", sagt Eisert. Das Unternehmen selbst wollte dazu keine Auskünfte geben. Laut Justizministerium lassen derzeit noch vier weitere Unternehmen in JVAs in Sachsen-Anhalt produzieren. Die Initiative FragDenStaat veröffentlichte in einer Recherche die Namen aller Unternehmen, die in deutschen Gefängnissen für sich arbeiten lassen.
[...] Das tut schon weh, wenn man deren Verdienst erarbeitet.
Tobias Eisert, Gefangener in der JVA Halle
Gefangenenarbeit in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt saßen laut Justizministerium Ende September 1.551 Gefangene in Haft, etwa 800 von ihnen gehen einer Beschäftigung nach. In der JVA-Nebenstelle "Frohe Zukunft" in Halle seien derzeit 300 Gefangene untergebracht, 184 gehen demnach einer Beschäftigung nach.
Der Landesbetrieb für die Beschäftigung und Bildung der Gefangenen biete rund 1.000 Beschäftigungs- und Bildungsplätze an. Dazu gehören den Angaben zufolge neben der Arbeit in Eigenbetrieben Aushilfstätigkeiten im JVA-Betrieb, arbeitstherapeutische Maßnahmen und Arbeitstraining. Zudem gäbe es schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, um die Gefangenen für ein Leben nach der Haft vozubereiten.
Geregelt ist die sogenannte Eckvergütung der Gefangenen in der Justizvollzugsvergütungsverordnung und dem Justizvollzugsgesetzbuch. Die Eckvergütung richtet sich nach dem Durchschnittgehalt aller gesetzlich rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das aktuell bei rund 40.000 Euro liegt. Die Eckvergütung beträgt neun Prozent dieser Bezugsgröße und wurde das letzte Mal 2002 vom Bundesverfassungsgericht von zuvor fünf Prozent angehoben.
Die genaue Höhe der Vergütung der Gefangenen wird je nach Art der Maßnahme und Leistung des Gefangenen eingestuft und beträgt 75 bis 141 Prozent der Eckvergütung.
Quelle: Justizministerium Sachsen-Anhalt
Auch Ricardo Schumann aus Wittenberg ist in der arbeitstherapeutischen Maßnahme beschäftigt. Er sägt unter anderem Weihnachtswichtel aus Holz zusammen, die später zu einer Lichterkette werden. Schumann ist gesundheitlich angeschlagen, ihm fällt es schwer, ruhig zu sitzen: "Ich habe jahrelang Drogen konsumiert, 20 Jahre. Für mich ist das alles schwer." Auch er arbeitete zuvor bei Brennenstuhl, doch der Leistungsdruck und die Geschwindigkeit seien zu viel für ihn gewesen, erzählt er. In der arbeitstherapeutischen Maßnahme arbeitet er deshalb erstmal nur vier Stunden pro Tag.
Maria Güldenfuß ist erste Ansprechpartnerin der Inhaftierten. "Wenn was ist, kann ich einfach zu ihr kommen und als Chefin nimmt sie auch Rücksicht auf mich. Ich kann offen mit ihr reden und muss mich nicht verstellen", sagt Schumann.
Erstes Ziel: Resozialisierung
Die gelernte Ergotherapeutin unterstützt und begleitet derzeit sechs Gefangene bei Holz- und Tonarbeiten. "Unser Ziel ist, die Leute wieder arbeitsfähig zu machen", sagt sie. Dazu gehöre vor allem eine feste Tagesstruktur sowie das Erlernen bestimmter Arbeitsfertigkeiten. Das trage auch Früchte, so Güldenfuß. Erst vor wenigen Tage sei ein Häftling entlassen worden, der bereits in Haft ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch und einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen unterschreiben konnte.
"Hier verdiene ich am Ende etwa 180 Euro pro Monat, 60 bis 70 Euro landen davon auf meinem Hauskonto", erzählt Schumann. Gerade für Menschen, die eine kurze Haftzeit verbüßen müssen, wäre es einfacher, etwas auf dem sogenannten Überbrückungskonto anzusparen. Dies ist für die erste Zeit nach der Haftentlassung für die Inhaftierten als Puffer gedacht. "Es wäre fair, wenn es mehr Geld geben würde, weil auch draußen vieles teurer geworden ist." Der 41-jährige muss noch 13 Monate absitzen, bis dahin will er sich etwas Geld für die Zeit danach ansparen und sich auf die Arbeitswelt vorbereiten.
Arbeit im Gefängnis vor allem als Beschäftigung
Für Kai Kirstein aus Sachsen ist die Arbeit in der Werkstatt in erster Linie Beschäftigung. "Es reicht für den monatlichen Einkauf. Das Wichtigste für mich ist Kaffee und Tabak", meint er. "Nach vier Monaten habe ich mir mal wieder einen Käsekuchen und Vanilleeis gekauft, das war für mich ein Highlight." Der 50-jährige sitzt noch etwa ein Jahr in Halle ein, auch er ist froh über die Abwechslung vom Knastalltag, die seine Beschäftigung ihm bringt. Die stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt in Halle, Anika Franke, sieht zudem den unterschiedlichen Anspruch der Arbeit im Gefängnis im Vergleich zum freien Arbeitsmarkt. "Die Gefangenen sind gar nicht so aufgestellt – also es ist keine Akkordarbeit, wie zum Beispiel bei einer Firma draußen."
In Sachsen-Anhalt bekommen Gefangene je nach Tätigkeit und Vergütungsstufe derzeit zwischen 1,33 Euro und 2,51 Euro Lohn. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass so niedrige Löhne verfassungswidrig sind, denn Arbeit müsse sich lohnen. Zwei Gefangene aus Nordrhein-Westfalen und Bayern hatten gegen die Bezahlung geklagt. Aktuell beraten dazu die Justizministerinnen und -minister der Länder, bislang ohne konkreten Ergebnisse.
Unser Ziel ist es, die Gefangenen wieder arbeitsfähig zu machen.
Ergotherapeutin Maria Güldenfuß
Beteiligung an Haftkosten möglich
Die Fraktionen im Landtag von Sachsen-Anhalt halten eine Anhebung des Gefangenenlohns durch das Urteil des Verfassungsgerichts überwiegend für notwendig und sinnvoll. Die Fraktion Die Linke und die Grünen-Fraktion fordern die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes auch für Gefangene, eine Haftkostenbeteiligung sei zudem durchaus denkbar. Die AfD würde eine solche Beteiligung ebenso befürworten; FDP, SPD und CDU und sehen eine direkte Haftkostenbeteiligung hingegen kritisch.
Manuel Matzke von der Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Aktion (GG/BO), die sich für die Arbeitsrechte der Gefangenen einsetzt, fordert neben dem gesetzlichen Mindestlohn die Einzahlung in die gesetzliche Kranken- und Rentenkasse. Er hofft auf eine Anhebung des Gefangenenlohns auf bis zu sechs bis sieben Euro. "Wenn lange Haftstrafen verbüßt werden und jemand viele Jahre in Haft gearbeitet hat, bekommt der Gefangene keine Rentenpunkte. Damit droht ihm später Altersarmut", sagt Matzke im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT.
Die Landesregierung hat bis 2025 Zeit, eine neue Gesetzgebung zu beschließen und das Vollzugsgesetz mit Blick auf die Resozialisierung zu reformieren. Tobias Eisert wird davon nichts mehr mitbekommen, er sitzt noch bis Februar 2024 seine Haftstrafe ab, danach will er erst einmal nach Magdeburg.
MDR (Katharina Gebauer, Kevin Poweska)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Oktober 2023 | 19:00 Uhr
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